Ist Covid-19 so gefährlich wie die Spanische Grippe?

Medical Department - Influenza Epidemic 1918 - Masks for protection against influenza. Typist wearing her influenza mask. Aroused by hold that disease has taken in New York City, New York, practically every worker has muffled their faces in gauze masks as a protection against disease. Bild: Nara.gov

In New York war nach einer Studie zu Beginn der Covid-19-Pandemie die Mortalität ähnlich hoch wie auf dem Höhepunkt der Spanischen Grippe. Mit einer höheren Übersterblichkeit sei der Schock für das Gesundheitssystem sogar größer gewesen

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Die Ansichten über die Covid-19-Pandemie gehen noch immer weit auseinander. Das unterscheidet sich auch zwischen Ländern. Wer sich in einem Land mit niedrigen Infektions- und Todeszahlen wie Deutschland relativ sicher fühlt, wird eher versucht sein, die Gefahren gering zu sehen, während in Ländern wie Brasilien oder den USA eher Angst herrscht.

In den USA mit bislang über 5 Millionen Infektions- und mehr als 160.000 Todesfällen von positiv Getesteten sowie über 47.000 Patienten in Krankenhäusern geht eher die Angst um. Robert Redfield, der Direktor der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC, warnte am Mittwoch, dass es im Herbst noch schlimmer werden könne, wenn die Amerikaner die Vorsichtsregeln nicht einhalten. Es könne zum "schlimmsten Herbst aus gesundheitspolitischer Perspektive kommen, den wir je hatten". Im Herbst werde es Covid-19 und die Grippe geben, jede der beiden Infektionskrankheiten könne bestimmte Krankenhaussysteme an den Rand bringen. Er empfahl, sich gegen Grippe impfen zu lassen, das hätten letztes Jahr nur 50 Prozent.

Wissenschaftler vom Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) der University of Washington haben kürzlich berechnet, dass in einem Worst-Case-Szenario bis Dezember 300.000 Amerikaner an und mit Covid-19 sterben könnten. Dann würde Covid-19 zur dritthäufigsten Todesursache nach Herzerkrankungen und Krebs und vor Atemwegserkrankungen, Schlaganfall, Alzheimer und Grippe.

Die Mortalität hat sich bei Covid-19 gegenüber der normalen vervierfacht, bei der Spanischen Grippe ist sie nur dreimal so hoch gewesen

Eine in JAMA Network Open veröffentlichte Studie von Wissenschaftlern des Brigham and Women's Hospital in Boston, der Harvard University und von anderen Universitäten könnte die Angst weiter schüren. Sie ziehen einen Vergleich im Hinblick auf die Mortalität mit der Spanischen Grippe in den USA 1918 und kommen zu dem Ergebnis, dass der Anstieg der Covid-19-Todeszahlen in New York am Beginn der Pandemie-Ausbreitung zwischen Anfang März und Anfang Mai der Zahl entspricht, die die Grippe auf ihrem Höhepunkt zwischen Oktober und November 2018 gefordert hat. Verglichen wurde die Übersterblichkeit der Jahre 1914-1918 und 2017-2020. In New York City wütetete die Spanische Grippe weniger schlimm als in anderen amerikanischen Städten.

An der Spanischen Grippe, einer H1N1-Grippe, starben in den USA 675.000 Menschen. An oder mit Covid-19 in den USA bislang "nur" 172.000. In New York wurden 31.589 Todesfälle von allen Ursachen auf dem Höhepunkt der Grippewelle registriert, was 287 Todesfällen pro 100.000 Einwohnern entspricht. Während der Covid-19-Welle starben insgesamt 33.456 Menschen, was 202 Todesfällen pro 100.000 entspricht, also deutlich weniger. Die Corona-Welle habe aber relativ im Vergleich zu den vorhergehenden Jahren mehr Übersterblichkeit zur Folge gehabt. Die Mortalität habe sich gegenüber der normalen vervierfacht, bei der Spanischen Grippe sei sie nur dreimal so hoch gewesen.

Normalerweise betrage jetzt aufgrund von neuen medizinischen Möglichkeiten, Hygienemaßnahmen und anderem die Mortalität nur noch die Hälfte im Vergleich zu der vor einem Jahrhundert. Das Verhältnis der Inzidenz für alle Sterbeursachen zwischen der Spanischen Grippe und dem Beginn der Covid-Welle in New York beträgt 0,7. Damit verursachte die anfängliche Covid-19-Welle 70 Prozent der Toten pro Kopf, die bei der Spanischen Grippe auf dem Höhepunkt der Welle starben. Jeremy Faust, einer der Autoren der Studie, macht darauf aufmerksam, dass dies zeige, wie bedrohlich Covid-19 ist, da jetzt die Medizin weit fortgeschritten und mehr Menschen als damals behandelt und versorgt werden konnten: "Wer weiß, was geschehen wäre, wenn wir nicht moderne Intensivstationen hätten und sekundäre Infektionen nicht mit Antibiotika behandeln, Menschen an Beatmungsgeräte anschließen oder mit Sauerstoff versorgen könnten. Wenn man die Viren ohne die medizinischen Möglichkeiten, die wir heute haben, vergleicht, dann würde ich sagen, ist Covid-19 schlimmer."

Ein direkter Vergleich der Mortalität sei aber nicht möglich. So ist nicht bekannt, wie viele Covid-Tode durch moderne Interventionen verhindert worden sind, die es vor 100 Jahren wie Wiederbelebungs- und Beatmungstechniken noch nicht gegeben hat: "Wenn die Sars-CoV-2-Infektion unzureichend behandelt worden wäre, könnte die Mortalität mit der der Spanischen Grippe von 1918 vergleichbar oder größer sein", schreiben die Autoren. Aber das ist pure Spekulation. Dagegen lässt sich die Aufprallwucht anhand der Übersterblichkeit vergleichen. Faust sagt: "Wenn man darüber nachdenkt, ist Covid-19 ein größerer Schock für unser Gesundheitssystem gewesen, weil wir normalerweise eine niedrigere Todesrate als 1918 haben. Daher ist Covid-19 eine größere Veränderung der Normen für uns, als es die Grippe 1918 gewesen ist."

Berücksichtigt werden muss, dass die Übersterblichkeit nicht bedeutet, dass alle an oder mit Covid-19 gestorben sind. So berichtet die Washington Post, dass es in den USA im März und den ersten beiden Aprilwochen eine Übersterblichkeit von 37.100 gegeben habe, das waren aber 13.500 mehr, als Covid-19 zugeschrieben wurde. Viele der Todesfälle in New York und den fünf anderen Bundesstaaten, die zu Beginn schwer getroffen waren, seien von Herzerkrankungen und anderen Krankheiten verursacht worden. Dabei würde es sich also um Kollateralschäden handeln, also um Patienten mit schweren Krankheiten, die wegen Covid-19 nicht behandelt wurden und nicht ins Krankenhaus kamen. Auch bei der Spanischen Grippe wird dies nicht viel anderes gewesen sein.