Jahresrückblick auf die Niederungen der bayerischen Provinz

Seite 2: Leuchte Nr. 2: "Die Fürstin"

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Die von den regionalen Medien stets respektvoll als "die Fürstin" titulierte Gloria von Thurn-und-Taxis, bisweilen zur Gallionsfigur der europäischen nationalkatholischen Rechten erklärt3, war vor einigen Monaten Gast der im italienischen Verona beim "World Congress of Families" (WCF) zusammengekommenen "rechten Akteure und Antifeministen".4

Als Starredner trat der rechtspopulistische italienische Politiker Salvini auf, Vertreter der französischen und ungarischen Rechten (des "Rassemblement National", vormals als "Front National" unterwegs, bzw. des rechtspopulistischen ungarischen Bürgerbunds "Fidesz") sowie des AfD-Blatts "Deutschland-Kurier" waren ebenfalls zugegen. Gloria, bisher nicht gerade als Vertreterin überlegter, differenzierter Statements hervorgetreten, hatte ja schon vor Jahren den ungarischen Ministerpräsidenten und Nationalkatholiken Victor Orban als Gast ihrer Sommerfestspiele in Regensburg empfangen und dabei lautstark hinausposaunt, dass er eine Politik ganz nach ihrem Geschmack veranstalte.

Dies hält die regionale Presse natürlich nicht von ihrer respektvollen Verehrung einer bewunderten "Adligen" ab - obwohl diese mittelalterliche Herrscherklasse schon vor geraumer Zeit politisch entmachtet wurde, so dass der Adelstitel inzwischen nicht mehr als einen zugelassenen Namenszusatz darstellt, der vererbt werden kann, ohne dass ihm eine objektive gesellschaftlich-politische Relevanz eignet. Geblieben ist jedoch insbesondere in Deutschland, wo nie eine Revolution gegen die Feudalherrschaft stattfand, der umfangreiche Grundbesitz inklusive diverser respektabler Schlösser als weiterhin gültiges Relikt vergangener Eigentumsverhältnisse.

Nun wurde Gloria zu allem Überdruss noch zu Klimawandel und Grünen befragt.5 Man kommt aus dem Staunen nicht heraus: Die Grünen werden von der Titelerbin als "blutrote" Truppe charakterisiert, die die Bürger/innen mit Ge- und Verboten zu knechten beabsichtige - man stellt sich da unwillkürlich den bieder-konservativen Ministerpräsidenten Kretschmann in seinem Dienst-Mercedes oder das unentschlossen-ökoliberale Rumgeeiere von Robert Habeck vor: Geht's noch?! Bei der letzten Machtbeteiligung der Grünen unter Schröder ist die angebliche Bevormundung ja kaum über das bolschewistische Dosenpfand hinausgekommen. Die Grünen also ein verkappter Stoßtrupp des heimlichen Neostalinismus?!?

Ansonsten weiß man nach dem völlig kritikfrei abgefragten Interview zumindest, dass die natur- und traditionsverbundene Wald- und Grundbesitzerklasse, als die sich der Adel heute gerne präsentiert, schon immer den allerbesten Naturschutz betrieben hat: Er hat sein Privateigentum gehegt und gepflegt, wohl nur Fremde und Unbefugte davon ferngehalten und höchstens das abgeholzt, was die Einkommensquelle hergegeben hat, ohne ihren Dienst als solche zu versagen: Wer braucht da noch Bio?

Zudem wären Glorias Kinder natürlich niemals zu diesen unsäglichen "Fridays for Future"-Demos gelatscht, sondern "wären zum Baden gegangen oder hätten in Kaffeehaus gesessen", wenn sie nicht zur Schule gemusst hätten. Ein paar Seitenhiebe auf die "halbnackten Männer in Leder", die mit ihrem Genderquatsch den katholischen Herz-Jesu-Monat Juni entweihen, müssen natürlich auch noch sein. Gloria lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die traditionsreiche Allianz von Adel und katholischer Kirche, dank der sich geistige und ökonomische Herrschaft über das Landvolk so kongenial ergänzten, nach wie vor intakt ist.

Mit ihrer unverhohlenen Sympathie für die christlich-nationalkonservative Szene bzw. mit der gelegentlichen Beteiligung an deren Diskursen, Narrativen und Veranstaltungen versuchen diese Traditionalisten des längst abgeschafften, gottgefälligen Feudalherrentums, Politik in ihrem Sinne auch heute noch voran zu bringen: Der nationalistische Rechtsruck, gerade auch in den katholischen Hochburgen Osteuropas, hat ihnen dabei Rückenwind verschafft.

Dazu trägt seit jeher eine sogenannte "Regenbogen-Presse" bei, die neugierig bis aufgeregt von den so-und-sovielten Thronfolgern/innen berichtet, die sich in den europäischen Königshäusern mit fleißiger Regelmäßigkeit einstellen - die Leute haben schließlich Zeit und viel mehr als neue Prinzessinnen und Prinzen zeugen müssen die meisten nicht zuwege bringen, was selbst der dümmste König hinkriegt.

So manche bürgerliche Demokratie Europas hat jedoch für seine politisch längst entmachtete Adelsspitze, die, ökonomisch funktionslos geworden, zum musealen Relikt zu mutieren drohte, einen neuen, gut bezahlten Job gefunden: Heutzutage reicht es für die diversen königlichen Clanmitglieder, sich als nationale Symbolfiguren und damit als veredelte Projektionsfläche des verlogenen nationalen Gemeinschaftsgefühls zu präsentieren, auf das auch moderne Klassengesellschaften nicht verzichten wollen. Und was ist schon eine öde Flagge gegen einen leibhaftigen "Kini" aus Fleisch und Blut!

Allerdings muss sich die Königsfamilie dann eines zumindest nach außen einwandfreien moralischen Lebenswandels befleißigen, damit sie auch wirklich als fleischgewordenes Ideal des harmonischen, die Idee der Einheit der Nation vorbildlich repräsentierenden Familienlebens taugt. Wenn sich dann jedoch z.B. ein Mitglied des königlichen Clans als Kunde von zwielichtigen Sex-Partys mit dazu zwangsverpflichteten Minderjährigen entpuppen könnte, wackelt das verlogene Bild kurz, um durch die soziale Exkommunikation des in Verdacht geratenen Subjekts - in dem Fall von "horny" Prinz Andrew - wieder justiert zu werden.

Was hat uns ein bekannter Denker des vorletzten Jahrhunderts zum Thema Königtum zu sagen?

Dieser Mensch ist z.B. nur König, weil sich andere Menschen als Untertanen zu ihm verhalten. Sie glauben umgekehrt Untertanen zu sein, weil er König ist.

Karl Marx

Niemand herrscht über andere Menschen, wenn er sich diese Herrschaft nicht entweder mit Gewalt erzwingt oder sie ihm als Ausdruck seiner Herrschaftsbefugnis zugestanden wird. Darauf, dass die Leute nicht wissen, dass sie selbst erst den Herrscher zu einem solchen machen, beruht dessen Macht.

Eine eigentümliche und wirkungsvolle Dialektik des Personenkults, dessen sich die Politik immer noch gerne bedient, auch wenn die Herrschaftsfunktion der Königssippen inzwischen rein symbolisch-repräsentativer Natur ist. Und: Gibt es vielleicht keinen demokratischen Personenkult? Macron hat auf dieser Klaviatur zu spielen versucht und ist damit fast auf die Nase gefallen. Gerade die Franzosen haben mit dem Adelszirkus nicht in einer Revolution Schluss gemacht, damit er ihnen in modernem demokratischem Gewande erneut präsentiert wird.