Italien: Wie weit geht der Rechtsrutsch von Giorgia Meloni?

Bild: Governo italiano / CC BY 3.0 IT

Neue Härte in der Migrationspolitik. Selbstständige profitieren von Steuerpolitik. Fragwürdige Kontrollen bei Verwendung von EU-Geldern. Was sich Deutschland verspricht.

Olaf Scholz und Giorgia Meloni trafen sich zum Staatsakt. Keine Überraschung in Italien: Dekor und Zeremoniell stimmen. Was aber spielt sich im Bühnenhintergrund ab. Wie kommt der Sozialdemokrat mit der Staatschefin zurecht, die eine Nähe zum Faschismus hat und zu rechten Populisten?

Meloni war ganz in Weiß gekleidet wie die Sommeruniformen der italienischen Marinesoldaten. Scholz steckte in einem dunkelblauen Anzug. Sie trafen sich im Innenhof des Palazzo Chigi auf dem üblichen roten Teppich, und nach einem förmlichen Händedruck und einem ebenso förmlichen Lächeln für die Fotografen ertönten die Nationalhymnen – erst die deutsche, dann die italienische.

Olaf Scholz und Giorgia Meloni hören mit ernster Miene zu, den Blick auf die Gruppe der Soldaten gerichtet. Es war das dritte Treffen zwischen Giorgia Meloni und Olaf Scholz. Und die italienische Ministerpräsidentin hatte diesmal gewisse Vorbereitungen hinter der Bühne getroffen.

Schärfere Kontrollen von Migranten auf dem Weg nach Italien

Vor dieser Begegnung war Giorgia Meloni beim tunesischen Premierminister Kais Saied. Danach traf sie sich in Rom mit Abdul Hamid Dbeiba, dem libyschen Ministerpräsidenten.

Einer der Hauptzwecke des Besuchs in Tunesien bestand darin, den tunesischen Präsidenten Kais Saied aufzufordern, die Kontrollen von Migranten auf dem Weg nach Italien zu verschärfen. Der tunesische Präsident dämpfte in seiner Antwort allerdings sehr deutlich die Erwartungen aus Europa:

"Wir spielen nicht die Grenzwache für andere Länder".

Während Giorgia Meloni Olaf Scholz in Rom empfing, verabschiedeten die verschiedenen EU-Innenminister in Luxemburg einen neuen Migrationspakt mit dem Ziel, "sichere Länder" zu bestimmen, um Migranten zurückzuschicken, die kein Recht haben, dort zu bleiben, wo sie angekommen sind.

In Italien gilt Tunesien als "sicheres Land". Ist das nicht ein kleiner Widerspruch?

Zuerst wird der Ministerpräsident Tunesiens aufgefordert, die Kontrollen zu verschärfen, um die Ausreise der Flüchtlinge zu verringern, und dann wird Tunesien von Giorgia Meloni als "sicheres Land" bezeichnet. Der Besuch Melonis in Tunesien endete mit einer Pressekonferenz ohne einen einzigen Journalisten.

Bei den Gesprächen mit der libyschen Delegation wies Meloni darauf hin, dass illegale Ausreisen, die im Sommer wahrscheinlich zunehmen werden, "auf jeden Fall eingedämmt" werden müssen.

Deutschland und Italien: "Besonders intensive Dynamik"

Es gebe eine besonders intensive Dynamik zwischen den beiden Ländern, sagte Meloni, wie sich das auf einer solchen Bühne so gehört. Es sei "beabsichtigt, den bilateralen Dialog zwischen Italien und Deutschland zu stärken und zu intensivieren".

Konkret zu erwähnen ist ein wichtiges Handelsabkommen zwischen ITA und Lufthansa von einem bemerkenswerten Umfang. Ende Mai schlossen die italienische Fluggesellschaft und die deutsche Lufthansa eine Vereinbarung, mit der die italienische Fluggesellschaft 41 Prozent der Anteile an die Lufthansa abtritt. Ziel dieser Vereinbarung ist es, die Einnahmen bis zu diesem Jahr um 2,5 Milliarden Euro und bis 2027 um weitere 4,1 Milliarden zu steigern.

Die beiden Gesellschafter MEF (Ministerium für Wirtschaft und Finanzen) und die Lufthansa sollen die Strategien für die Entwicklung des ITA gemeinsam festlegen. Ende 2027 wird die ITA-Flotte 94 Flugzeuge umfassen. Derzeit sind es 71 Maschinen. Die Zahl der Beschäftigten wird um 5.500 steigen.

Außenpolitisch kann Meloni dies als Erfolg werten. Wie aber sieht es innenpolitisch aus?

Wie weit rechts steht Meloni?

Giorgia Meloni wird von der Opposition, etwa von Pierluigi Bersani (ehemaliger Transport- und Wirtschaftsminister bei der Regierung Prodi, also PD – Demokratische Partei), für die Nähe zu rechten Populisten kritisiert.

Vorgeworfen wird ihr, dass sie Bolsonaro, Trump, Orban gut findet und auch die ultrarechte spanische Partei Vox schätzt.

Praktisch wirft ihr Bersani zudem einen neoliberalen Kurs vor. Meloni will die aktuelle Regierung das Gesundheitssystem in Italien privatisieren.

