Ist die Lage der Ukraine ein abschreckendes Beispiel für Taiwan?
Ex-Präsident der Inselrepublik besucht China. So deutet sich an, dass das Land kein Schlachtfeld eines Stellvertreterkriegs werden will. Deutsche Bildungsministerin besucht sogleich Taiwan.
Der Besuch des chinesischen Präsidenten in Moskau ließ wohl in Deutschland Politiker von CDU und Grünen vergessen, dass die Zeiten vorbei sind, in denen die Regierung der aufstrebenden kapitalistischen Macht aus Asien Befehle von ehemaligen Kolonialreichen entgegennahm.
Die Einlassungen des grünen EU-Parlamentariers Reinhard Bütikofer im Deutschlandfunk ähnelten doch sehr den Ausführungen des CDU-Bundestagsabgeordneten Knut Abraham im gleichen Sender. Schon die Einführung gibt die Richtung vor, wenn es in der Anmoderation heißt, der chinesische Präsident besuche einen mit Haftbefehl gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher.
Das klingt nach einer weltweiten Fahndung, wobei gerne vergessen wird, dass neben Russland und China auch die USA den Internationalen Strafgerichtshof, der den Haftbefehl gegen Wladimir Putin ausgestellt hat, nicht anerkennen. Aus Angst vor einem Präzedenzfall und entsprechenden Ermittlungen gegen US-Bürger hält das Pentagon sogar mögliche Beweismittel für russische Kriegsverbrechen zurück, während US-Präsident Biden den Haftbefehl als solchen trotzdem begrüßt.
Bütikofer und Abraham sparten derweil im Deutschlandfunk nicht mit Drohungen, falls China tatsächlich Waffen an Russland liefere. Entsprechende Gerüchte konnten nie bewiesen werden. So drohte Abraham Sanktionen an, wenn sich chinesische Waffenlieferungen bestätigten sollten. Allerdings fällt auf, dass der CDU-Politiker die Vermittlungsbemühungen Chinas im Ukraine-Konflikt sogar positiver bewerteten als Bütikofer, der viel zornigere Töne gegen China richtet.
Alte Allianzen wieder aufgewärmt
Aber auch Abraham erinnert daran, wie gut der globale Westen sich hinter die Ukraine stellt und lobt den Besuch des japanischen Premierministers in der Ukraine. Er ist Teil der Bemühungen, Japan fest in die prowestliche Allianz einzubinden. Dem diente auch der Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Japan, der in den letzten Tagen viel Raum in deutschen Medien bekam.
Wenn dann dort vom Schub für deutsch-japanischen Beziehungen geschrieben wird, denkt wohl kaum jemand mehr an die Zeiten, als Japan neben Italien der engste verbündete des NS-Regimes war. Für die damaligen Opfer des japanischen Faschismus sind die Gräuel noch allgegenwärtig. Sie werden mit Almosen abgespeist, beispielsweise die Opfer des japanischen Faschismus in Südkorea, darunter viele Frauen. Das Land nähert sich unter seinen rechtspopulistischen Präsidenten Japan an.
"Der Schulterschluss der beiden Länder begünstigt die sicherheitspolitischen Pläne der USA für eine militärische Allianz in der Region. Doch viele Südkoreaner fühlen sich um die Erinnerung an ihre leidvolle Geschichte unter der japanischen Besatzung betrogen", heißt es richtig in der Jungle World.
Zeigt die Ukraine Taiwan, wie es nicht laufen sollte?
Hier sollen schon die Fronten abgesteckt werden für einen zukünftigen Konflikt um Taiwan. Der Ukraine-Konflikt wird von vielen Kommentatoren als Blaupause dafür gesehen. Viele bedingungslose Befürworter von immer mehr Waffenlieferungen an die Ukraine argumentieren, dass man so China so von einem Angriff auf Taiwan abhalten könne. Weniger beachtet wurde in diesen Tagen der geplante und von der Süddeutschen Zeitung als historisch bezeichnete Besuch eines hochrangigen taiwanesischen Politikers in China.
Der frühere taiwanische Präsident Ma Ying-jeou will am kommenden Montag nach China reisen. Er ist der erste ehemalige oder amtierende taiwanische Staatschef, der die Volksrepublik besucht. Die zwölftägige Reise wurde inmitten wachsender Spannungen zwischen China und der demokratischen Inselrepublik angekündigt.
Süddeutsche Zeitung
Etwas ratlos fragt sich die konservative FAZ, warum die chinesische Regierung den taiwanischen Ex-Präsidenten hofiert und der Besuch auch in Taiwan auf Zustimmung stößt.
