Internet: Und es bewegt sich doch!
Internet & Politik, zweiter Kongreßtag
"Im Mittelpunkt einer demokratischen Informationsgesellschaft muß die soziale Nutzung der vernetzten Medien durch alle Bürger stehen"
Internet und Politik - so ein aktuelles, spannendes Konferenzthema! Und die Referenten des zweiten Konferenztages, der unter dem Thema "Regional - Transnational - Global" stand, leider mitunter so engagiert in der Sache, lebhaft im Vortrag und kenntnisreich in der Materie wie bei einer schnarchigen Bundestagsdebatte. Keine Flames, wenig Smilies, dafür vieles, was bereits in den FAQs zum 1x1 der guten Demokratie, der erfolgreichen Wirtschaft und der Wachstums- und Nutzungspotentiale des Internet zu lesen ist:
"Es gibt keine Alternative zur Globalisierung," und auf den Weltmärkten kann nur Anschluß halten, wer in die beiden Wachstumsbereiche Dienstleistung und neue Informationstechnologien geht (Klaus Mangold, debis Vorstand). Wichtig sind dann stets die vielbeschworenen richtigen Mischungen, goldenen Mittelwege: "We have to find the right mix between national and global" (Andrew Graham, Balliol College, Oxford). Ebenfalls wichtig die Initiative, die Dinge in die Hand zu nehmen, wenn etwas (natürlich möglichst goldenes) daraus werden soll: "Das Potential des Internet kann sich in jeder Richtung entfalten - was daraus wird, liegt an uns." (Horst Teltschik, BMW Vorstand).
Eben. Da werden zur Zeit in Bonn, Brüssel und anderswo Kommissionen gebildet, Gutachten in Auftrag gegeben und neue Gesetze und Verkehrsvorschriften für die Datenautobahn gezimmert, die mit der traditionellen Freiheitlichkeit des Internet nur wenig im Sinn haben. Aber die dringend notwendige öffentliche Debatte über Wünschbares und Machbares, über Revolutionäres und Sittsames, Konventionelles, über goldene wie schwarz-trübsinnige Optionen und Trends der globalen Vernetzung scheint noch im Winterschlaf zu dämmern. Oder ist das schon die Frühjahrsmüdigkeit? Allgemeine Politikverdrossenheit? Netzmüdigkeit? Wohl ein bißchen von allem. Da ist es gut, wenn engagierte Diskussionsbeiträge wie die im Januar veröffentlichte "Magna Charta" oder jetzt die "Münchner Erklärung" zur Internet&Politik-Konferenz zur schleunigen Beendigung des Winterschlafs aufrufen.
Die Münchner Erklärung, die Forderungen und Vorschläge zu demokratischer Telekommunikationspolitik, Bildungs- und Kulturpolitik, Bürgernähe, Nutzervertretung und Selbstkontrolle beinhaltet, wurde im Rahmen der Vorbereitungen zur Konferenz entworfen und zur Diskussion gestellt. Von ihrem Look-and-Feel her ist sie so etwa wie das Grundgesetz: Basierend auf ganz allgemeinen Demokratiegrundsätzen und nicht parteipolitisch gebunden ist in ihr das allseits Wünschbare formuliert.
Alle Bürgerinnen und Bürger müssen die Chance haben, die neuen Kommunikationsmedien aktiv zu nutzen, um am demokratischen Prozeß der Beratung und Entscheidung öffentlicher Angelegenheiten teilnehmen zu können. ... Die demokratischen Errungenschaften unserer Kultur wie Selbstbestimmung, freie Rede, Konsensbildung und Mehrheitsentscheidung bei Minderheitenschutz müssen Richtlinien für die politische und gesellschaftliche Nutzung der vernetzten Medien sein.
Münchner Erklärung
Die Forderungen umfassen Sicherung der informationellen Grundversorgung und universalen, freien Zugang für alle - beispielsweise auch vermittels öffentlich aufgestellter, kostenfrei nutzbarer Terminals, Sicherung der verfassungsrechtlich garantierten Meinungs- und Informationsfreiheit, Bildung und Ausbildung für und durch die neuen Medien, Aufbau ortsungebundener elektronischer Bibliotheken und Museen, Entwicklung neuer Formen des demokratischen Dialogs zwischen Bürgern und politischen Institutionen, Nutzerverantwortlichkeit und Selbstkontrolle des elektronischen Verkehrs.
