Irak: Viele Tote bei Protesten
In zwei Nachbarländern Syriens gibt es Straßenproteste gegen die Regierungen. Auch die Interessen der USA sind im Spiel
In zwei Nachbarländern Syriens, im Libanon und im Irak, gibt es Proteste. In beiden Ländern spielt Iran eine wichtige Rolle. Daran ist schon erkennbar, dass die Proteste jeweils das Potential haben, von bestimmten Interessen weiter aufgestachelt zu werden. Zugrunde liegen den Protesten in beiden Ländern Versorgungsnöte, Korruption, Klagen gegen eine Eliten-Wirtschaft und miserable Aussichten für die Jugend. In beiden Ländern wird die Ablösung der Regierung gefordert.
"Der Libanon wird nicht im Chaos münden", so die Einschätzung des belgischen Journalisten Elijah J. Magnier, der, insbesondere wenn es um schiitische Parteien und Kräfte geht, gut vernetzt und unterrichtet ist. Auf seinem Twitter-Account gibt er einen deeskalierenden Aufruf des Hisbollah-Führers Nasrallah wider, der an die Protestierenden appelliert, auf der Straße zu bleiben, aber diese für Leute, die zur Arbeit gehen, offen zu halten.
Er ruft dazu auf, Vertreter auszusuchen, die mit dem Präsidenten verhandeln und darauf aufzupassen, dass die von der Regierung versprochenen Reformen umgesetzt werden. Die Anhänger der Hisbollah sollten sich von der Straße zurückziehen.
Warnungen vor einer Intervention von außen
Das Twitter-Posting macht darauf aufmerksam, dass ein gewisses Risiko besteht, wonach die Proteste aus dem Ruder laufen können und zum anderen, dass sich die Hisbollah, anders als es in manchen Berichten nahegelegt wird, nicht prinzipiell gegen die Proteste stellt, sondern sie in ihren Forderungen unterstützt.
Magnier ist nicht der Einzige, der vor den Folgen von Interventionen von außen warnt, unter denen in der jüngeren Geschichte des Nahen Ostens vor allem die Bevölkerung zu leiden hatte - der Libanon sollte seine Probleme allein lösen.
Gewaltsamer Verlauf der Proteste im Irak
Im Vergleich zu den Protesten im Libanon zeigen die Proteste im Irak bereits eine ganze andere Dimension der Gewalt. Die Bilanz der gestrigen Straßenproteste liegt bei über 30 Toten. Das kurdischen Medium Rudaw beziffert sie sogar auf über 40. Für Rudaw ist offensichtlich, dass die irakische Polizei dafür verantwortlich ist.
Dem Bericht ist allerdings auch zu entnehmen, dass erneut Parteizentralen, wie das Hauptquartier der Badr-Organisation, das gute Verbindungen zu Iran hat, in Diwanija, angegriffen wurden - was ein Indiz dafür ist, dass sich die Proteste nicht nur aufgrund der wirtschaftlichen Nöte gegen die Regierung richtet, sondern dass es auch um andere politische Rechnungen und Machtkämpfe geht.
Der gestrige Protesttag war als großer Tag der Demonstrationen angekündigt worden. Nachdem die Proteste Anfang Oktober ausbrachen und bald, wie befürchtet, eskalierten - mit weit über 100 Toten, gab es durch schiitische Feiertage eine Pause. Gestern wurden sie wieder aufgenommen und allem Anschein nach, ging es in mehreren Städten ziemlich gewaltsam zu.
Diesmal soll die bekannte schiitische Schlüsselfigur Muqtada as-Sadr die Proteste anders als zuvor mitorganisiert haben, wie sehr dies die Proteste und deren Verlauf prägte, wird allerdings aus den ersten Berichten noch nicht klar. Muqtada as-Sadr hat eine starke politische Fraktion im irakischen Parlament, die in der Opposition ist, was nahelegen würde, dass er an einem Regierungswechsel interessiert ist.
Allerdings sind die Motive des Schiitenführers nicht immer klar zu enträtseln, auch sein Verhältnis zu Iran ist ambivalent. Zwar gibt es eine Nähe zum obersten geistlichen Führer Ayatollah Khamenei, anderseits ist as-Sadr für seinen irakischen Nationalismus bekannt.
Aufrufe zur Deeskalation
Deutlich ist, dass die Regierung unter Ministerpräsident Abdul Mahdi stark unter Druck steht; sie muss sich nicht nur grundlegend Misswirtschaft und Korruption vorhalten lassen - die sie allerdings zu großen Teilen von der Vorgängerregierung "geerbt" hat, sondern auch ein gewaltsames Vorgehen bei der ersten Protestwelle, wie der Ministerpräsident selbst einräumte: "Die Streitkräfte für die Unterdrückung der Demonstrationen einzusetzen, war ein großer Fehler. Davon müssen wir schnell wegkommen, denn die Aufgabe der Streitkräfte ist es, gegen den Feind zu kämpfen." (Tagesschau)
Der Regierungsbericht über den Gewalteinsatz hatte, wie sich gestern zeigte, wenig dazu beigetragen, die Situation zu beruhigen, ebenso wenig wie die Reformversprechen aus Bagdad. Auch der einflussreiche Ayatollah Ali-Sistani hatte, wie schon bei der ersten Protesten, mit seinem Appell an Zurückhaltung aufseiten der Sicherheitskräfte wie aufseiten der Demonstranten augenscheinlich bislang wenig Erfolg.
Militärpräsenz der USA im Irak
Für die USA - wie auch in einer anderen Sache für Frankreich - sind die Entwicklungen im Irak von besonderer Bedeutung. Nach dem Abzug aus Syrien, der sich mit der von Trump neuerdings ins Spiel gebrachten Weiterführung der Besatzung der Ölfelder in Syrien wieder einmal hinauszögert, wird kommt der US-Militärpräsenz im Irak eine sehr wichtige Rolle zu.
Im Irak gibt es aber ausgesprochene Gegenstimmen dazu. Ob sie durch die Proteste noch mehr Gewicht bekommen, berührt regionale Interessen der USA im Kern. Die USA hatten vor, von dort aus über die Entwicklungen in Syrien zu wachen und ihren Einfluss gegebenenfalls mit Einsätzen aus dem Irak heraus geltend zu machen. Die irakische Regierung lehnt dies strikt ab.
Frankreich erhielt kürzlich von der Regierung in Bagdad eine Absage für den Wunsch, weitere IS-Gefangene mit französischer Staatsbürgerschaft von Nordsyrien in den Irak zu bringen.