Jägerin des verlorenen Puzzles

Er braucht den Bogen nicht mehr

"Tomb Raider" von Square Enix für PS3, Xbox 360 und PC

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Tomb Raider" ist eine der erfolgreichsten Videogame-Serien. Zu einem guten Teil liegt das an der Heldin Lara Croft, die inzwischen eine Kultfigur ist. Aber die Spiele zeichnen sich unabhängig davon durch eine gelungene Mischung aus Action, Jump-And-Run und Puzzles aus. Der neue Teil, der chronologisch vor den bisherigen Geschichten angesiedelt ist, verlagert das Gewicht deutlich zugunsten der Action auf Kosten der Rätsel. Vielfach erinnert es mehr an Sonys "Uncharted"-Serie als die älteren "Tomb Raider"-Games.

Eigentlich ist Lara eher die Theoretikerin - zumindest am Beginn des neuesten Tomb Raider: Als Kennerin der Archäologie und belesene Forscherin ist sie mehr vom Wissensdurst als von Abenteuerlust getrieben. Sie ist Teil eines Teams um den eitlen und ehrgeizigen TV-Archäologen Dr. James Whitman, der mit der Suche nach dem verlorenen japanischen Königreich Yamatai seine von der Absetzung bedrohte Fernsehserie retten will.

Überlebenskünstlerin Lara Croft
(Concept Art)

Lara vermutet Yamatai in der Gegend des berüchtigten Drachen-Dreiecks oder Teufelsmeers - quasi das japanische Bermudadreieck. Dort kommt es, wie es kommen muss: Ein mächtiger Sturm zerreißt das Schiff des Forscherteams. Lara entkommt nur knapp dem Ertrinken, um schließlich in den Händen eines offensichtlich Verrückten zu landen.

Der Spieler übernimmt die Kontrolle über eine gefesselte Lara, die kopfüber von der Decke in einer äußerst ungemütlichen Höhle hängt. Die ersten Schritte dienen als Tutorial und führen die Protagonistin aus der Gefangenschaft auf die Insel, wo sie sich auf die Suche nach den verlorenen Expeditionsmitgliedern macht.

Anfangs wirkt die Insel außerhalb der Grotte durchaus idyllisch. Die hungrige Lara greift zunächst nur zur Waffe in Form eines gefundenen Jagdbogens, um Wildbret fürs Abendessen zu erlegen und den Hunger zu bekämpfen. Gejagt wird sie zunächst lediglich von Wölfen, die sie mit dem Bogen recht leicht besiegt. Relativ schnell trifft sie aber auf die ersten fremden Menschen, die sie definitiv nicht zum gemütlichen Lagerfeuer einladen.

Dank einer Szene, die durchaus die Altersfreigabe "18" rechtfertigt, kommt sie in den Besitz einer Pistole. Gleichzeitig wird klar, dass die Insel von zahlreichen aggressiven Menschen bevölkert ist, die keine Eindringlinge dulden.

Die Handlung vermischt geschickt Mythen und historische Fakten mit eigenen Erzählelementen - ähnlich wie die "Indiana Jones"-Filme, die zweifelsohne schon als Vorlage für das erste Tomb Raider dienten. Die Story stammt von der erfahrenen Videogame-Autorin Rhianna Pratchett (vgl. Der Böse ist überall), Tochter des "Scheibenwelt"-Autors Terry Pratchett (vgl. Tod ohne "teutonischen" Akzent). Die Suche nach den Geheimnissen von Yamatai und dessen Königin Himiko sowie der Kampf gegen die anderen Bewohner bilden dabei einen roten Faden, der interessant, aber stellenweise zu vorhersehbar ist. Der Fokus liegt deutlich auf der Entwicklung von Lara Croft vom Bücherwurm zum "Tomb Raider" - und dieser Teil der Erzählung ist äußerst gelungen.