Das klingt sehr gut und schön und dürfte in einem breiten Meinungsspektrum Konsens finden. So ist es intendiert. Da ist nichts in der Erklärung, was nicht moderat wäre, nichts Extremes drin - und auch nichts Konkretes, an dem sich die Meinungen zur praktischen Umsetzung des Wünschbaren zerstreiten könnten. Initiiert, entworfen und zur Diskussion gestellt wurde die Erklärung von einem kleineren Kreis von Aktivisten ganz unterschiedlicher Couleur aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Eine solche Privatinitiative kann die (noch ausstehende) breite öffentliche Debatte nicht ersetzen, aber zu deren Belebung beitragen. Und darin liegt der große Wert solcher Initiativen, selbst wenn sie inhaltlich so sehr auf Ausgleich und Konsens ausgerichtet sind, daß unvermeidbarerweise vieles doch recht vage bleibt.
Das macht gar nichts. In Anbetracht der augenblicklichen Lage ist erstens jeder Beitrag ein guter Beitrag. Und zweitens bietet der Austausch darüber, wie man die vernetzte Zukunft denn vom Grundsatz her gern hätte, eine gute Voraussetzung für das Angehen der nächsten anstehenden Tagesordnungspunkte, die sich mit der konkreten Umsetzung und Ausgestaltung der demokratischen Informationsgesellschaft befassen werden. Dabei kann an die in der Münchner Erklärung formulierten Grundsätze angeknüpft werden. Oder an andere. Die Wahl der Grundsätze ist allen freigestellt. Daß überhaupt eine Wahl getroffen wird, ist inzwischen aber mehr als überfällig.
Ich finde, daß besonders das in Punkt I.6. der Erklärung enthaltene Gebot zur Wahrung der Informationsfreiheit vor dem Hintergrund aktueller Vorfälle wie beispielsweise Gerichtsverfahren gegen anonyme Remailer, Providerblockaden wegen politisch unliebsamer Web-Inhalte oder staatsanwaltschaftlich angeregte Selbstzensurakte des Ausschließens bestimmter Newsgruppen breite Aufmerksamkeit verdient.
Gesetze zur künftigen Sicherung der verfassungsrechtlich garantierten Meinungs- und Informationsfreiheit müssen die Eigenheiten der dezentralen und interaktiven Kommunikationstechnologien berücksichtigen. Maßnahmen zum Kampf gegen die organisierte Kriminalität, zum Jugendschutz oder zur Verhinderung des Mißbrauchs der Datennetze dürfen Meinungs- und Informationsfreiheit nicht untergraben oder aushöhlen.:Münchner Erklärung
Dieser allgemeinen Formulierung kann man nur zustimmen. Aber schon einen Schritt weiter in die Praxis scheiden sich die Geister. Wieviel Brisanz in diesem Punkt liegt, wurde auch gestern am zweiten Konferenzabend in der Paneldiskussion, die sich auf die Münchner Erklärung bezog, überdeutlich. Nach einem langen Veranstaltungstag wurde das recht ermattete Auditorium lebhaft und griff zu den Mikrophonen.
Positionen prallten aufeinander.
"Die bestehenden Gesetze gelten auch im Internet. Das kann kein rechtsfreier Raum sein."
"Die Interessen der Netznutzer werden in Bonn zu wenig berücksichtigt. Auch wenn Gesetzesvorhaben bereits auf den Weg gebracht wurden, müssen Änderungen noch möglich sein."
"Der Schutz des geistigen Eigentums muß auch im Netz gewährleistet sein".
"Wenn die in der Münchner Erklärung beschriebenen Grundsätze nicht mit der Meinung der Bundesregierung übereinstimmen sollten, dann ist das völlig okay in einer Demokratie."
In der Frage, wo im einzelnen die Grenzen gezogen werden sollen zwischen Meinungsfreiheit einerseits und Schutzbedürfnissen andererseits, ist die Konsensbildung natürlich schwierig. In der Podiumsdiskussion hat Horst Westerhoff, Referent für Medien und Telekommunikation im Bundeskanzleramt, sich stark gemacht für den Urheberrechtsschutz (es gehe nicht an, daß man im Netz weniger Rechte hat, als in den Printmedien), für Zugang der Strafverfolgungsorgane zu verschlüsselten Daten (Kryptographiegesetz ist in Arbeit) und für Ausweitung der Jugendschutzbestimmungen auf die neuen Medien (ist ebenfalls in Arbeit). Was wird da am Ende herausschauen?
