"Islands Häresie stellt einen Test der ökonomischen Doktrin da"
Island erholt sich von der Krise - auch weil es sich weigerte, die Bankenschulden zu sozialisieren, und mehr Demokratie zugelassen hat. Nun stellt sich der IWF hinter Island
Island, das im Oktober 2008 seine aufgeblähten Banken gerettet hat und kurz darauf selbst vor der Pleite stand, erholt sich von der Krise. Maßgeblich beteiligt war die Entscheidung, die Bankenschulden nicht zu sozialisieren, den Wohlfahrtstaat zu erhalten und die Bürger stärker in die Politik einzubeziehen. Während Ökonomen dies lange als sicheren Weg in den finanziellen Selbstmord gebrandmarkt haben, sprechen nun die Tatsachen für Islands Politik. Auch der IWF stellt sich hinter Island und will aus seinem Einsatz auf der Insel Lektionen ziehen. Das könnte ein Umdenken der mächtigen Institution einleiten.
Die Präsidenten der Isländer werden zwar vom Volk gewählt, sie machen aber wie die der Deutschen vor allem dann Politik, wenn sie etwas nicht tun. Olafur Ragnar Grimsson ist der fünfte isländische Präsident, und er ist der erste, der sein höchstes Privileg vollzogen hat.
Grimsson hat zwar bereits 2004 ein umstrittenes Mediengesetz nicht unterzeichnet, internationale Furore machte er aber 2010 und 2011, als er sich weigerte, das Icesave-Gesetz zu unterzeichnen. Damit verhängte er ein Referendum über die Frage, ob der isländische Staat die Auslandsschulden einer insolventen Privatbank sozialisieren sollte (Wer falsch abstimmt, den bestraft der IWF). Die Referenden fielen eindeutig aus, Island ließ private Gläubiger die Schulden der Banken tragen.
Das ist bemerkenswert, weil ein solches Verfahren in den meisten EU-Ländern gar nicht erst zur Debatte steht oder es unter dem Vorwand der "Alternativlosigkeit" im Keim erstickt wird, wenn ein europäischer Staatsführer doch auf die närrische Idee käme, sein Volk in Fragen mitbestimmen zu lassen, die angeblich Sache der Märkte sind.
Noch bemerkenswerter ist allerdings, dass ausgerechnet der IWF seit kurzem Grimsson den Rücken stärkt. "Private Gläubiger mussten am Ende die meisten Verluste der insolventen Banken schultern, und heute erlebt Island eine moderate Erholung", so die Organisation in einem im November veröffentlichten Beitrag. Dabei war der IWF noch 2010 - nach dem ersten Veto von Grimsson über Icesave - in den Verdacht gekommen, als zwischenstaatlicher Gerichtsvollzieher zu agieren. Er hatte die Auszahlung einer weiteren Tranche von Hilfsgeldern an das 2008 so gut wie zahlungsunfähige Island verzögert und an eine Einigung im Icesave-Streit gebunden. Großbritannien und die Niederlande - als Hauptgläubiger der rund fünf Milliarden Schulden - hatten gedroht, Island international zu isolieren. "Uns wurde gesagt, wir würden zum Kuba des Nordens werden, wenn wir die Bedingungen der internationalen Gemeinschaft ablehnten. Aber wenn wir sie akzeptiert hätten, wären wir das Haiti des Nordens geworden", erzählte Grimsson später.
Island wurde weder zum Kuba noch zum Haiti des Nordens
Auch die Prophezeiung vieler Ökonomen, die Ablehnung von Icesave führe zum finanziellen Armageddon, also zur totalen Kredit-Unwürdigkeit Islands, erwiesen sich als Luftblase. "Islands Häresie stellt einen Test der ökonomischen Doktrin dar", sagte Paul Krugmann auf einer vom IWF organisierten Konferenz in Reykjavik. "Die Idee, es würde einen gewaltigen Vertrauensschaden nach sich ziehen, wenn man privatwirtschaftliche Akteure bankrott gehen lässt und den Ausfall der externen Verpflichtungen hinnimmt, hat sich als unwahr herausgestellt."
Der IWF hat sich im Juli 2011 von der Insel abgezogen - aber, so ließen es der IWF und Islands Regierung einstimmig verlauten: nicht wegen des Drucks der verschnupften europäischen Freunde, sondern weil der Einsatz erfolgreich beendet war. Was auch bemerkenswert ist, weil die meisten IWF-Programme eher in einer langanhaltenden Rezession als einer erfolgreichen Rettung münden.
Island ist hingegen ein Erfolgsmodell
Die Wirtschaft wächst wieder, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Krone stabilisiert sich, das Land bringt wieder eigene Staatsanleihen auf den Markt, die Kreditausfallversicherungen auf diese Staatsanleihen sind übrigens günstiger als für die von Irland, das die Schulden seiner Banken in vollem Ausmaß übernommen hat. Das alles bringt den IWF dazu, seine bisherige Strategie zu überdenken.
"Island hat Hü gemacht, während die herrschende Lehre sagte, es müsse Hott machen", sagte Krugmann auf dieser Konferenz. Island - das übrigens als einziges Land aufgrund der Finanzkrise einen starken politischen Linksruck vollzogen hat - erlaubte nicht nur den Banken die Insolvenz und ließ private Gläubiger die Verluste tragen, anstatt diese zu sozialisieren. Die Regierung führte zudem Kapitalkontrollen ein, was die Investoren, so die ökonomische Doktrin, scheuen wie der Teufel das Weihwasser. IWF-Einsatzchefin Julie Kozack erklärte jedoch: "Wir müssen offen für eine breite Spanne politischer Instrumente sein, wenn diese einer kleinen, aber offenen Wirtschaft helfen, mit dem Ein- und Abfließen von Kapital umzugehen." Die Kapitalkontrollen konnten eine Abwanderung von Kapital und ein Verfallen der Krone verhindern.
Eine der großen Lektionen, die Island dem IWF bereitet habe, sei die Rolle des Wohlfahrtsstaates, so der stellvertretende geschäftsführende Generaldirektor Nemat Shafik: Die isländische grün-linke-Regierung entschied sich im ersten Jahr des IWF-Programms gegen die (für Pleitestaaten obligatorischen) Sparprogramme und schützte den Wohlfahrtsstaat. So baute sich die soziale Ungleichheit ab, während sich Island mithilfe des IWF aus einer gigantischen Schuldenkrise befreien konnte. Der Wohlfahrtsstaat, so Shafik, sei ein wichtiges Instrument, um Krisen zu überwinden. Dies bestätigt auch eine aktuelle IWF-Studie, derzufolge Volkswirtschaften schneller und stabiler wachsen, wenn die Einkommensverteilung gerechter ist.
Möglich, dass Island einen Paradigmenwechsel beim IWF eingeleitet bzw. bekräftigt hat, auch wenn der IWF Island explizit als Sonderfall ansieht: "Das schiere Ausmaß des wirtschaftlichen Kollapses brachte es mit sich, dass Island gezwungen war, über den Tellerrand hinauszublicken, als es Ansätze zur Bewältigung der Krise suchte." Dennoch kann man nur hoffen, dass dieser Ansatz auch in der EU ankommt, wo das Festhalten an der ökonomischen Doktrin die Krisenstaaten bislang nur noch tiefer in das Schlamassel reitet.