Italien: Bündnis zwischen Kapital und Reaktion
Anders als in Frankreich gab es hier in der breiten Masse nicht die Bereitschaft, eine rechte Regierung durch die Wahl eines neoliberalen "kleineren Übels" zu verhindern.
Eine Überraschung waren die ersten Hochrechnungen zu den Wahlen in Italien nicht. Der Rechtsblock, der seit Jahren in den Umfragen vorn lag, hat wohl in beiden Parlamentskammern die absolute Mehrheit gewonnen. Wie hoch die rechten Gewinne insgesamt sind, wird sich erst im Laufe des Tages zeigen. Auch über die Zusammensetzung der neuen Regierung dürfte noch gestritten werden.
Ziemlich sicher dürfte sein, dass die Rechtskonservative Giorgia Meloni Ministerpräsidentin wird. Ansonsten dürfte es in dem rechten Bündnis noch großes Gerangel geben. Es sind weniger politische Unterschiede, als persönliche Eitelkeiten, die sicher schnell zu Spannungen zwischen Melonis postfaschistischer Partei Brüder Italiens, den Rechtspopulisten von der Lega Nord und der geschrumpften Berlusconi-Partei Forza Italia führen dürfte.
Vor allem Matteo Salvini, der sich bis vor zwei Jahren als künftiger Ministerpräsident Italiens gesehen hat, hat schon Ansprüche auf das Außenministerium gestellt. Diesen Posten hatte er vor allem medienwirksam für die Abwehr von Migranten genutzt. Es ist aber noch unklar, ob Meloni den Posten nicht mit eigenen Leuten besetzen will. Im Kampf gegen Geflüchtete sind sich beide aber einig.
Rückkehr von Gesichtern aus der Berlusconi-Ära
Auch für den alternden Silvio Berlusconi, der über ein Jahrzehnt die italienische Politik bestimmte, muss ein Posten gefunden werden. Es ist jetzt schon klar, dass mit dem Sieg der Rechten viele Figuren wieder in die Regierung eintreten dürften, die sich schon in den langen Berlusconi-Jahren dort tummelten. Auch Meloni war Ministerin für Sport in einer Berlusconi-Regierung.
Wenn jetzt von den üblichen Kreisen des liberalen Kapitalismus vor der Wiederkehr des Faschismus in Italien gewarnt wird, könnte ein wenig Nachhilfe über die jüngere italienische Geschichte nicht schaden. Es war der Großkapitalist und Medienbesitzer Berlusconi, der die Altfaschisten wieder in die Regierung aufgenommen hat und damit seinen Beitrag für die Zertrümmerung des Kommunismus leisten wollte, wie er selber immer wieder betonte.
Dabei war die in Italien einst starke kommunistische Partei in diesen Jahren schon längst in den Prozess des Niedergangs eingetreten. Der viel propagierte Eurokommunismus war nur ein anderer Begriff für eine zunehmende Sozialdemokratisierung. Mit diesem Kurs machten sich die Kommunisten jedoch überflüssig.
Berlusconi, dessen erste Rechtsregierung 1994 nach wenigen Monaten gescheitert war, kam 2001 erneut an die Regierung und blieb dort mit wenigen Unterbrechungen fast ein Jahrzehnt. Gleich zu Beginn zeigte er, dass er und seine rechten Partner es mit dem Kampf gegen Links ernst meinten.
Mit offenem Terror und Folter gingen die Repressionsorgane gegen linke Globalisierungskritiker vor, als diese sich im Juli 2001 in Genua zum Protest gegen den G8-Gipfel getroffen hatten. Ein toter Demonstrant und viele traumatisierte und schwerverletzte Linke waren die Folge der Polizeiüberfälle auf das Büro des Indymedia-Zentrums der Protestgruppen. Zahlreiche Menschen wurden im Schlaf überfallen. Die Bilder der Blutlachen den Räumen gingen um die Welt. Einige der Betroffenen sagten später aus, dass sie von den Carabinieri gezwungen worden waren, faschistische Lieder zu singen.
Der damalige postfaschistische Innenminister Gianfranco Fini wurde wenig später jedoch von den EU-Instanzen zum Musterdemokraten erklärt, nachdem er seine Partei mit der Forza Italia vereinigt hatte. Als die EU-Instanzen Berlusconi loswerden wollten, vor allem wegen dessen unberechenbarer Wirtschaftspolitik, wurde Fini sogar zum Kandidaten für den EU-Reformkonvent.
Die ungebetenen Zwischenrufer aus der EU
Daher macht es auch wenig Sinn, bei rechten Wahlsiegen in EU-Ländern plötzlich die Position des EU-Apparats einzunehmen und fordern, dieser sollte die Daumenschrauben gegen Italien anziehen. Zunächst gibt es ein schlichtes Demokratieproblem: in Italien siegte der Rechtsblock durch bürgerlich-demokratische Wahlen. Welche demokratische Legitimation haben aber die EU-Instanzen, die nicht nur im Fall von Italien Wahlergebnisse auf ihre EU-Kompatibilität abfragen wollen?