Wenn man den Stimmen aus Bonn lauscht, muß man trotz allen Schönredens über Transparenz und Bürgernähe wohl davon ausgehen, daß auch die tollen neuen elektronischen Medien nicht die große Wende herbeigeführt haben. Im Vergleich zu den während der Konferenz vorgestellten fortgeschritteneren Entwicklungen in anderen Ländern ist die Politikvernetzung hierzulande noch spärlich. Wenige und zudem oft eher langweilige Websites der Ministerien, Behörden, Parteien. Noch kaum ein Abgeordneter per Email ansprechbar. Auch Televoting als Stärkungsmittel für die Demokratie, wie es die Konferenzreferentin Christa Slaton am Beispiel "Hawaii Televote Project" vorgestellt hat, ist hierzulande noch nicht in Sicht.
Vielleicht wird es ja irgendwann in ferner Zukunft auch auf unserem Planeten so weit kommen, daß ganz drastische Maßnahmen zur Demokratiebelebung eingeführt werden. Dann wird man sich der Forderung nach mehr Öffentlichkeit und verbesserter Partizipation bei der Multimediagesetzgebung sich nicht mehr lau entziehen können mit Sprüchen wie: "Die Gesetzesentwürfe sind alle öffentlich und abrufbar gewesen. Sie haben sich nie mit mir in Verbindung gesetzt, aber jetzt kommen sie auf einmal mit einer Erklärung daher", sondern vielleicht jederzeit und überall online erreichbar sein. Technisch ja kein besonderes Problem, kleine Netzkamera ins Auge und schon wird jede Information, jeder Beschluß, jeder Entwurf sehr öffentlich und sehr abrufbar überall, wo sich die Bürgerinnen und Bürger einloggen. Der alte, schon in "Per Anhalter durch die Galaxis" beschriebene Trick des öffentlichen Aushangs in irgendwelchen abgelegenen Kellerräumen (es ging um die Bekanntmachung der Sprengung der Erde, die einer intergalaktische Umgehungsstraße im Wege ist) wird dann nicht mehr funktionieren. Diejenigen politischen Repräsentanten, die nicht stets pünktlich und aufmerksam ihre elektronischen Bürgerbriefkästen bearbeiten, werden festverkabelt und können sich nicht mit "Ich kenn mich mit diesen neuen Technologien zugegebenermaßen nicht aus" dem Bürgerdialog entziehen. Vielleicht wird man auch auf Repräsentanten aus Fleisch und Blut ganz verzichten irgendwann zugunsten effektiver arbeitender, lückenlos überwachbarer, per TED-Entscheidungen steuerbarer elektronischer Agenten?
Klar, das ist eine noch völlig von jedem realen Trend weit entfernte Gedankenspielerei. Aber dennoch liegt in solch einem absurden SciFi Szenario ein Motiv für die zu beobachtende vornehme Zurückhaltung der Politik was die online Erreichbarkeit und die Informationsangebote betrifft. Auch wenn von den neuen Medien keine Wunder erwartet werden können, macht es einen deutlichen Unterschied in Punkto Öffentlichkeit, ob man den herkömmlichen Weg der schriftlichen Anfrage etwa im Bundespresseamt oder bei Abgeordnetem XY (Adresse herausfinden, Brief schreiben, Umschlag und Briefmarke suchen, zum Postkasten bringen und dann warten) oder ob man dies mit weniger Aufwand per Mausklick tun kann. Naja... All das ist ja bekannt. Steht längst in den FAQs. Die Phase der Erstaufklärungs- und Missionierungskonferenzen (Das ist eine Dampfmaschine. Das ist elektronische Post usw.) ist vorüber.
Daß so viele Aspekte der Netzwelt bereits zum allgemeinen Wissensstand gehören, und es für Schreibende wie für Konferenzreferenten immer schwieriger wird, etwas Neues zum Thema Netze mitzuteilen, ist doch ein ganz gutes Zeichen.
Es bewegt sich. Und alle sind aufgefordert, sich mitzubewegen :-)