Ist die Elektromobilität wirklich eine Mogelpackung?

E-Auto an der Ladestation. Bild: Marco Verch, CC-BY 2.0

Bei der Bewertung von E-Autos sollten neue Studien herangezogen und ein sachlicher Blick gewahrt werden. Eine Replik auf einen Telepolis-Beitrag

Unlängst hat Kollege Tomasz Konicz in seinem Artikel "Mogelpackung Elektromobilität" bei Telepolis dargelegt, warum er E-Autos für eine schlechte Idee hält. Aus Sicht eines Verkehrswendeaktivisten kann ich manchen seiner Punkte zustimmen, aus Sicht eines Klimaaktivisten muss ich dem Tenor des Artikels und vor allem der Schlussfolgerungen aber deutlich widersprechen.

Gegen Ende seines Beitrags könnte man fast denken, das E-Auto sei entwickelt worden, um zu beweisen, wie großartig der Kapitalismus ist. Batterieelektrische Autos sind aber erst mal nur eine Technologie, dessen Umweltverträglichkeit vom jeweiligen Wirtschaftssystem recht unabhängig sein dürfte.

Die Punkte, die Konicz als "schmutzige Geheimnisse im Elektrowunderland" zusammengefasst wurden, sind entweder nicht schmutzig oder kein Geheimnis. Dass durch die aufwändige Produktion der Batteriezellen eines E-Autos mehr CO2-Emissionen entstehen als bei der Herstellung eines ähnlich großen Verbrenner-Autos ist ja schon lange kein Rätsel mehr. Was wiederum eins zu sein scheint, ist, wie viel Emissionen hier genau entstehen.

Zu dieser Frage wurden schon dutzende Studien angefertigt, manche sind seriös, manche weniger. Manche sind aktuell, andere längst überholt. So geistert schon seit fast vier Jahren die irreführende Zahl von 17 Tonnen CO2 als Indikator für den Klimaschaden pro E-Auto-Batterie durch die Medienlandschaft, ausgehend von einer Studie des Swedish Environmental Research Institute. Diese Studie war zwar methodisch in Ordnung, benutzte aber selbst für damalige Verhältnisse recht alte Daten. Das Autorenteam hat der eigenen Studie daher zwei Jahre später ein Update spendiert, wodurch die Emissionen um die Hälfte auf 8,5 Tonnen CO2 korrigiert wurden. Und auch das ist heute schon wieder zwei Jahre her.

Aufgrund immer effizienterer Herstellungsprozesse kann man für 2021 von einer noch einmal geringeren Menge des Treibhausgases ausgehen. Die im Artikel von Konicz angenommenen fünf Tonnen CO2 für einen 35-kWh-Akku dürften daher deutlich zu hoch liegen, wenn selbst besagte aktualisierte Studie von 2019 für eine Batterie dieser Größe Emissionen von drei Tonnen CO2 ansetzen würde. Andere Autorenteams, die auch in den Quellen von Konicz‘ Artikel erwähnt werden, schätzen den Impact für eine solche Batterie im Jahr 2020 bereits auf nur noch 2,6 Tonnen CO2.

Ohne sich hier jetzt zu sehr in einzelnen Zahlen verlieren zu wollen, zeigt das Beispiel, dass die Entwicklung in der Batterieherstellung alles andere als abgeschlossen ist. Die Verfahren werden aktuell laufend verbessert, weswegen vier Jahre alte Daten für einen seriösen Vergleich schlecht geeignet sind. In aktuellen Studien müssen die ausgewählten E-Modelle nur noch 11.000 Kilometer bis 30.000 Kilometer fahren, um den Klimaschaden der Produktion zu kompensieren, Tendenz sinkend.

