Libanon: Proteste gegen Banken und die politische Elite
Die Regierung reagiert mit einem Reformpaket. Den Protestierern geht das nicht weit genug. Sie wollen eine Interimsregierung
Die Banken im Libanon waren die Profiteure der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre. Die öffentlichen Schulden im Land übersteigen 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die Zinszahlungen belaufen sich auf 50 Prozent der Staatseinkommen. Bemerkenswert ist folgende Beobachtung: "Viele dieser Banken gehören Politikern des Landes und ihren Verwandten." (Heiko Wimmen, International Crisis Group)
Heute Morgen gab es Proteste vor der Zentralbank in Beirut. "Wir bezahlen nicht für die Schulden, die ihr uns aufsattelt." Zu den Zielen der Empörung gehört Riad Salameh, der Chef der libanesischen Zentralbank, der eine Hauptrolle in einem System spielt, gegen das sich die gegenwärtigen Proteste im Libanon richten.
Wut gegen Austeritätspolitik
Man könnte sie mit Wut gegen Austeritätspolitik und gegen die korrupte Herrschaft von Eliten überschreiben. Unter dem weit gespannten Titel "Der gewaltsame Niedergang des neoliberalen Imperiums" bringt das französische Internetmagazin Mediapart die Proteste in Chile, Hongkong und auch in Spanien unter ein Dach.
Es springen auch Ähnlichkeiten der Proteste im Libanon zu denen im Irak und in Algerien ins Auge: Die Jugend prägt das Bild der Proteste auf den Straßen, die Arbeitslosigkeit der Unter-25-Jährigen soll angeblich 37 Prozent betragen; jedes Jahr bleiben 30.000 Hochschulabsolventen ohne Job, berichtete die libanesische Zeitung an-Nahar im August mit der Warnung, dass eine paralysierte Jugend zu einem paralysiertem Land führt - oder zu einer "Revolution", wie ein von der Zeitung befragter Journalist argwöhnte.
Die erscheint allerdings im Libanon, wo die Proteste ab 18. Oktober mit ziemlicher Wucht die internationale Öffentlichkeit auf sich aufmerksam machten, weit entfernt, auch wenn die Demonstranten bekunden, dass sie nach dem Einlenken der Regierung unter Premierminister Hariri weitermachen wollen, bis eine Interimsregierung eingesetzt wird.
Die Wahrscheinlichkeit einer "Revolution" ist nicht groß. Innenpolitisch wie außenpolitisch gibt es starke Interessen, das Land, das eine wichtige Position im Nahen Osten hat, vor einer instabilen Situation zu bewahren. Keiner aus dem regierenden Dreier-Bündnis der christlichen Freien Patriotische Bewegung, der Hisbollah und der Zukunftspartei von Hariri will die Regierung aufgeben.
Reformmaßnahmen
Dass nun die Banken in die Schadensbegrenzung einbezogen werden und höher besteuert werden sollen, zeigt allerdings auch, wie sehr die Regierung unter Druck geraten ist. Zu den angekündigten Reformen gehört, dass die Banken Schulden tilgen, von denen sie profitiert haben. Auch dass die Einkommen der Abgeordneten deutlich gekürzt werden und das Informationsministerium abgeschafft werden soll, gehört zu den Maßnahmen, die die Straßenproteste beruhigen sollen.
Dazu kommen Kürzungen von staatlichen Subventionen für Bereiche, bei denen die Korruption offensichtlich war, die Schaffung eines neuen Gesetzes zur Ahndung des Diebstahls von öffentlichen Geldern und deren Wiedererlangung, der Verzicht auf neue Steuern, die Beschleunigung beim Bau neuer Energiekraftwerke, eine deutliche Steigerung von sozialen Unterstützungsmaßnahmen für Ältere und Familien und die Privatisierung von Telekommunikationsunternehmen.
Mag das letztere erneut wie aus dem Portefeuille einer neoliberalen Politik stammen, so reagiert dies wie auch andere der genannten Reformvorschläge auf die spezifischen Auslöser der Proteste. Zu denen gehörte die Besteuerung von Telefonaten, die über Whats App geführt werden. Das hat nach Ansicht vieler Berichte das Fass zum Überlaufen und die Menschen auf die Straße gebracht. Waldbrände, die in der letzten Woche in enormen Ausmaß im Libanon wüteten, führten darüber hinaus vor, welchen Preis das Land für die Austeritätspolitik auch an dieser Front bezahlt: Der Feuerwehr fehlte es an Mitteln.
