Italien: "Erhebliche Fortschritte" bei Verhandlungen über Regierung aus M5S und Lega

Wird er der neue italienische Ministerpräsident? Giancarlo Giorgetti (im Hintergrund rechts, mit Brille). Foto: Fabio Visconti. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Nachdem Staatspräsident Mattarella mit einer Expertenregierung drohte, nahm der Forza-Italia-Anführer Silvio Berlusconi das Ende seines Bündnisses mit den ehemaligen norditalienischen Separatisten "zur Kenntnis"

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In Italien ist Bewegung in die vorher erstarrten Regierungsbildungsverhandlungen gekommen: Am Mittwochabend gab der Forza-Italia-Anführer Silvio Berlusconi bekannt, er "nehme es zur Kenntnis, wenn eine andere Kraft aus dem Mitte-Rechts-Bündnis Verantwortung für eine Regierung mit der Fünf-Sterne-Bewegung übernehmen will". Ein entscheidender Anlass für die Trennung von Lega und Forza Italia dürfte die am Montag nach dem Scheitern einer dritten Regierungsbildungsgesprächsrunde ausgesprochene Drohung von Staatspräsident Sergio Mattarella gewesen sein, eine parteiunabhängige Expertenregierung einzusetzen, die bis zum Dezember im Amt bleibt. In der Zwischenzeit sollten sich die Parteien im Parlament auf ein neues Wahlgesetz verständigen, um zu verhindern, dass Neuwahlen zum selben Ergebnis führen wie im Frühjahr. Das befürworteten lediglich die Sozialdemokraten, die diese Wahl verloren.

Drei Ministerpräsidentenkandidaten

In jedem Fall war mit der Trennung die wichtigste Bedingung erfüllt, die der M5S-Capo Luigi di Maio für die Bildung solch einer Regierung gestellt hatte - und die Fünf-Sterne-Bewegung nahm umgehend offizielle Verhandlungen mit den ehemaligen norditalienischen Separatisten auf (vgl. Italien: Was hinter dem Erfolg der Lega steckt).

Für diese Bedingung gab es zwei Gründe: Zum einen verkörpert Berlusconi wie kein zweiter italienischer Politiker das alte System, von dem sich die M5S abgrenzen will (vgl. Italien: Die Geschichte wiederholt sich). Zum anderen wurde sie zwar stärkste Einzelpartei, aber nicht so stark wie das Bündnis aus Lega, Forza Italia und Fratelli d'Italia. Den Ministerpräsidentenposten scheint die M5S italienischen Medienberichten nach aber auch in einer Einzelkoalition mit der Lega nicht zu bekommen.

Kompromisskandidaten sind angeblich der parteifreie Staatsratspräsident Alessandro Pajno, der ebenfalls parteifreie ehemalige Arbeits- und Sozialminister Enrico Giovannini und der Lega-Vize Giancarlo Giorgetti, der in den Verhandlungen hinter den Kulissen eine wichtige Rolle gespielt haben soll. Offiziell bestätigt werden in einer gemeinsamen Pressemitteilung von M5S und Lega bislang lediglich "erhebliche Fortschritte" bei den Verhandlungen über einen Ministerpräsidenten und die Ressortverteilung. Am Montag soll es mehr Informationen dazu geben.

"Von den Märkten am meisten gefürchtet"

Inhaltlich wird ein Bündnis zwischen M5S und Lega der Financial Times zufolge "von den Märkten am meisten gefürchtet". Grund dafür sind Gemeinsamkeiten, die M5S und Lega nicht nur in Sachen Staatsausgaben, sondern auch in ihrer Haltung gegenüber Brüssel haben. Bereits am 14. März hatte Lega-Chef Matteo Salvini verlautbart, die "kulturellen Unterschiede", die es zwischen der vor allem im Norden siegreichen Lega und der vor allem im Süden gewählten M5S gebe, müssten nicht bedeuten, dass man sich nicht auf Inhalte einigen kann. Dabei nannte der Lega-Chef neben der Bekämpfung der illegalen Einwanderung mehr Föderalismus, die Einführung einer Flat Tax und die Rücknahme der (auf den Druck Brüssels hin erwirkten) Rentenreform "Fornero", die die Italiener zwingt, so lange zu arbeiten wie die Deutschen - also bis zum 67. Lebensjahr (vgl. Italien: Regierung mit beschränktem Programm?).

Bei einer Pressekonferenz in Straßburg hatte er am Tag zuvor verlautbart, die Politik der EU habe den Italienern das Recht auf Hoffnung und auf eine Zukunft gestohlen. Nun hätten die Bürger aber mit ihrer Stimme entschieden, dass sie diese Rechte zurück haben wollen. Deshalb wolle seine Partei im Falle einer Regierungsübernahme "höflich und verantwortungsvoll" mit Brüssel über eine Rücknahme von Stabilitätsvorschriften verhandeln, die den Italienern schwer geschadet hätten.

Für den Fall, dass sich die EU darauf nicht einlässt, habe man Experten beauftragt, eine Änderung des Artikels 75 der italienischen Verfassung vorzubereiten, der in seiner aktuellen Fassung keine Volksentscheide über internationale Verträge erlaubt. Dann könne das italienische Volk darüber entscheiden, ob es die nach Ansicht Salvinis "falsche Entscheidung" der Euro-Übernahme revidiert. Mit so einem Referendum hatte früher die M5S geworben. Ihr aktueller "Capo" Luigi Di Maio lehnt eine Volksabstimmung über den Euro jedoch ab (vgl. Salvini droht Brüssel mit Ausstieg aus dem Euro).

Nigel Farage wünscht Glück

Für Brüssel und Berlin wird eine M5S-Lega-Regierung aber wahrscheinlich trotzdem ein weniger handzahmer Verhandlungspartner sein, als es die vorherige sozialdemokratische Regierung war. Der Brexit-Vater Nigel Farage, dessen UKIP mit der M5S um Europaparlament eine Fraktion bildet, wünschte Beppe Grillo, Luigi di Maio und Matteo Salvini via Twitter bereits viel Erfolg.

Ein wichtiger Bestandteil eines Regierungsprogramms werden wahrscheinlich auch die Themen Sicherheit und Migration sein, die die italienischen Medien gestern abseits der Regierungsbildungsmeldungen prägten: Bei insgesamt 20 Razzien in der Lombardei und auf Sardinien wurde nämlich eine al-Qaida-Zelle ausgehoben, mit der syrische und marokkanische Salafisten die syrische al-Qaida-Filliale Dschabhat Fath asch-Scham unter anderem finanziell unterstützt hatten.