Alte Studien, fragwürdige Vergleiche

In "Mogelpackung Elektromobilität" werden hingegen durchgehend sehr alte Studien herangezogen, die E-Autos schlechter aussehen lassen, als sie heute sind. Konicz schreibt: "Selbst das Umweltbundesamt geht davon aus, dass moderne, ab 2025 zugelassene Elektroautos im gesamten Lebenszyklus nur 32 Prozent weniger CO2-Emissionen produzieren als Verbrenner".

Er verweist dazu beispielsweise auf einen Utopia-Artikel, der witzigerweise selbst darüber aufklärt, dass neuere Studien zu deutlich besseren Prognosen führen als den 32 Prozent. Diese stammen aus einer Studie von 2017, die zudem vom Bundesumweltministerium stammt, nicht vom Umweltbundesamt, und dort nicht mal mehr aufrufbar ist. Es gibt bessere Quellen für zentrale Claims eines Artikels.

Der nächste Kritikpunkt war, dass ein E-Auto "endliche und aufwändig zu fördernde Rohstoffe benötigt". Ja, auch das ist kein Geheimnis, beziehungsweise es ist sogar zu so etwas wie einem Anti-Geheimnis geworden, seit die Medienlandschaft gefühlt mit Berichten über Kobalt- und Lithiumabbau geflutet wurde und eine Menge Menschen komplett vergessen zu haben scheinen, mit was für einer desaströsen Umweltzerstörung die globale Erdölförderung einhergeht.

Dadurch wird Lithiumabbau natürlich nicht besser, weswegen sich in der Verkehrswendebubble ein geflügeltes Wort etabliert hat: "Das umweltfreundlichste Auto ist das, das gar nicht gebaut wird". Ja, auch ein E-Auto ist eine tonnenschwere Konstruktion aus Metallen und Verbundstoffen, umweltfreundlich ist daran nur, dass damit eine fossile, noch viel ressourcenhungrige Technik verdrängt wird.

Auf 225.000 Kilometer Lebensspanne verfährt ein Benzinauto 17.000 Liter Benzin, verglichen damit sind die Batterien in modernen E-Autos kleine Ressourcenwunder mit einem weiteren entscheidenden Vorteil: Lithium und Kobalt kann man recyceln, wenn das E-Auto seinen letzten Kilometer gefahren ist. Benzin und Diesel werden verbrannt und sind dann nicht nur endgültig verloren, sondern heizen in ihrem neuen Aggregatszustand unseren Planeten auf.

In diesem Zusammenhang vielleicht beruhigend: Die Tesla-Fabrik in Brandenburg wird glücklicherweise nicht mit einem fossilen Gaskraftwerk betrieben, wie behauptet wurde. Die Fabrik wird in der Tat Erdgas beziehen, um damit Wärme für Schmelzöfen und Gießereien zu erzeugen. Die benötigten 74 Megawatt Strom werden aber aus dem öffentlichen Stromnetz entnommen, und damit auch zum Teil aus regenerativen Energien.

Ein E-Auto ist kein Handy

Nächster Vorwurf: Die Akkus halten nicht ewig. Diese hätten wie Smartphone- und Notebookakkus nur eine begrenzte Lebensdauer. Als Beweis dient ein Test der Auto-BILD, die einen einzelnen BMW i3 einem Langzeittest unterzogen hat. Dieser hatte angeblich von ehemals 167 km Reichweite nach 100.000 km Fahrt nur noch 107 Kilometer Reichweite übrig.

Daran sind gleich mehrere Dinge fragwürdig: Erstmal verschleißen Akkus in Smartphones und Notebooks deutlich schneller als heutige E-Auto-Batteriepacks, denn letztere verfügen mittlerweile über ein Thermo- und Lademanagement. Die Batterien der Autos werden so bei idealen Temperaturen betrieben und gleichmäßig ge- und entladen, was die Lebensdauer deutlich erhöht. Das getestete BMW-Modell ist hingegen von 2014, das ist in Akkutechnologie gerechnet Äonen her.

