Irland und Corona: falsche Weihnachtsunterbrechung oder falsche Maßnahme?
Das EU-Land, das im Oktober den frühesten und härtesten Lockdown verhängte, hat jetzt die zweithöchste Positivtestrate der Welt
Gestern Abend gab die irische Regierung bekannt, dass in den 24 Stunden davor 3.569 Einwohner positiv auf das Sars-CoV-2-Virus getestet wurden. Nimmt man die Positivtests in den beiden letzten Wochen zum Maßstab, dann verzeichnet das Land der Statistik der Johns-Hopkins-Universität zufolge nach Tschechien nun weltweit die höchste Zahl pro Kopf.
Wegen Quarantäneanordnungen fehlen in Krankenhäusern ungefähr 600 Pflegekräfte und Ärzte
Darauf, dass das nicht nur an vielen Tests liegt, deuten Klagen aus irischen Krankenhäusern hin, in denen aktuell etwa 1.700 Covid-19-Patienten behandelt werden. Rund 150 von ihnen liegen auf Intensivstationen. Damit befinden sich die Krankenhäuser dem Health-Service-Executive-Direktor Paul Reidseien zufolge bereits "jenseits der Belastungsgrenze". Alan Irvine, der Chef der Irish Hospital Consultants Association, spricht sogar von einem "nationalen Notfall".
Allerdings sind davon nicht alle irischen Krankenhäuser im gleichen Ausmaß betroffen: Nur in dreien gibt es derzeit überhaupt keine freien Betten mehr. Die Intensivbetten sind in 13 komplett belegt. Das liegt auch daran, dass wegen Quarantäneanordnungen ungefähr 600 Pflegekräfte und Ärzte fehlen. Im gesamten Gesundheits- und Pflegebereich sind es dem HSE nach sogar 5.000.
Zwei entgegengesetzte Erklärungsansätze
Ende Oktober hatte Irland als erstes europäisches Land einen strengen Zweite-Welle-Lockdown verhängt, in dem sich die Iren ohne Ausnahmegründe nicht mehr als fünf Kilometer von ihren Haushalten entfernen durften (vgl. Irland: Lockdown soll "Weihnachten retten"). Im Dezember wurde dieser Lockdown etwas gelockert (vgl. Iren dürfen wieder zum Friseur, Österreicher nicht), danach verschärfte ihn die Regierung erneut.
Nun debattiert man in Medien, warum die Zahl der Positivtests so hoch ist. Ein Ansatz, den unter anderem der Dubliner Soziologe Sean L’Estrange vertritt, sieht die Lockerung des Lockdowns im Dezember als Hauptursache dafür. Ein dem diametral entgegengesetzter beruft sich unter anderem auf eine neue Peer-Review-Studie des Stanford-Epidemologen John Ioannidis. Er sah sich die Sars-CoV-2-Entwicklungen in zehn Ländern mit verschiedenen Maßnahmen an und konnte "in keinem Land einen klaren, signifikanten positiven Effekt von [strengen Lockdowns] auf das Fallwachstum" feststellen.
Anfällige Haplogruppe R1b
Unumstritten ist, dass die britische Sars-CoV-2-Mutation zur deutlich gestiegenen Zahl der Positivtests in Irland beigetragen hat: Das Vereinigte Königreich ist mit Irland nicht nur wirtschaftlich eng, sondern auch durch Familienbeziehungen eng verbunden. Deshalb überrascht es nicht, dass der Anteil der britischen Variante in Stichproben der irischen Tests zwischen Ende Dezember und jetzt von neun auf 45 Prozent stieg.
Hinzu kommt, dass Studien bereits im letzten Jahr eine genetisch bedingt höhere Anfälligkeit der Haplogruppe R1b für Sars-CoV-2-Viren postulierten. Diese Haplogruppe ist mit über 90 Prozent vor allem in Irland, Wales, Cornwall und im Westen Schottlands und Englands weit verbreitet. In der Bretagne, im Westen Frankreichs und im Nordwesten Spaniens liegt ihr Anteil bei über 80 Prozent, in den Mitten der beiden Länder bei über 60. Auch alle diese Gebiete wurden im weltweiten Vergleich überdurchschnittlich stark von der Seuche getroffen.
Doch nicht aus China?
Hier besteht allerdings noch viel Forschungsbedarf, den es auch bezüglich des Übersprungs der Sars-CoV-2-Viren auf den Menschen gibt. Ob dieser Übersprung tatsächlich in China geschah, wird derzeit von Mitarbeitern der Weltgesundheitsorganisation WHO untersucht (vgl. Suche nach Coronavirus-Ursprung: WHO-Experten-Team in China eingetroffen). Kurz vor ihrer Abreise nach Wuhan hat die von der chinesischen Staatsführung ins Spiel gebrachte Möglichkeit, dass der Erreger über tiefgekühlte Lebensmittel aus Europa nach China kam, neue Nahrung erhalten:
Ein Team um den Mailänder Dermatologen Raffaele Gianotti hat nämlich im British Journal of Dermatology die Ergebnisse der Untersuchung einer Hautprobe veröffentlicht, die einer 25-jährigen Italienerin bereits im November 2019 entnommen wurden - also zu einem Zeitpunkt, bevor man das Virus in China entdeckte. Die Gewebeprobe war der 25-Jährige damals wegen eines monatelang andauernden Hautausschlages entnommen worden.
Nachdem im letzten Jahr Untersuchungen darauf hindeuteten, dass sich das Sars-CoV-2-Virus auch "an der Haut manifestieren" kann, untersuchte Gianotti diese Gewebeproben mit dem RNA-FISH-Verfahren und entdeckte dabei die Erreger um eine entzündete Schweißdrüse herum. Bereits vorher hatte man mögliche Sars-CoV-2-Spuren in Turiner Abwasserproben aus dem Dezember 2019 entdeckt, die man sich damals mit Verunreinigungen durch Laborchemikalien erklärte.
Dass das Virus wahrscheinlich von der Fledermaus auf den Menschen übersprang, muss einem ersten Auftauchen in Italien nicht widersprechen. Denn auch dort gibt es Fledermäuse. Und auch dort wurden sie gegessen.
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