Italien: Unklare Mehrheitsverhältnisse nach Parlamentswahl
M5S mit relativer Mehrheit in Schlüsselposition - Lega stärker als Forza
In Italien kann man davon ausgehen, dass Beppe Grillos M5S mit über 30 Prozent Stimmenanteil klar stärkste Einzelpartei geworden ist. Die Repubblica sieht sie aktuell bei 32,2 Prozent. Auf dem zweiten Platz landete dieser Hochrechnung nach die bislang regierende sozialdemokratische Partito Democratico (PD), die von 25,43 auf 18,9 Prozent Stimmenanteil abstürzte. Dritter wurde mit 17,7 Prozent überraschend nicht Silvio Berlusconis Forza Italia (die auf lediglich 14 Prozent kam), sondern Matteo Salvinis Lega, was darauf hindeutet, dass den Wählern die von ihr in den Vordergrund gestellten Themen Migration und Kriminalität wichtiger waren als erwartet.
Aufgrund der neuen Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht ist noch unklar, wie sich diese ungefähren Stimmanteile in Sitzen im Parlament niederschlagen. Das nach dem PD-Politiker Ettore Rosato benannte System, das eine absolute Mandatsmehrheit der M5S verhindern sollte, vergibt zwei Drittel der Sitze in der Abgeordnetenkammer nach dem Verhältnis- und den Rest nach dem Mehrheitswahlrecht. Im Senat kommen zusätzliche Mandate für nicht gewählte Honoratioren hinzu. Dazu muss sich der Wähler entscheiden, ob er seine Stimme einer Partei beziehungsweise Parteienverbindung oder einem Kandidaten gibt. Für Einzelparteien gibt es eine Sperrhürde in Höhe von drei Prozent, für Listenverbindungen liegt sie bei zehn Prozent.
Klar scheint beim derzeitigen Auszählungsstand lediglich, dass keines der zuvor geschlossenen Bündnisse eine absolute Mehrheit errungen hat. Weder das der regierenden Sozialdemokraten, noch das aus Forza und Lega und dem Alleanza-Nazionale-Nachfolger Fratelli d'Italia. Weil nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch die Forza Italia schlechter abschnitt als erwartet, reicht es nicht einmal für die große Koalition (vgl. Italien: Ausschluss einer Großen Koalition - mit Hintertür).
Auf die hatten deutsche Politiker und regierungsnahe deutsche Medien gehofft, denen der auf Twitter bekannte deutschsprachige "Italo" in einer Reaktion auf eine Jan-Fleischhauer-Kolumne bereits vorher beschieden hatte: "Eben diese deutsche Art der Besserwisserei und Herabsetzung Italiens - ob nun im Journalismus oder der Politik - ist mit ein Grund dafür, warum die Italiener so gar kein Interesse daran haben, im Sinne Deutschlands zu wählen."
Wird Luigi Di Maio Ministerpräsident?
Kommt es nicht zu Neuwahlen, könnte die M5S darum werben, dass Abgeordnete der Lega oder der PD ihren Spitzenkandidaten Luigi Di Maio zum Ministerpräsidenten wählen und ihn bei einzelnen politischen Vorhaben unterstützen. Anders als deutsche Massenmedien schreiben (die hier nicht auf dem neusten Stand scheinen), erlaubt die Satzung der Bewegung nämlich seit Januar das Eingehen von Koalitionen. "Jetzt müssen alle mit uns reden", meinte der bekannte M5S-Politiker Alessandro Di Battista zum Wahlergebnis - und der Abgeordnete Alfonso Bonafede bezeichnete seine Bewegung bereits als "Eckpfeiler der nächsten Legislaturperiode".
Die Politik, die Di Maio als italienischer Ministerpräsident macht, könnte sich via Brüssel auch auf Deutschland auswirken, weil er mit von der Lega unterstützten Referenden über einen Ausstieg Italiens aus dem Euro oder aus der EU drohen kann, wenn man ihn an Regeln binden will oder Forderungen nicht im gewünschten Umfang nachkommt. Vor der Wahl hatte die M5S neben einer Abschaffung der Rundfunkgebühr unter anderem ein 30 Milliarden Euro schweres Beschäftigungsprogramm bei gleichzeitigen Steuersenkungen versprochen.
Zwei unbekannte Größen
Was eine M5S-Regierung tatsächlich fordert, hängt aber nicht nur von ihren Mehrheitsbeschaffern ab, sondern auch von den Entscheidungen auf ihrem Online-Partizipationstool Rousseau, das nach der dem Franzosen zugeschriebenen Äußerung "Wenn man wissen will was Menschen denken, muss man sie fragen" benannt ist. Dort können sich Bürger mit ihrer Steuernummer anmelden und nicht nur darüber abstimmen, welche Gesetzentwürfe eingebracht werden sollen, sondern auch selbst solche formulieren.
Eine weitere unbekannte Größe ist die Entwicklung der PD: Die erst 2007 aus verschiedenen Kräften geformte Gruppierung, die bislang eher als Juste-Milieu-Partei denn als Arbeiterpartei agierte, könnte nicht nur an der Frage einer Zusammenarbeit mit der M5S, sondern auch an dem bereits vor der Wahlniederlage latenten Machtkampf zwischen ihrem Vorsitzenden Renzi und anderen Personen mit Führungsambitionen zerbrechen.