Israel: Wo ist die Linke?
Seite 2: Der Likud errang die Macht
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Nach der Staatsgründung sagte man den Einwanderern, wen oder was sie zu wählen haben. Das funktionierte eine Zeitlang, doch die zahlreichen jüdischen Einwanderer aus den orientalischen islamischen Staaten begriffen schnell, dass sie nicht die regierenden Linken wählen konnten, um ihren Protest auszudrücken angesichts der Diskriminierung im öffentlichen Leben, welches von europäischen Einwanderern geprägt wurde.
Aschkenasim und Mizrachim, der erste Begriff steht für Juden aus Europa, im weitesten Sinne aus der westlichen Welt, der zweite für Juden aus den asiatisch-islamischen Staaten, standen sich verständnislos gegenüber. Die Arbeiterpartei dachte nicht daran, ihre sozialistischen Prinzipien in die Tat umzusetzen. Das aschkenasische Establishment dachte nicht daran, die Neueinwanderer in ihren Reihen zu dulden.
1977, zehn Jahre nach dem Sieg im Sechs-Tage-Krieg, war es dann so weit, der Likud errang die Macht und stellte mit Menachem Begin den ersten Premierminister aus den eigenen Reihen. Der Likud galt einst als Partei der polnischen Krawattenträger, als Anspielung darauf, dass deren Wähler ursprünglich Einwanderer aus Polen und Deutschland waren, die lieber in die Städte zogen, ihren Geschäften nachgingen, statt sich der streng sozialistischen Kibbuz-Ausrichtung unterzuordnen.
Nun wählten die orientalischen Juden, die äußerlich kaum von Arabern zu unterscheiden waren, und damals die Bevölkerungsmehrheit erlangten, basierend auf höheren Geburtenraten, Likud - aus Protest gegen die Dominanz der politischen linken Elite, die überwiegend aschkenasisch (also europäischen Ursprungs) war und ist.
Menachem Begin war an der Macht und die Schüler Jabotinskys konnten sich auf das religiöse Sentiment ihrer Wählerschaft verlassen, während sie die Interessen der Siedlerbewegung vorantrieben. Diese Tendenz ist bis heute erkennbar, obwohl es seitdem erneute gravierende Veränderungen gab.
"Wir müssen entscheiden, wer wir sind, was wir wollen und wohin wir gehören"
Die Masseneinwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion beispielsweise - jeder fünfte Israeli gehört in diese Gruppe - als auch die stärkere ethnische Durchmischung, wofür die Armee als Schmelztiegel des jüdischen Staates einige Verantwortung trägt.
Bis heute hat die Arbeiterpartei, die Awoda, als Nachfolgerin der Mapai, aus deren Reihen große Persönlichkeiten wie Golda Meir, Moshe Dayan und viele andere hervorgingen, die einst eingebüßte Macht nie mehr zurückgewinnen können.
Wie steht es nun um die politische Zukunft Israels? In seiner letzten Kolumne schrieb Uri Avnery:
Wir sind in diesem Land nicht Bewohner auf Zeit und wir sind nicht jeden Augenblick bereit, uns unseren jüdischen Brüdern und Schwestern in anderen Ländern der Erde zuzugesellen. Wir gehören zu diesem Land und wir werden hier noch viele künftige Generationen leben. Deshalb müssen wir zu friedlichen Nachbarn in der Region werden, die ich schon vor 75 Jahren "die semitische Region" genannt habe.
Das neue National-Gesetz zeigt uns eben durch seine halbfaschistische Natur, wie dringlich diese Debatte ist. Wir müssen entscheiden, wer wir sind, was wir wollen und wohin wir gehören. Andernfalls ist unser Staat dazu verdammt, dauerhaft ein Staat der Zeitweiligkeit zu sein.
Uri Avnery