Lara ist Jägerin und Gejagte zugleich

Spielerisch weichen Crystal Dynamix, die seit dem 2006 erschienen "Tomb Raider: Legend" die Entwicklung der Serie von Core Design übernommen haben, vom typischen Design ab. "Tomb Raider" hat deutlich weniger Puzzles und dafür wesentlich mehr Action- beziehungsweise Schießereien und liegt damit näher an Sonys Uncharted als an den älteren Titeln der Serie. Das Konzept passt sich der Story an, in der sich Lara über die Insel kämpft.

Das Gros der Missionen findet unter freiem Himmel statt und gibt dem Spieler ein gutes Gefühl für die Umgebung. Lara bewegt sich durch Wälder, in den Bergen und am Strand. Die Inselkarte ist in Bereiche unterteilt, die Lara Croft mit der Zeit erkundet. In allen Gebieten gibt es ein oder mehrere Camps. Als Komfortfunktion darf die Heldin zwischen diesen Lagerfeuern springen und vergessene Schätze oder Notizbücher suchen.

Die Fundstücke erzählen die Geschichte der Insel: Lara findet zahlreiche Tagebuchaufzeichnungen der lebenden und ehemaligen Bewohner. Auch die Schätze wie Jadefiguren geben Aufschluss über die Menschen der Insel. Neben den Geschichten erhält Lara Croft für das Auffinden Erfahrungspunkte, die sich zu Fertigkeitspunkten addieren. Damit verbessert sie an den Camps ihre Fähigkeiten und wird so beispielsweise zu einer besseren Nahkämpferin oder bekommt ein Gespür für versteckte Schätze, was sich im Game durch Symbole auf der Karte widerspiegelt.

Eine Instinkt-Funktion gibt es von Anfang an. Sie ist in etwa vergleichbar mit dem Adlerauge bei Ubisofts Assassin’s Creed (vgl. Killer-Spiele): Schätze, Feinde und Schlüsselobjekte heben sich beim Aktivieren bunt von einer schwarzweißen Umgebung ab.

Lara optimiert nicht nur ihre Fähigkeiten, sondern auch ihre Ausrüstung. Von besiegten Gegnern und aus mehr oder weniger versteckten Kisten sammelt sie Materialien, mit denen sie ihre Waffen erweitert und beispielsweise die Durchschlagkraft der Pfeile, die Präzision der Pistole oder die Nachladezeit der Schrotflinte verbessert.

Rätsel muss der Spieler nahezu gar nicht lösen. Abgesehen von einem einfachen Puzzle am Anfang und ein paar etwas interessanteren gegen Ende, ist die Handlung nahezu rätselfrei. Als Abwechslung am Rande warten ein paar optionale Grabkammern, in denen "Tomb Raider" dem Namen gerecht wird. Sie haben jeweils ein Hindernis als typisches Umgebungs-Puzzle mit Hebeanlagen, Windspielen oder Wippen, hinter dem ein größerer Schatz wartet. Als Belohnung erhält Lara reichlich Erfahrungspunkte und Materialien.

Eines der wenigen Puzzles

Fester Bestandteil der Handlung sind festgeschriebene Sequenzen, in denen Lara beispielsweise an einem Fallschirm gleitet oder aus einem brennenden Palastkomplex flieht. Hierbei zählen vor allem das schnelle Springen und Ausweichen sowie die Reaktion auf Quicktime Events. Das Spiel ist dabei relativ großzügig, sodass ein dauerndes Wiederholen derselben Passage aufgrund mehrfachen Scheiterns die Ausnahme ist. Die geskripteten Teile sind spielerisch weniger interessant, aber dramaturgisch die gelungene Umsetzung von spannungsgeladenen Hollywoodszenen in die Welt des Video Games.

Bei den zahlreichen Action-Sequenzen muss sich "Tomb Raider" nicht hinter "Uncharted" verstecken. Die Gegner handeln relativ klug, wenn auch nach vorhersehbaren Mustern. Sie mischen beispielsweise Dauerbeschuss mit dem Werfen von Granaten, um die Heldin aus der Deckung zu locken. Zudem wagen sich einzelne Feinde in den Nahkampf, sodass Lara nicht gemütlich und sicher hinter einer Mauer verharren darf.

