Investment ohne angemessenen Profit kann als "indirekte Enteignung" gewertet werden

Seite 2: Indirekte Enteignungen und Nicht-Erfüllung von Erwartungen

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Wenn CETA von (Entschädigungen für) "Enteignungen" spricht, versteht es darunter auch "indirekte Enteignungen". Solche "indirekten Enteignungen" sieht CETA u.a. dann vorliegen, wenn

  • Maßnahmen der Vertragsstaaten sich wirtschaftlich stark auswirken,
  • lange andauern
  • und stark "die mit Investitionen verbundenen angemessenen Erwartungen stören".

1. (b) indirect expropriation occurs where a measure or series of measures of a Party has an effect equivalent to direct expropriation, in that it substantially deprives the investor of the fundamental attributes of property in its investment" …

2. The determination of whether a measure (…) constitutes an indirect expropriation requires (…) among other factors:

(a) the economic impact of the measure or series of measures, although the sole fact that a measure or series of measures of a Party has an adverse effect on the economic value of an investment does not establish that an indirect expropriation has occurred;

(b) the duration of the measure or series of measures by a Party;

(c) the extent to which the measure or series of measures interferes with distinct, reasonable investment-backed expectations.

Annex X.11: Expropriation, S. 184

Prinzipiell kann also jedes Investment, das keinen "angemessenen" Profit einfährt, eine "indirekte Enteignung" sein, die zu einem Schiedsgerichtsverfahren berechtigt.

Allerdings gibt es eine Einschränkung: Keine "indirekte Enteignung" soll vorliegen, wenn Maßnahmen

  • nicht einzelne Investoren diskriminieren und
  • den legitimen Gemeinwohlzielen wie Gesundheit, Sicherheit und Umwelt dienen.
  • (…) non-discriminatory measures of a Party that are designed and applied to protectlegitimate public welfare objectives, such as health, safety and the environment, do not constitute indirect expropriation.

Das öffnet bei allen Verbraucher-, Umwelt- oder Arbeitnehmerschutzgesetzen ein weites Feld für Verfahren, ob dabei

  • wirklich kein Investoren "diskriminiert" wurde und
  • die verfolgten öffentlichen Ziele wirklich "legitimen Gemeinwohlzielen" dienen sollten.

Inflationierung von Schiedsgerichtsverfahren?

In einer Erklärung zum Investitionsschutz ("Declaration to Investment Chapter Article X.11 Paragraph 6", S. 185) glaubten EU und Kanada, gegen eine Inflationierung von Schiedsgerichtsverfahren extra zu Protokoll geben zu müssen, dass Schiedsgerichte die nationalen Gerichte nicht aushebeln sollen:

  • Die Schiedsgerichte für Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten sollen "keine Beschwerdeinstanz für nationale Gerichte" sein.
  • Auch bei Fragen des geistigen Eigentums sind nationale Gerichte nach wie vor zuständig.
  • Jedem Vertragsstaat "steht es frei, die geeignete Methode für die Umsetzung der Bestimmungen dieses Abkommens über geistiges Eigentum in ihren eigenen Rechtssystem und Praxis zu bestimmen".

Kanada hat sich in CETA das Recht ausbedungen, sich wegen bestimmten Verweigerungen von Investitionen nicht anklagen lassen zu müssen - ein Gummiparagraph, denn "dieser Ausschluss gilt unbeschadet des Rechts (… von Investoren) auf Streitbeilegung in Bezug auf die Konsistenz einer [kanadischen] Maßnahme mit Vorbehalten [eine Investors]. (S. 183) Rechtsklarheit sieht anders aus.

A decision by Canada (…) not to permit an investment (…) is without prejudice to the right of any Party to have recourse to Chapter X (Dispute Settlement) with respect to the consistency of a measure with a Party’s reservations.

Annex X.43.1 - Exclusions from Dispute Settlement, S. 183

Im Abschnitt [transnationale] Dienstleistungen betont CETA als "spezifische Ausnahmen" einen Datenschutzgrundsatz :

Kein Vertragsstaat soll (…) Bankkonten von Verbrauchern, grenzüberschreitenden Finanzdienstleistern (…) oder irgendwelche vertraulichen Informationen ausspähen oder ausspähen lassen, wenn das (…) rechtliche oder Strafverfolgungsangelegenheiten oder (…) legitime geschäftliche Interessen einzelner Unternehmen beeinträchtigen würde.

S. 264

Geistige Eigentumsrechte, Camcording, "Gorgonzola" und "Nürnberger Bratwürste"

Im langen Abschnitt über "geistige Eigentumsrechte" ("22. INTELLECTUAL PROPERTY, Intellectual Property Rights, IPR", S. 339 - 375) geht es umfassend um Urheberrecht, Markenrecht, Patente, Geschmacksmuster, Geschäftsgeheimnisse und Lizenzen. Dabei wird auf das TRIPS-Abkommen Bezug genommen (S. 339 f).

Neben den Interessen der Pharma- und Softwareindustrie und einer Ermutigung zur strafrechtlichen Verfolgung von "Camcording" (sog. "Filmpiraterie", "Article 5.6", S. 343) nimmt der Streit über europäische Käse- und kanadische Rindfleischexporte den grüßten Raum ein.

Dass sich die Verhandlungen über das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen wegen der Sicherung landwirtschaftlicher Standards und geschützter Herkunftszeichnungen lange hingezogen hatten, kann man dem Text des Abkommens ansehen, der hier (wie auch an vielen anderen Textstellen) noch Anmerkungen der beteiligten Unterhändler enthält:

Der Agrarstreit wurde so beigelegt, dass einerseits der Schutz von Herkunftsbezeichnungen anerkannt wird ("Article 7.4 - Protection for geographical indications listed in Annex I", S. 345), andererseits für Herkunftsbezeichnungen wie "Asiago", "Feta", "Fontina", "Gorgonzola" and "Munster" sowie "Nürnberger Bratwürste" Übergangsbestimmungen erlassen oder kanadische Vermarkung erlaubt werden, sofern sie von Ausdrücken wie "kind", "type", "style", "imitation" "or the like" begleitet werden (S. 345).

In "ANNEX I -- Part A" werden u.a. folgende 14 deutsche Produkte geschützt als:

Bayerisches Bier, Münchener Bier, Hopfen aus der Hallertau, Nürnberger Bratwürste, Nürnberger Rostbratwürste, Schwarzwälder Schinken, Aachener Printen, Nürnberger Lebkuchen, Lübecker Marzipan, Bremer Klaben, Hessicher Handkäse, Terttnanger Hopfen und Spreewälder Gurken.

Geographical Indications Identifying a Product Originating in the European Union" (S. 363

Gemeint sind bei letzteren wohl "Hessischer Handkäse" und "Tettnanger Hopfen".