Zudem vergleicht Tomasz Konicz die maximal gefahrenen Strecke von 167 Kilometern bei Idealtemperaturen von 30 Grad mit dem schlechten Wert von 107 Kilometern bei kühlen sieben Grad. Das ist für sich schon keine sonderlich objektive Herangehensweise, aber es ist eben auch nur ein einzelner Test mit einem einzelnen Modell. Rechnet man diesen einen Wert nun auf die Millionen anderen, viel neueren E-Autos hoch, ist das Risiko für statistische Verzerrung erdrückend.

Konicz verlinkt sogar selbst noch den Artikel der SZ, laut dem mehrere Tesla Model S einer kalifornischen Verleihfirma bereits 800.000 km mit einer einzelnen Batterie gefahren sind und der auch das besagte Lademanagement erwähnt. So lange Reichweiten seien aber nur Glück der "betuchten Käufer der Spitzenmodelle", argumentiert Konicz. Naja, dann könnte ich ja auch behaupten, die schlechte Reichweite des BMW-Modells sei einfach Pech – zudem war der i3 mit einem Kaufpreis von 46.000 Euro auch nicht gerade ein Schnäppchen.

Glück und Pech spielen hier aber keine Rolle, sondern wie gut die Technik funktioniert. Wenn man sich die Auswertungen der realen Fahrdaten von mehr als einem Auto ansieht, dann verlieren selbst nach 250.000 km nur ganz wenige Ausreißer mehr als 20 Prozent Akkukapazität. Dennoch spricht Konicz von einem "raschen Verschleiß", dem die Batterien grundsätzlich ausgeliefert seien – basierend auf einem Auto-BILD-Test mit einem Modell von 2014 und Autoren, die witzeln, das sei gar kein echtes Auto.

Interviews mit führenden Batterieforschern deuten für die nächste Generation von Batterien übrigens auf Reichweiten von deutlich über einer Million Kilometer hin.

Ich halte kurz fest: Moderne E-Autos haben laut aktuellen Studien bei der Produktion bereits einen geringeren CO2-Impact als in "Mogelpackung Elektromobilität" angenommen wird. Sie haben den Klimanachteil der Produktion deutlich schneller wieder eingefahren (mit Ausblick auf die kommenden Jahre mit klimafreundlicherem Strommix umso mehr) und die Batterien haben eine deutlich höhere Lebensdauer. Eine klimapolitische Sackgasse oder Greenwashing sehen für mich anders aus.

Deutsche Autoindustrie wehrte sich jahrelang gegen E-Autos

Ich kann aber verstehen, dass Tomasz Konicz diesen Eindruck gewann, nachdem die Auswahl seiner Quellen das nahelegte. Er kommt zum Urteil, dass E-Autos für die Industrie ein großer Vorteil seien, da der scheinbar hohe Verschleiß eine lukrative Nachfrage für die Zukunft garantiert. Logisch, ein Auto, das viel schneller kaputtgeht, muss man auch wieder schneller wieder ersetzen. Unternehmerisch eine tolle Sache, global betrachtet in der Tat kapitalistischer Wahnsinn.

Gegen diese These spricht allerdings, dass die deutsche Autoindustrie sich jahrelang erbittert dagegen gewehrt hat, nennenswert E-Autos auf den Markt zu bringen. Sie begann damit erst, nachdem Tesla die Marktbühne betrat und die etablierten Hersteller, die er ja selbst "innovationsfaule Autoindustrie" nennt, das Fürchten lehrte. Aber wenn E-Autos höhere Renditen durch schnelleren Verschleiß versprechen, warum haben dann nicht alle Hersteller gleichzeitig begonnen, welche herzustellen?

Aus BWLer-Sicht stellt es sich eigentlich genau andersrum dar: Die Autoindustrie hatte ein paar gut laufende Marken etabliert, sogenannte Cashcows: Wenig Risiko, moderates Wachstum, hohe Umsätze. Der Umstieg auf einen ganz anderen Antrieb bedeutet für solche Firmen in erster Linie Unsicherheit und Risiko. Warum sollte man ohne Not den Markt aufs Spiel setzen, den man so schön untereinander aufgeteilt hatte?