Ma Ying-jeou reist nach China und trifft dort ranghohe Politiker der Kommunistischen Partei. Sein vorsichtigerer Kurs kommt gut an in Peking – und findet auch bei Taiwanern Zuspruch.
FAZ
Das gibt Anlass zur Hoffnung, dass der Ukraine-Konflikt tatsächlich das Verhältnis zwischen China und Taiwan beispielhaft beeinflussen wird, aber anders, als es sich manche kalten Krieger auf allen Seiten wünschen. Vielleicht zeigt ja der verlustreiche Stellungskrieg auch den Verantwortlichen in China, dass der Preis zu hoch ist, um irgendwelche Interessen kriegerisch durchsetzen zu wollen.
Und vielleicht sehen viele Menschen in Taiwan, dass es eine für sie eine tödliche Idee wäre, das eigene Territorium zum Schlachtfeld für geopolitische Interessen werden zu lassen. Das könnte der Grund dafür sein, dass konservative taiwanesische Politiker wieder in China Gespräche führen.
Verhandlungen über eine nichtkriegerische Lösung von Konflikten sind allemal erfolgreicher zu führen, bevor der Krieg beginnt. Sollten die Gespräche erfolgreich sein, könnte das wiederum eine Blaupause sein für eine Eingrenzung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine.
Die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung könnte rückblickend erkennen, dass sie besser gefahren ist, als das Land einen Kurs der Neutralität zwischen der EU und der russischen Welt eingeschlagen hat, als mit dem Kurs prowestlicher ukrainischer Nationalisten.
Vielleicht erkennen auch manche, dass die vielen angeblich guten Freunde der Ukraine eher dafür sorgen, dass ihr Land länger Schlachtfeld bleibt, mehr zerstört wird – demnächst wohl auch mit britischer Uranmunition, die zwar russische Panzer trifft, aber ukrainisches Grundwasser verseucht – und mehr Menschen sterben werden.
Doch noch ist auch im Konflikt zwischen China und Taiwan der Kurs der Verständigung längst nicht gesichert. In Taiwan gibt es eine besonders aggressive Partei, die sich innenpolitisch als Vertreterin eines woken Kapitalismus geriert, sich aber auch besonders kompromisslos gegenüber China aufführt. Die gegenwärtige Regierung wird von dieser Partei gestellt.
Die großen Wahlverluste, die diese Partei vor einigen Wochen bei Kommunalwahlen eingefahren hat, könnte schon ein Zeichen des politischen Realismus sein. Sicher, die Mehrheit der Bevölkerung will nicht von China geschluckt werden – aber sie will auch nicht Schlachtfeld zwischen unterschiedlichen kapitalistischen Blöcken sein.
Da ist die Ukraine ein Negativbeispiel. Auch im Ausland gibt es viele, die alles tun werden, um eine friedliche Lösung des Konflikts zu hintertreiben. Sie gerieren sich als die besten Freunde Taiwans. In den USA würden viele Politiker einen Konflikt um Taiwan nutzen, um Chin die Grenzen zu zeigen.
Und in Berlin will eine Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) ohne reale Macht im Land sich auch etwas an diesen weltpolitischen Konflikt profilieren, in dem sie als erstes Regierungsmitglied aus Deutschland Taiwan besucht.
Nun könnte man, wie der linke Kenner und Kritiker des chinesischen Staatskapitalismus, Ralf Ruckus argumentieren, Verhandlungen zwischen Staatspolitikern seien sowieso konterrevolutionär. Er schreibt einen Diskussionsbeitrag in der Jungle World viel Richtiges über das autoritäre chinesische Staatssystem und kommt zu dem Schluss:
Die Welt wird derzeit hineingezogen in einen eskalierenden Konflikt zwischen dem imperialistischen Block unter der Führung des US-Kapitals und einem imperialistischen Block, der vom KPCH-Regime und dem chinesischen Kapital dominiert wird. Da Letztere sich hinter das Regime in Russland stellen, kann der Krieg in der Ukraine bereits als Stellvertreterkrieg gesehen werden. Weitere Zuspitzungen sind wahrscheinlich.
Ralf Ruckus, Jungle World
Gerade wenn man diese Analyse teilt, müsste man auch als Gegner jeder Staatspolitik die Kräfte in allen Ländern taktisch unterstützten, die diese Konfrontation vermeiden wollen. Denn, eine Kriegszone Taiwan ist sicher kein guter Ausgangspunkt für eine egalitäre Gesellschaft. Daher ist es viel mehr nötig, einen weiteren blutigen Stellvertreterkrieg zu vermeiden. Umso besser, dass es dafür auch in Taiwan Zustimmung gibt.