Was passiert mit den EU-Geldern?

Eine große Debatte in Italien geht über die Gelder, die das Land von der EU bekommen hat und wie der Nachweise zur Verwendung dieser Gelder aussieht, den die Europäische Kommission von jedem Mitgliedstaat verlangt.

Die erste Rate in Höhe von 21 Milliarden Euro wurde im August 2021 an Italien gezahlt – ein Teil davon sind Zuschüsse, ein Teil sind Darlehen. Die zweite Rate, weitere 21 Milliarden Euro wurde im November 2022 gezahlt. Die dritte Tranche in Höhe von 19 Milliarden Euro steht noch aus, und die für Juni 2023 geplante vierte Tranche in Höhe von 16 Milliarden Euro wird sich vermutlich auf unabsehbare Zeit verschieben.

Wenn der Plan umgesetzt wird, würden in Italien etwa 400.000 Arbeitsplätze geschaffen. Mit diesen Geldern könnte man außerdem ca. 12.000 Brücken in Italien die dringend benötigte Wartung zukommen lassen (in Italien gibt es insgesamt ca. 21.000). Dies bedeutet, dass mehr als die Hälfte der Brücken marode sind.

Italien sollte idealiter in der Lage sein, 3.000 medizinische Geräte anzuschaffen. Acht Millionen Haushalte sollten sich endlich über einen schnelleren Internetanschluss freuen. Das sind nur einige Beispiele an Anschaffungen, die mit dem Aufbauplan möglich wären.

Hier kommt der italienische Rechnungshof ins Spiel. Prinzipiell hat er eine Kontrollfunktion inne, die er über die Ausgaben ausüben sollte. Die Regierung spielt jedoch auf Zeit, um sich nicht zu sehr in die Karten schauen zu lassen. Nach ihrer Ansicht würde es reichen, wenn erst am Ende des Plans eine Kontrolle stattfinden würde – und nicht etwa bei jedem Schritt, weil dies, so die Regierung, den ganzen Prozess verlangsamen würde.

Steuerpolitik: Einkommen der Selbstständigen verdoppelt

Ein weiteres Problem der Regierung ist die berühmte Flat Tax, d.h. mehr oder weniger eine einzige Steuer für alle. Dies wurde im Wahlkampf versprochen, wäre aber verfassungswidrig.

Derzeit zahlen Arbeitnehmer Steuern nach Einkommensstufen, bis zu 43 Prozent.

Es gibt zwei Steuerregelungen für Selbstständige und Freiberufler: Eine sogenannte "normale" Regelung und eine "Pauschalregelung". Die erste gilt für Freiberufler, die einen Umsatz von mehr als 65.000 Euro pro Jahr erzielen.

In diesem Fall zahlen sie eine Mehrwertsteuer von 22 Prozent und eine Einkommensteuer (IRPEF), die nach einem progressiven Steuerklassensystem (ähnlich dem der Arbeitnehmer) festgelegt wird, wobei die Möglichkeit besteht, nachgewiesene Ausgaben im Zusammenhang mit der Ausübung der selbstständigen Tätigkeit und Sozialversicherungsbeiträge auszuschließen.

Auf der anderen Seite können diejenigen, die eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer im Rahmen der Pauschalregelung beantragt haben, von einer Vorzugsbesteuerung profitieren, die für Personen mit einem Jahreseinkommen von weniger als 65.000 Euro gilt. Der ermäßigte Steuersatz beträgt 15 Prozent, liegt aber in den ersten fünf Jahren der Tätigkeit bei fünf Prozent. Weiterhin wird auf der Rechnung keine Mehrwertsteuer ausgewiesen.

Alle Steuern werden nicht auf das tatsächliche Gesamteinkommen berechnet, sondern nur auf einen Teil, der anhand von Codes zur Identifizierung der vom Selbstständigen ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit festgelegt wird. In der Praxis zahlt ein Selbständiger oder Freiberufler, der bis zu 5.400 Euro pro Monat verdient, etwa die Hälfte der Steuern eines Angestellten.

Schon in diesem Jahr hat sich das Einkommen der Selbstständigen fast verdoppelt, verglichen mit dem Einkommen der Festangestellten.

Der Tod von Berlusconi

Der Tod von Silvio Berlusconi könnte eine völlige Veränderung des italienischen politischen Szenarios bedeuten. Jetzt ist Giorgia Meloni wirklich allein an der Regierung und man fragt sich, was passiert als Nächstes? Vorgezogene Neuwahlen? Oder gibt es jemanden, der in der Lage ist, Berlusconi als Parteivorsitzenden der Forza Italia abzulösen?

Ein möglicher Kandidat, der Berlusconis Platz als Parteichef einnehmen könnte, wäre der derzeitige Außenminister Antonio Tajani, sicherlich ein Berlusconi-Loyalist. Seit 2018 ist er Vizepräsident und Koordinator der Forza Italia und auch stellvertretender Ministerpräsident.

Diese Fragen bleiben vorerst unbeantwortet. Alle Medien in Italien berichten über sein Leben und seine beruflichen Erfolge, ohne seine dunklen Seiten zu vergessen. Man will ihn trotzdem als den Mann, der die italienische Geschichte verändert hat, in Erinnerung behalten. Die Trauer ist bei aller Kritik unübersehbar.