Schließlich ist die Liste der Einmischungsversuche von EU-Instanzen und auch deutschen Politikern in die italienische Innenpolitik lang. In den 1970er-Jahren ging es gegen die damals schon sozialdemokratisierte Kommunistische Partei, die auch nach den Willen von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) nie die Regierung übernehmen sollte.
Es gab sogar Putschversuche und andere bis heute ungeklärte Aktionen, die verhindern sollten, dass Personen mit dem Parteibuch der Kommunisten Ministerposten in Rom bekommen. Damals waren Faschisten verschiedener Couleur an der schmutzigen Arbeit der Strategie der Spannung beteiligt. Später setzten die verschiedenen Berlusconi-Regierungen diesen Kampf gegen Links fort.
Zudem zeichneten sie sich durch eine strikt wirtschaftsliberale Linie aus. Damit waren sie durchaus mit der EU kompatibel und eine künftige Meloni-Regierung dürfte es auch sein. Die Warnungen aus dem EU-Apparat, denen sich noch bevor alle Stimmen ausgezählt waren, schon Politiker der SPD und der Grünen anschlossen, sollen vor allem dazu dienen, eine künftige Rechtsregierung auf Linie zu halten.
Mit Mario Draghi hatte der EU-Apparat praktisch seinen Mann in Rom installiert. Jetzt muss der EU-Apparat sich dafür neue Leute suchen und wird sie auch finden. Vor allem wird in Brüssel darauf geachtet, dass die italienische Regierung den Wirtschaftskrieg, den die EU nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine initiierte, nicht aufweicht. Schließlich hatten sowohl die Lega als auch Berlusconi einst gute Beziehungen zum Putin-Regime.
Italienische Linke nicht bündnisfähig
An dieser Frage ist auch ein Bündnis der sogenannten liberalen und linken Parteien gescheitert. Die Fünf-Sterne-Bewegung, die mit einem linksliberalen Programm angetreten ist, war für die gewendeten Sozialdemokraten nicht bündnisfähig, weil sie vorher Kritik an der Unterstützung des Wirtschaftskrieges gegen Russland geübt hat.
Damit kam sie aber auch bei Teilen der Linkswähler an, was sich an der Stabilisierung der Fünf-Sterne-Bewegung zeigte. Viele nahmen an der Wahl aber gar nicht teil. Das machte auch deutlich, dass die Warnungen vor der Wiederkehr des Mussolini-Faschismus, mit dem die linksliberalen Parteien in den letzten Wochen noch das Ruder herumreißen wollten, nicht den erwünschten Erfolg brachte.
Anders als in Frankreich, wo die Wirtschaftsliberalen um Emmanuel Macron am Ende nur gewählt wurden, weil eine Regierung von Marine Le Pen Rassemblement National verhindert werden sollte, klappt ein solches Manöver in Italien nicht – und das hat Gründe, die der marxistische Philosoph und Historiker Steffano G. Azzara in einem Hintergrundartikel benannte. Dazu gehört die jahrelange wirtschaftsliberale Politik, die ein Großteil dieser linksliberalen Parteien in ihrer Regierungszeit umsetzen.
Die populistische Rebellion ist größtenteils eine Folge der antisozialen neoliberalen Politik, die genau jene Kreise während ihrer Regierungstätigkeit wiederholt betrieben haben. Sie ist eine Folge der Unfähigkeit von PD und Mitte-Links, die Krise ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen und darauf angemessen, nämlich per Umverteilungs- und Sozialpolitik, zu reagieren.
Stefano G. Azzara am 23. September 2022 in der Tageszeitung junge Welt
Azzara erinnert darin, das die wirtschaftsliberale Eigentümerideologie auch von großen Teilen der armen Bevölkerung verinnerlicht wurde – als Folge des Berluconismus, aber auch der Politik der linksliberalen Parteien.
Zudem arbeitet Azzara heraus, dass sich die linksliberalen Parteien selbst unglaubwürdig gemacht haben, in dem sie einerseits den Kampf gegen die Wiederkehr des Faschismus beschworen, während von ihnen zugleich "das einzige Mittel abgelehnt wurde, das diesen ‚Faschismus vor den Toren‘ hätte aufhalten können, nämlich das Wahlbündnis mit dem Movimento 5; einer Partei, die sich jedoch des Vergehens schuldig gemacht hat, die atlantische Solidarität gegen Russland zaghaft in Frage zu stellen und die Fortsetzung der Regierung des scheidenden Ministerpräsidenten Mario Draghi behindert zu haben, mit dessen neoliberaler ‚Agenda‘ sich Mitte-Links wiederum gleichsam religiös identifiziert."
Wenn schon nicht aus dem Parlament, so dürfte einen Regierungsblock von Kapital und Reaktion vor allem von den in Italien starken Basisgewerkschaften Widerstand entgegenschlagen. So gibt es vor allem in der Logistikindustrie immer wieder Arbeitskämpfe, öfter wurden von Gewerkschaften auch Waffenlieferungen auch an die Ukraine durch Streiks zumindest behindert. Deshalb waren diese Gewerkschaften in den letzten Monaten verstärkter Repression ausgesetzt. Die dürfte sich durch die Rechtsregierung noch verschärfen.