Italien, USA: Die Attraktion des Faschismus und wo die wahren Gefahren lauern

Seite 2: In der EU hat es Faschismus heute schwerer als in den USA

Die Euro-Krise von 2010 hat alle strukturellen Schwächen der EU ans Licht gebracht und die Neuausrichtung der europäischen Wähler in sozialen und kulturellen Fragen verstärkt, wobei konservative und ausgesprochen reaktionäre politische Parteien und Bewegungen praktisch auf dem gesamten Kontinent die Oberhand gewonnen haben, mit Griechenland als Ausnahme. Aber selbst in dem Land, das die Demokratie begründet hat, war das Experiment mit einer "linken" Regierung nur von kurzer Dauer, nachdem Syriza einen verheerenden Verrat an seinen Wahlversprechen beging. Die aufgezwungenen Bailout-Programme inklusive der sadistischen Spardiktate der EU wurden nicht zurückgewiesen.

Der Wahlsieg der Brüder Italiens unter der Führung von Giorgia Meloni, einer langjährigen Verehrerin des faschistischen Diktators Benito Mussolini, kommt daher nicht überraschend. Es ist der Preis, den die repräsentativen Demokratien dafür zahlen, dass sie sich von externen Kräften mit geringer oder gar keiner politischen Legitimität kontrollieren lassen. Wir sollten nicht vergessen, dass die Unterzeichnung des Maastrichter Vertrags eines der am wenigsten demokratischen Verfahren in der Geschichte des modernen Europas gewesen ist. Der Vertrag wurde von Präsidenten und Premierministern unterzeichnet, ohne dass die Bevölkerung beteiligt wurde, geschweige denn zustimmte.

Man darf sich darüber keine Illusionen machen. Es sind der undemokratische Charakter und die neoliberale Politik der Europäischen Union, die für das Wiederaufleben des europäischen Faschismus verantwortlich sind. Und nicht nur in Italien sind die Rechtsextremen an die Macht gekommen.

Auch in Spanien sind Rechte mit an der Macht. Außerdem haben die heutigen Konservativen in Europa nichts dagegen, mit den Rechtsextremen zusammenzuarbeiten, um an die Regierung zu kommen. Im Kabinett des derzeitigen konservativen Kabinetts in Griechenland sitzen zahlreiche Minister, die enge ideologische und politische Beziehungen zur extremen Rechten unterhalten.

Dennoch ist die Gefahr, dass die europäischen Gesellschaften faschistisch werden, in der gegenwärtigen historischen Situation weitaus geringer als in den Vereinigten Staaten. Aufgrund des Mehrparteiensystems in Europa ist es für jede Partei schwierig, eine klare Mehrheit zu erlangen, weshalb die politischen Parteien in einer Koalition zusammenarbeiten müssen.

Die rechtsextremen Brüder Italiens von Giorgia Meloni erhielten 26 Prozent der Stimmen, aber sowohl die einwanderungsfeindliche Lega-Partei von Mateo Salvini als auch die rechtsgerichtete Partei Forza Italia des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi erhielten weit weniger Stimmen als 2018. Italiens rechtsextreme Koalition hat zwar eine klare Mehrheit im Parlament errungen, aber weniger als 44 Prozent der Wählerstimmen.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass Italien Mitglied der EU und der Eurozone bleiben wird, sollte man keine radikalen Änderungen in der Art und Weise erwarten, wie sich die neue Regierung sowohl im Inland als auch auf internationaler Ebene verhalten wird. Meloni hat bereits angedeutet, dass ihre Regierung für alle Italiener regieren wird.

In der Praxis bedeutet es, dass ihre Regierung versuchen wird, sich sowohl bei den Unternehmern als auch bei den Durchschnittsbürgern einzuschmeicheln. Laut dem gemeinsamen Programm der Koalitionspartner wird Melonis Regierung die Steuern für Unternehmen, Familien und Selbstständige gleichermaßen senken und einen größeren Teil der 200 Milliarden Euro, die Italien im Rahmen des EU-Konjunkturprogramms nach der Covid-Pandemie zugewiesen wurden, zur Unterstützung von Sozialprogrammen verwenden. Im Gegensatz zu den rechtsextremen Parteien in den USA befürworten die in Europa bestimmte Aspekte des Sozialstaats.

In der Außenpolitik wird Melonis Regierung sicherlich ein gehorsamer Diener der EU-Regeln und -Vorschriften bleiben, während sie gelegentlich auf eine EU-Reform drängt. Sie wird die Nato und ihre Politik gegenüber der Ukraine unterstützen, während sie Initiativen für eine friedliche Lösung des Konflikts befürwortet. Man wird höchstwahrscheinlich strengere Grenzkontrollen einführen, da die Einwanderung ein wichtiger Bestandteil von Melonis Wahlkampf war.

Italiens rechtsextreme Koalition hat auch erklärt, dass sie gegen Diskriminierung, einschließlich Antisemitismus, kämpfen wird, aber eine harte Haltung gegenüber muslimischem Fundamentalismus einnehmen wird.

In den oben genannten Punkten gibt es nichts, was Melonis rechtsextreme Regierung von den konservativen Regierungen unterscheidet, die heute in anderen europäischen Ländern an der Macht sind.

Es wird sogar gemunkelt, dass der scheidende Ministerpräsident Mario Draghi, der auch Präsident der Europäischen Zentralbank war, sich persönlich bei den Euro-Machthabern für Giorgia Meloni verbürgt hat. Das ist durchaus möglich, und es ist in der Tat sehr unwahrscheinlich, dass Italiens neue Ministerpräsidentin den Kurs ändern wird. Wenn sie es doch tut, wird einer der Koalitionspartner (höchstwahrscheinlich Silvio Berlusconis Forzia Italia) vermutlich aussteigen und ihre Regierung wird zusammenbrechen.

In dieser Hinsicht könnte sich der Jubel des Trump-Lagers in den USA über die Wahl von Giorgia Meloni als verfrüht erweisen. Italiens rechtsextreme Regierung stellt zwar einen klaren Rückschlag für den sozialen und politischen Fortschritt dar, aber die neofaschistische Vision, die die heutige GOP ("Grand Old Party", Republikaner-Partei, Telepolis) inspiriert, wird in Italien weder Form noch Gestalt annehmen. Sowohl innenpolitische (Bürokratie, organisierte Arbeiterschaft, linke Parteien) als auch außenpolitische (EU) Zwänge werden dafür sorgen, dass dies nicht geschieht.

Sind wir sicher, dass es im "Land der Freien und der Heimat der Tapferen" solche Zwänge gibt, um zu verhindern, dass der Rechtsextremismus das zerstört, was von der amerikanischen Demokratie noch übrig ist?

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem Online-Nachrichtenmedium Common Dreams in den USA.

C.J. Polychroniou ist Volkswirt und Politikwissenschaftler und hat an zahlreichen Universitäten und Forschungszentren in Europa und den Vereinigten Staaten gelehrt und gearbeitet. Seine letzten Bücher sind "The Precipice: Neoliberalism, the Pandemic and the Urgent Need for Social Change" (Eine Sammlung von Interviews mit Noam Chomsky, 2021) und "Economics and the Left: Interviews with Progressive Economists" (2021).

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