Dazu kommt eben das aus kapitalistischer Herstellersicht riesige Problem, dass E-Autos das Potential zu viel höheren Lebensdauern haben. In Verbrennungsmotoren befinden sich dutzende bewegliche Teile, die wunderbar verschleißen und kaputt gehen können. Wenn das eintritt, muss man sich entweder neue Teile kaufen und einbauen lassen oder – noch besser – gleich ein neues Auto kaufen. Eine Menge Vertriebsmenschen im Management von VW, Daimler und Porsche dürften den Trend zu Batterieautos daher eher besorgt sehen, könnte diese Technologie nachhaltig ihre Bonuszahlungen gefährden.

Nun kommt der Teil, in dem ich mit dem Kollegen übereinstimme: "Eine massive Reduzierung der CO2-Emissionen ist aber nicht in vielen Jahren, sondern möglichst rasch notwendig".

Ganz genau, und deswegen brauchen wir auch mehrere Maßnahmen gleichzeitig. Ich halte seine Vorschläge auch für sinnvoll: Ausbau des ÖPNV, Verkehrsvermeidung etc., das sind ja alles klassische Ziele der Verkehrswende. E-Autos gehören aber strenggenommen eher zur Energiewende, sie dekarbonisieren schlicht einen Wirtschaftssektor.

Wir können gerne darüber reden, wie wir den Autoverkehr an sich verringern, aber wieso schließt sich das mit einer Elektrifizierung des verbleibenden Verkehrs aus? Ich setze mich selbst für besseren Rad- und Fußverkehr in Städten ein, was meistens auch bedeutet, die Flächen zu deren Gunsten umzuverteilen - aber es wird auch weiterhin Autos geben, gerade außerhalb von Städten. Was spricht dagegen, den PKW-Bestand zu reduzieren und gleichzeitig elektrisch zu machen?

Klar, am klimafreundlichsten ist der Weg zu Fuß oder mit dem Fahrrad, dicht gefolgt vom ÖPNV. Dann kommen elektrische Fahrzeuge und dann erst, weit abgeschlagen, Benzin- und Dieselautos. Wir können die CO2-Emissionen nicht ausreichend reduzieren, wenn wir weiter im großen Stil Erdöl und Palmöl in Verbrennungsmotoren in Energie und CO2 verwandeln. Selbst wenn wir den PKW-Bestand um radikale 80 Prozent reduzieren, wären das immer noch zehn Millionen Autos allein in Deutschland. Für Klimaneutralität wären das immer noch zehn Millionen zu viele.

Nein, natürlich lösen E-Autos nicht alle Verkehrsprobleme, aber ein paar lösen sie:

  • Sie produzieren keine giftigen Abgase;
  • Sie sind leise;
  • Sie können klimaneutral betrieben werden.

Sie verbrauchen aber leider genauso viel Platz wie ein herkömmliches Auto und so müssen wir uns auch mit E-Autos die Frage stellen, wie wir unseren öffentlichen Raum aufteilen wollen. Vor dem Hintergrund, dass deutsche Autos im Schnitt 23,5 Stunden am Tag nur irgendwo abgestellt werden, kann man durchaus zu dem Schluss kommen, dass eine Umverteilung dringend notwendig ist.

Und selbst im extrem unwahrscheinlichen Fall, dass wir in kurzer Zeit keine PKW mehr in Deutschland haben, brauchen wir umso mehr Busse, Lieferwagen und so weiter. Selbst in einem post-kapitalistischen Staat mit regionaler Produktion in Genossenschaften brauchen Menschen Mobilität und Warenverkehr. Im Sinne einer Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad sollte auch das ohne Verbrennungsmotoren funktionieren.

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