Die Schießereien verlangen unterschiedliche Herangehensweisen. Es gibt die offenen Schlachten, in denen sich die Heldin Deckung für Deckung vorkämpft. In einem nebeligen Szenario bietet sich dagegen die Mischung aus Schleichen und Isolieren der Gegner an. Deren Taschenlampen gefährden Laras Deckung, verraten aber gleichzeitig die Position des Trägers. Gelegentlich muss die Heldin dem Feuer von gepanzerten Maschinengewehren ausweichen, um hinter den Schützen zu kommen und ihn auszuschalten. Und immer wieder lauern Nahkämpfer mit Schilden, die Lara nur nach Ausweichmanövern von hinten besiegt.

Auf in den Kampf!

Die Beobachtung der Umgebung ist ein wichtiger Teil des Erfolgs: Manche Gegner lauern auf oder unter wackeligen Plattformen, deren Zerstörung effizienter ist als der direkte Angriff. Ebenso kann Lara versuchen auf die Plattformen und damit über die Feinde zu kommen und muss vor allem in Bewegung bleiben, sobald sie entdeckt ist. Trotz des für "Tomb Raider"-Verhältnisse deutlich überproportionalen Shooter-Anteils, kommt dabei nie das Gefühl auf, dass sich ein und dieselbe Art immer wiederholt. Die Entwickler gehen mit der Konzentration auf die Action einen neuen Weg und führen diesen konsequent und gelungen durch. Wer auf epische Bosskämpfe hofft, wird enttäuscht: Lediglich ein wirklicher Übergegner wartet auf Lara Croft.

Die Sprung- und Klettersequenzen sind für erfahrene Gamer keinerlei Herausforderung, dafür aber optische Leckerbissen: Die Grafik ist herausragend. Sowohl die Hintergründe als auch die Animationen sehen einfach fantastisch aus und Wettereffekte wie Regen oder Nebel schaffen eine tolle Atmosphäre. Dabei läuft das Game in der getesteten PS3-Version durchweg flüssig. Auch der Soundtrack ist sehr gut gelungen.

Abseilen im Regen

"Tomb Raider" ist ein tolles Action-Spiel, das mit viel Abwechslung, relativ clever agierenden Gegnern, einer umfangreichen Umgebung und einer grandiosen Atmosphäre glänzt. Die Story hat ihre Stärken vor allem beim Aufbau der Heldin, die dem Untertitel des Spiels "A survivor is born" gerecht wird. Sehr schön ist ein kleiner Nebensatz von Lara, als sie unfreiwillig in einer Grabkammer landet: "I hate tombs!" Wer vor allem nach dem klassischen "Tomb Raider"-Spielprinzip sucht, wird von Square Enix jüngstem Titel enttäuscht: Die typischen Puzzles verkommen zum Nebenschauplatz und selbst die Jump-And-Run-Passagen sind seltener und zu einfach geworden. Wer allerdings die "Uncharted"-Games mag, findet im neuen "Tomb Raider" ein herausragendes Erlebnis.

Spieleentwickler, die eine lange Serie fortsetzen, leiden unter demselben Schicksal wie Rockbands nach einigen erfolgreichen Alben: Entweder führen sie das bewährte Konzept fort und müssen sich Einfallslosigkeit vorwerfen lassen oder sie gehen neue Wege, was ebenfalls die Kritiker zur Stelle ruft. Wenn die Abweichung so viel Spaß macht wie das neue "Tomb Raider", ist der Schritt richtig. Dennoch bleibt zu hoffen, dass Lara in Zukunft wieder mehr Puzzles mitbringt, denn allgemein scheinen die Rätsel in Blockbuster-Videospielen immer weniger zu werden.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.