Die Reichen wurden reicher
Die Regierung begegnete der hohen Staatsverschuldung mit einer allseits bekannten Politik: Die Reichen wurden reicher, die große Masse sollte über Verbrauchssteuern bezahlen, das traf besonders die Ärmeren. Dass auf den Protestplakaten öfter das Wort "Diebe" auftaucht, gehört zu dieser Ausbeutung. Dazu haben sich die Lebenshaltungskosten in den letzten Jahren erhöht.
Die Versorgung mit Elektrizität wurde teurer und spärlicher. Wegen der vielen Stromausfälle schafften sich Haushalte eigene Generatoren an, die einiges Geld kosten. Über den Ausfall öffentlicher Leistungen wurde seit Jahren geklagt. Manchem Leser dürfte die Müllkrise im Libanon noch in Erinnerung sein.
Wie in anderen Ländern des Nahen Ostens auch, wie jüngst im Irak oder 2011 in Syrien, gibt es bei Protesten, die eine Regierung in Not bringen, immer auch Versuche von außen, mit eigenen Interessen Trittbrett zu fahren oder die Proteste in der ein oder anderen Richtung anzuheizen.
So beobachtet der US-amerikanische Politikprofessor und Blogger libanesischer Herkunft Assad AbuKhalil ("Angry Arab"), dass die Berichterstattung über die Proteste erkennbare Züge des saudi-arabischen Mediennarrativs wiederspiegelt. Andere sehen Anhänger der Hisbollah, die mit Iran verbunden ist, am Werk.
Proteste über konfessionelle und politische Grenzen hinweg
Bislang zeichnen sich die Proteste im Libanon allerdings dadurch aus, dass sie politische und konfessionelle Grenzen überbrücken, sie finden nicht nur in Beirut statt, sondern auch in anderen großen Städten. Die Proteste verweigern sich einer Parteizuordnung. Es geht gegen "Warlords und Milliardäre", so der frühere libanesische Minister und Ökonom Charbel Nahas.
Man kann daran erinnern, dass die Aufteilung in Konfessionen, die beim Regierungssystem eine tragende Rolle hat, ein Erbe europäischer Machtpolitik ist, die auf divide et impera setzten, in den Nahostkonflikten werden diese Spaltungen oft von außen geschürt. Libanon hatte vor dem Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 eine starke Linke, die auf andere arabische Länder ausstrahlte. Ob diese Tradition wieder aufgenommen wird?
Jedes Land hat ganz eigene politische Verhältnisse, wie der Westen auf deutliche Weise in Syrien erfahren hat, das ganz und gar nicht dem Schema des "arabischen Frühlings" in Tunesien und Ägypten folgen wollte. Im Libanon stehen die Proteste in einer eigenen Tradition. Wie weit sie tragen, ist schwer vorauszusagen. Gut möglich ist, dass sie wie im Nachbarland Irak, aber hoffentlich mit weniger Gewalt, bald unter Kontrolle sind.
Der Kern der Unzufriedenheit reicht allerdings tief. Es geht um die Nichtachtung breiter Bevölkerungsschichten durch eine politische Elite, die sich, wie es scheint, ihre Maßstäbe vor allem aus Fundus der Glaubensbekenntnisse des World Economic Forum holt
Der anfangs genannte deutsche Experte des Think Tanks International Crisis Group, Heiko Wimmen, der in Beirut lebt, beobachtet eine Stimmung innerhalb der Protestbewegung, die darauf ausgerichtet ist, "die politische Elite ingesamt rauszuwerfen". Das gehe aus mehreren Manifesten hervor, die einen sofortigen Rücktritt der Regierung verlangen zugunsten einer neuen, die "unabhängig von politischen Parteien" ist. Sollte sich diese Stimmung durchsetzen, so stünde dem Land eine längere Phase der Unruhe bevor.
Es gibt allerdings auch Beobachter, die davon ausgehen, dass die libanesische Armee den Protesten ein Ende setzen wird. Wie sich heute zeigte, muss das nicht mit grober Härte geschehen. Laut einer Reuters-Meldung vom Diensttagvormittag räumte die Armee Straßenblockaden, ohne Gewalt anzuwenden.