Irak: US-Militärberater unter IS-Beschuss
In der irakischen Provinz Anbar wächst laut einem Zeitungsbericht das Risiko, dass die US-Armee tiefer in den Krieg gegen den IS gezogen wird
Die amerikanische Militärstrategie im Irak gibt manche Rätsel auf, stellt der britische Irak-Reporter Patrick Cockburn fest. Zu den unbeantworteten Fragen, die sich ihm stellen, gehört, wie es passieren konnte, dass die USA seit 2003 26 Milliarden Dollar in den Aufbau und die Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte -350. 000 Soldaten und 650.000 Polizisten - investiert haben, um im Sommer vergangenen Jahres deren Unfähigkeit, den IS-Milizen Gegenwehr zu bieten, zu beobachten. Als bittere Pointe streicht Cockburn heraus, dass teueres Kriegsgerät wie Panzer in die Hände der IS-Dschihadisten fielen.
Das ist im Grunde, wie auch die "Geistersoldaten der irakischen Armee", aus den perodischen Berichten des Generalinspektors für den Wiederaufbau Iraks (SIGIR) bekannt (vgl. Der Wiederaufbau-Pfusch), Cockburn spitzt deren Erkenntnisse über das Versickern der Gelder aber unter Absehung von Korruption und Veruntreuung noch weiter mit der Frage zu, ob denn die Anschaffung oder Investition in möglichst raffinierte High-Tech-Waffen nicht eine Ignoranz zeige gegenüber der Realität der kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Boden Iraks.
Die US-Generäle müssten sich endlich der Kritik stellen, dass die Gegner mit wesentlich billigeren Waffen wirksamer operierten. Der Militär-Führungsstab handele wie Figuren im Wunderland von Alice. Dass die Waffenindustrie von dieser kindlichen Lust an teuren High-End-Waffen ganz real profitiert und dazu gutes Werbematerial von echten Kriegsschauplätzen bekommt, darauf geht Cockburn nicht ein.
Aber er berührt ein weiteres Rätsel im gegenwärtigen irakischen Kriegsschauplatz: Worin denn der Nutzen der 3.000 US-Militärberater bestehen könnte, wenn die Ausbildung irakischer Soldaten durch amerikanische Soldaten schon einmal derart wenig erfolgreich war? Wie könnte die US-Militärführung ein wirksames Ausbildungsprogramm bewerkstelligen, wenn allles daraufhin deute, dass man sich keinerlei Fragen darüber gestellt hat, was zwischen 2003 und 2014 schief gelaufen ist? Cockburn setzt seiner Polemik noch eins drauf mit dem Kontrast, dass bei der IS offensichtlich schon zwei Wochen militärischer Ausbildung und religiöser Unterweisung genügen würden, "um effektiv zu kämpfen" - auf das Phänomen der Selbstmordattentate geht der Autor dabei aber nicht ein.
Cockburns Antwort ist hypothetisch: Möglicherweise würde den irakischen Soldaten die Tatsache, dass sie von ausländischen Militärs ausgebildet werden, die Kampfmoral untergraben: "(it) delegitimises them in their own eyes and that of their people".
Fragen nach der Tätigkeit der 3.000 US-Militärberater, die in diesem Jahr im Irak operieren sollen, bleiben unbeantwortet. Ein aktueller Bericht der Washington Post, der sich mit den US-Advisors im Irak beschäftigt, lässt ebenfalls vieles offen, rückt aber einen Aspekt in den Vordergrund, der in den kommenden Wochen noch für politisch-militärische Aufregung sorgen könnte: die Möglichkeit, dass IS-Milizen Basen erobern, in denen mehrere hundert US-Berater untergebracht sind - zur großen Freude der Medienspezialisten des IS.
Die US-Zeitung berichtet davon, eine Militärbasis in der irakischen Provinz Anbar, wo sich mehr als 300 US-Soldaten aufhalten, seit Wochen von IS-Milizen attackiert und beschossen wird. Seit Dezember habe die US-Luftwaffe mit 13 Luftangriffen in der Umgebung darauf reagiert. Bislang gebe es noch keine amerikanischen Todesopfer. Aber das Risiko steige, so der Washington Post-Bericht. Als Beleg dafür führt der Bericht an, dass die US-Armee damit begonnen habe, Soldaten auf den nahegelegene Ayn al-Asad-Stützpunkt zu transferieren. Laut Zeitung sollen mehrere Basen, in denen sich US-Berater aufhalten, Angriffen von IS-Milizen ausgesetzt sein.
Vorstellbar ist auch, dass solche Berichte in US-Leitmedien dazu genutzt werden, um die amerikanische Öffentlichkeit auf einen Einsatz von amerikanischen Bodentruppen vorzubereiten. US-Soldaten als Geiseln oder Opfer brutaler IS-Gewalt könnten das Diktum Obamas, keine "US-boots on the ground" im Kampf gegen die Dschihadisten einzusetzen, ziemlich schnell aufweichen. Immerhin hat der Präsident stets betont, dass er sich alle Optionen offen halte. Die Propagandisten des IS würden darüber vermutlich nicht unglücklich sein.