Israel-Gaza-Krieg und Grundrechte: Wenn die Gewalt auf deutsche Unis abfärbt
Angriff auf jüdischen Studenten und Folgen: Exmatrikulation wird mit Verweis auf Grundrechte abgelehnt. Aber was ist mit dem Strafrecht?
Nach dem Angriff auf einen jüdischen Studenten steht die Freie Universität Berlin (FU) in der Kritik, weil der Kommilitone, der als Täter identifiziert wurde, nicht exmatrikuliert, sondern laut Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) nur mit einem dreimonatigen Hausverbot belegt werden soll. Die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen gefährlicher Körperverletzung. Der 23-Jährige kam aber nicht in Untersuchungshaft, während das Opfer ins Krankenhaus musste.
Körperverletzung: Wer soll jüdische Opfer schützen?
Einige sehen nun die Hochschule in der Pflicht, anstelle von Polizei und Justiz Abhilfe zu schaffen, damit der verletzte Student nicht demnächst mit dem Täter in einem Hörsaal sitzen muss.
Im Polizeibericht heißt es über eine tätliche Auseinandersetzung am vergangenen Samstag nur "Streit zwischen zwei Männern eskaliert". Dort ist der Vorfall sachlich so beschrieben:
Nach den bisherigen Ermittlungen und Aussagen war der 30-Jährige mit einer 24-jährigen Bekannten gegen 23.45 Uhr zu Fuß in der Brunnenstraße unterwegs, als sie auf einen 23 Jahre alten Mitstudierenden ihrer Universität trafen. Zwischen dem 30-jährigen Mann jüdischen Glaubens, der pro-israelische Ansichten in den sozialen Medien vertreten soll, und dem 23-jährigen Studenten, der eine pro-palästinensische Einstellung haben soll, habe sich zunächst ein Streitgespräch entwickelt.
Im Verlaufe des Streits soll der Jüngere den Älteren unvermittelt mehrmals ins Gesicht geschlagen haben, so dass dieser stürzte. Auf den am Boden liegenden Mann soll der Kontrahent dann eingetreten haben und schließlich über die Torstraße in Richtung Ackerstraße geflüchtet sein. Alarmierte Rettungskräfte brachten den 30-Jährigen mit Frakturen im Gesichtsbereich in ein Krankenhaus, in dem er stationär aufgenommen wurde. Lebensgefahr soll für den Verletzten nicht bestehen.
Polizeimeldung vom 03.02.2024
Antizionismus oder Antisemitismus: Dünne Linie an Berliner Unis
Es ist auf jeden Fall ein Beispiel für einen regressiven Antizionismus, der durchaus Berührungspunkte zum Antisemitismus hat. Von einer eindeutig antisemitischen Tat unterscheidet sich der Überfall nach der Beschreibung nur dadurch, dass der Angreifer den Betroffenen Lahav Shapira nicht oder nicht nur wegen seines jüdischen Hintergrunds ausgesucht hat, sondern weil er sich in einer Auseinandersetzung in der Universität Israel verteidigt hatte.
Hier zeigt sich auch, dass sich ein solcher Antizionismus nicht eindeutig vom Antisemitismus trennen lässt, wie viele propalästinensische Aktivisten behaupten.
Symbolischer Israel-Gaza-Krieg: Plakat als Provokation?
So wurde dem Opfer des Angriffs vom Täter vorgeworfen, dass er am Rande auf einer propalästinensischen Aktion die Plakate der Opfer des Hamas-Pogroms vom 7. Oktober aufgehängt hatte. Wenn das von den pro-palästinensischen Aktivisten schon als Provokation aufgefasst wird, kann man tatsächlich von Antisemitismus reden.
Wenn sie wirklich – wie sie oft vorgeben – nur dafür eingetreten wären, dass auch Fotos von palästinensischen Zivilisten gezeigt werden, die im Krieg gestorben sind, hätte man darüber diskutieren können. Auf einer abstrakt humanitären Ebene spricht nichts dagegen, allen Zivilisten zu gedenken. Genau das hat übrigens auch der Bruder des Betroffenen, Shahak Shapira, mit der Aktion "Stand with Humans" eingefordert.
Auf einer politischen Ebene ist es falsch, die Pogrome der Hamas mit den Handlungen des Staates Israel gegen die Hamas auf eine Ebene zu stellen. Wenn aber schon das Zeigen der Plakate der Opfer der Hamas als Provokation gesehen wird, kann man nur von Antisemitismus sprechen.
Verzicht auf Untersuchungshaft: Soll die Uni Abhilfe schaffen?
