"Je länger der Krieg, desto mehr muss Putins Umfeld Loyalität beweisen"
Seite 2: Massenproteste nicht ausgeschlossen
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Besteht bei solchen Wahlen nicht ein Risiko für Putin? Ich denke da an die Protestwahl 2020 in Weißrussland, als es in den Städten eine Mehrheit gegen den langjährigen Diktator Alexander Lukaschenko gab?
Andrej Perzew: Da sehe ich kein ernsthaftes Risiko für Putin. Die elektronische Stimmabgabe ist in vielen Regionen sehr verbreitet. Da kann der Kreml einfach manipulieren. Erinnern wir uns an den September 2021, als die Oppositionskandidaten in vielen Wahllokalen gewannen, aber die Ergebnisse der elektronischen Stimmabgabe sie den Sieg kosteten. Gewonnen haben immer die Kandidaten der Kremlpartei "Einiges Russland". Bei der elektronischen Stimmabgabe kann sich Putin 90 Prozent aller Stimmen sichern.
Auch in Weißrussland gab es Manipulationen, die zu beispiellosen landesweiten Protesten führten. Ist Ähnliches nicht auch in Russland zu erwarten, wenn sich Unzufriedenheit in der Bevölkerung aufbaut? Zum Beispiel wegen einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage?
Andrej Perzew: Ich schließe die Möglichkeit von Massenprotesten nicht aus. Wir erinnern uns an den Sommer 2020 in der Region Chabarowsk, als der beliebte Gouverneur Sergej Frugal verhaftet wurde und die Massen auf die Straße gingen.
Putin hat in den Grenzgebieten zur Ukraine viele Kompetenzen an die Regionen delegiert. Gewinnen die lokalen Behörden dadurch an Macht? Können sie sich gegen die Politik des Kreml durchsetzen?
Andrej Perzew: Bei dieser Stärkung geht es mehr um Verantwortung als um Rechte. Ich glaube nicht, dass das ihr politisches Gewicht erhöht hat. Es hat eher Probleme geschaffen. Und Gouverneure und andere Regionalpolitiker werden in den meisten Fällen von Moskau eingesetzt. Sie haben keinen wirklichen Rückhalt in der Bevölkerung.
Sie sagten als Resümee für 2022, es gebe noch Hoffnung auf einen Zusammenbruch des Systems Putin. Was könnte der Auslöser dafür sein? Interne Querelen oder eine militärische Niederlage von außen?
Andrej Perzew: Ich denke, primär durch eine interne Gegenbewegung. Es gibt weniger Geld, ein Verteilungskampf beginnt. Die Unzufriedenheit wächst und Konflikte innerhalb der Eliten können die Folge sein. Vor allem, wenn nach Schuldigen gesucht wird.
Russischsprachige Leser kennen Sie wegen Ihrer Exklusivberichte aus den inneren Kreisen des Kremls. Ist dieser Kreis seit Kriegsbeginn nicht sehr verschlossen? Oder gibt es nach wie vor viele undichte Stellen als Quellen für Sie?
Andrej Perzew: Mit Beginn des Krieges ist die Kommunikation sicherlich schwieriger geworden. Trotzdem gibt es aus dem Umfeld von Putin nach wie vor Initiatoren von Leaks, die es in die Medien schaffen. Das Problem ist, dass diese Leute oft ihre Meinung ändern. Am Anfang haben viele an den Krieg geglaubt und sich um Putin geschart. Aber als die Dinge nicht so liefen, wie sie sollten, änderte sich die Stimmung dramatisch.
Negativ fällt diesen Leuten auch auf, wie unwissend Putin selbst über das Geschehen an der Front ist. Oder seine Überzeugung, dass in Europa ohne russisches Gas alle frieren und verhungern würden. Da sie die Situation aber nicht mehr beeinflussen können, teilen sie ihre verborgenen Gedanken verdeckt über die Medien mit.
Inwiefern ist es technisch schwieriger geworden, mit Vertretern aus Putins Umfeld zu kommunizieren? Nutzen sie keine Messenger wie WhatsApp oder Telegram mehr?
Andrej Perzew: Die Kommunikation ist wirklich schwieriger geworden. Sie weichen jetzt wirklich auf andere Kommunikationswege aus, auf alternative Messenger oder geheime Chats.
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