Jahrestag einer selbst ernannten Volksbewegung
Fast abgeschrieben wächst Pegida angesichts der aktuellen Asylsituation wieder
Es begann mit einer Lüge - würde man es jedoch positiv ausdrücken wollen, so könnte man es auch schlichter einen Gründungsmythos nennen. Am 20. Oktober gingen in Dresden erstmals die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) auf die Straße. Anlass dafür waren unter anderem Ausschreitungen zwischen Kurden und Islamisten sowie eine Demonstration von PKK-nahen Kurden gegen den Terror der IS-Milizen in Dresden. Dabei kämpfen die PKK und andere kurdische, paramilitärische Gruppen gegen den IS, ergo also gegen die "Islamisierung" und hätten demnach eigentlich Solidarität statt Feindschaft verdient.
Kommenden Montag werden in Dresden wieder tausende Menschen auf die Straße gehen, es ist der Jahrestag-"Spaziergang" des islam-, asyl-, fremden- und in Teilen auch demokratiefeindlichen Bündnisses. Angekündigt werden prominente Redner aus dem einschlägigen politischen Lager. Allen Unkenrufen zum Trotz: Schon zu Beginn war Pegida fremdenfeindlich geprägt, nach einigem Hin und Her, Spaltungen, Annäherungen an die AfD und kurzen Flauten (Pegida schafft sich ab) wächst die "Bewegung" wieder. Versuche, die "Gidas" bundesweit auszudehnen, sind indes weitestgehend gescheitert. Über den Status von Sektierer- und Splittergruppen kamen lokale oder regionale Ableger außerhalb von Dresden und einigen anderen Orten Ostdeutschlands langfristig meist nie hinaus.
Einige Coups, teils sicherlich im Sinne rechtspopulistischer Strategien inszeniert, um weiterhin in der viel gescholtenen "Lügenpresse" Aufmerksamkeit zu finden, gab es in diesem ersten Pegida-Jahr. Der Besuch des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders war eine solche Leistung (Wilders beschwört Deutschlands "Neue Wende"), ebenso wie der Antritt mit der ehemaligen AfD-Frau Tatjana Festerling zur Oberbürgermeisterwahl in Dresden (Beschleunigt das urbane Leben das Ende der Volksparteien?) sowie Bachmanns Ankündigung, man werde eine eigene Partei gründen. Eher zugespielt wurde Pegida, indem die Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen zum Dialog rief und Bachmann sowie Katrin Oertel darüber hinaus ein Forum bot zwecks Pressekonferenz.
Oertel, das einst so hübsche und nette Gesicht der Bewegung, ist heute Pegida-Geschichte (Pegida-Vorstandsmitglieder treten zurück). Die Frau hat sich später sogar bei allen Muslimen, die gesetzestreu in Deutschland und Europa leben, für die Pegida-Hetze entschuldigt - und bewegt sich nun in verschwörungstheoretischen Kreisen, in denen es irgendwie gegen den US-Imperialismus und gegen den "Zionismus" geht. Bachmann, eigentlich viel zu sehr vorbestraft wegen verschiedener Delikte für einen Retter des Abendlandes, muss sich derweil bald wegen Volksverhetzung vor Gericht verantworten.
Kurz vor dem Jahrestag hat man wieder einmal die Medienöffentlichkeit geentert. Offenbar war dies jedoch nicht selbst inszeniert. Es ging um einen Galgen, den ein Pegida-Gänger gebastelt hatte und der reserviert für Bundeskanzlerin Merkel und Vizekanzler Gabriel sei ("Das Monster darf nicht sauber zurücktreten" ("Das Monster darf nicht sauber zurücktreten"). Bachmann fand dies via Facebook gar nicht so schlimm wie die Vertreter aus der "Lügenpresse" und Menschen aus dem demokratischen Politikbetrieb, die man bei Pegida nur noch "Volksverräter" nennt.
Dabei waren es doch Pegida und nicht zuletzt Bachmann, die zusehends die Stimmung im Land vergiftet haben, indem sie Drohkulissen aufbauten, Hetze betrieben und letztlich auch mindestens Stichwortgeber waren und sind für ihre Anhänger und Sympathisanten, die dann auch unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit etwa Volksverhetzung begehen oder Gewalt anwenden. Auch der Galgen-Bastler dürfte Inspiration gefunden haben, denn kurz vor dem Pegida-Aufmarsch am vergangenen Montag hatte Bachmann auf Facebook gepostet:
Aber eine Sache kann ich Dir versprechen Angie, Deine Kumpanen kommen auch nicht ungeschoren davon. #FastSonderschülerSigmar #OpaSteinmeier und wie die ganzen Roten Volksverräter heißen, die sich gerade retten wollen und Dir die Schuld alleine zuschieben, sie alle, jeder Einzelne bekommt die Quittung für seinen Vaterlandsverrat! Diesmal wird aus den Fehlern von '89 gelernt - durch die Du ja überhaupt nur Kanzlerin werden konntest trotz Stasi-Vergangenheit - und jeder bekommt seine gerechte Strafe!
Lutz Bachmann
Wie so viele Aussagen von Pegida oder Bachmann ist die Drohung so verfasst, dass sie sowohl die Todesstrafe als auch "nur" einen neuen Volksgerichtshof eines sich selbst als Volksbewegung verstehenden Mobs andeutet. Nachwuchs-Freisler inbegriffen? Alles "nur" eine Sache der Auslegung. Ermittelt wird allerdings unterdessen vonseiten der Dresdener Staatsanwaltschaft nicht nur wegen des Galgens, sondern auch, weil der Staatsanwalt wegen dieser Ermittlungen nun selbst massive Morddrohungen erhielt.