Der tätliche Angriff auf den politischen Kontrahenten bei einem Zusammentreffen ist dann nur die Fortsetzung dieses regressiven Antizionismus. Es handelt sich also nicht um einen Ausraster während einer politischen Auseinandersetzung. Der Täter hat sein Opfer gezielt angesprochen, provoziert und dann zugeschlagen.
Es ist klar, dass die Tat strafrechtliche Konsequenzen haben wird. Man kann angesichts der Kopfverletzungen und Frakturen im Gesicht des jüdischen Studenten auch fragen, warum die Justiz auf Untersuchungshaft verzichtet hat – dem Vernehmen nach nicht mangels hinreichendem Tatverdacht, sondern unter anderem wegen fester Wohnverhältnisse, die eine Fluchtgefahr unwahrscheinlich machen.
Auch ein zeitweiliges Hausverbot an der Universität für den Täter ist naheliegend, in erster Linie zum Schutz des Opfers. Pro-israelische Kommilitonen haben verstärkt nach dem Pogromen vom 7. Oktober geklagt, dass sie sich an deutschen Hochschulen nicht sicher fühlen.
Jüdische Studierende unter Druck: Positionierung als Must have
Dabei haben sie die propalästinensischen Aktivisten benannt und auch den Druck, der auf sie ausgeübt wurde, wenn sie sich als Verteidiger Israels zu erkennen gegeben haben. Es ist aber etwas irreführend, wenn davon gesprochen wird, dass sich Jüdinnen und Juden generell an den Hochschulen nicht sicher fühlen.
Für Gruppen wie die "Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden" trifft dies sicherlich nicht zu. Es geht tatsächlich um die pro-israelische Positionierung, aber es sollte klar sein, dass auch es sich auch dann um antisemitische Angriffe handelt – denn wer als jüdisch "geoutet" ist, wird oft gezielt nach einer Positionierung zum Israe-Gaza-Komflikt gefragt, auch wenn er oder sie nie in Israel gelebt hat.
Kampf gegen Antisemitismus vs. Law and Order
Der Vorfall wird nun von konservativer Seite dafür genutzt, um die autoritäre Staatlichkeit weiter voranzutreiben. So soll es erleichtert werden Studierende von der Hochschule zu exmatrikulieren.
Diese Maßnahme, die einst als Repression gegen kritische Studierende angesehen wurde, war nach der Reform des Berliner Hochschulgesetzes im Jahr 2021 nicht mehr möglich. Diese Reform der damals aus SPD, Linken und Grünen bestehenden Koalition wurde als Zeichen der Liberalisierung allgemein begrüßt.
Jetzt versuchen Politiker der FDP und CDU, diese Reform rückgängig zu machen. Es ist interessant, dass der antizionistisch motivierte Angriff hier als Vorwand genommen wird, um Law-and-Order-Politik umzusetzen.
Dass zeigt sich schon daran, dass die Diskussion wenige Tage nach der Tat aufkommt. Dabei könnte eine Exmatrikulation erst nach einer rechtskräftigen Verurteilung erfolgen. Ein befristetes Hausverbot hingegen wäre zum Schutz des Opfers auch jetzt schon möglich.
Antisemitismus, regressiver Antisemitismus und Grundrechte
Diese Maßnahme hat auch Wissenschaftssenatorin Czyborra ins Gespräch gebracht. Zugleich hat sie sich skeptisch gegenüber einer Wiedereinführung von Exmatrikulationen gezeigt. Sie betonte dabei, dass hier ein wichtiges Grundrecht tangiert werde. Für dieses sachliche Herangehen hätte sie Lob verdient.
Stattdessen folgten Rücktrittsforderungen von konservativen Politikern und Antisemitismus-Beauftragten einiger Bundesländer – da könnte fast der Eindruck entstehen, als seien nicht vor allem Strafverfolgungsbehörden dafür zuständig, dass gefährliche Körperverletzung für die Täter Konsequenzen hat und die Opfer geschützt werden.
Politischer Konflikt vs. antisemitische Gewalt
Grundlage der Rücktrittsforderungen waren auch missverständliche Formulierungen der Senatorin, wo sie sie von einem politischen Konflikt sprach, ohne direkt den tätlichen Angriff zu erwähnen. Es ist interessant, dass sich hier wiederholt, was in den USA bereits vor einigen Wochen für Schlagzeilen gesorgt hat.
Dort musste die liberale Präsidentin der Universität von Pennsylvania zurücktreten, weil sie nach propalästinenischen Protesten auf die Meinungsfreiheit am Campus verwiesen hatte.
Allerdings kann man ihr berechtigt vorwerfen, dass sie nicht definierte, wo die Grenzen bei Antisemitismus und regressiven Antizionismus sind. In den USA wie auch in Berlin zeigt sich, dass konservative Kräfte diese Vorfälle nutzen, um die autoritäre Staatlichkeit weiter voranzutreiben.