Jeder "Schurkenstaat" ist anders

Ist Nordkoreas Atomwaffenprogramm auf diplomatischem Wege zu entschärfen?

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Schurkenstaaten sind nicht gleich Schurkenstaaten. Wenigstens das wissen wir seit dem zweiten US-Golfkrieg sehr genau. Während Saddam Hussein für seine nicht existenten Massenvernichtungswaffen geprügelt wurde, provozierte der nicht weniger despotische Diktator Nordkoreas, Kim Jong Il, die USA im Windschatten dieses Krieges mit immer dreisteren Ankündigungen, sein Atomwaffenprogramm fortzuführen. Die freche Maus überschlug sich mit aggressiven Ankündigungen gegenüber dem Militärgiganten USA, während der Irak immer kleinlauter wurde. Doch in diesem Fall suchte und sucht US-Präsident Bush weiterhin diplomatische Lösungen. Dass Nordkorea unter dieser Führung einvernehmlichen Lösungen und Verträgen, die auch eingehalten werden, überhaupt zugänglich ist, ist nach dem offenen Bruch des Abkommens von 1994, auf das nordkoreanische Atomprogramm zu verzichten und dafür Energielieferungen zu erhalten, äußerst fraglich.

Ausschließlich diplomatisch will der US-Präsident seinen Umgang mit dem "Pygmäen" (O-Ton: George W. Bush) aus Pjöngjang aber scheinbar doch nicht gestalten. Im September diesen Jahres wollen die USA in internationalen Gewässern nordöstlich von Australien "üben", Handelsschiffe abzufangen, die brisantes Schmuggelgut wie Drogen und Waffen mit sich führen. An dieser konzertierten Polizei-Übung werden sich auch Australien und Japan beteiligen. Sollte die Drohgebärde, die selbstverständlich niemanden im Besonderen meint, der Grund sein, dass sich die kommunistischen bzw. kimmunistischen (vgl. Die Juche-Ideologie und der Dotcom-Kimmunismus) Troglodyten nun auf die Gespräche vom 27. bis zum 29. August in Peking mit den USA, China, Russland, Südkorea und Japan einlassen?

Denn zuvor wollte Nordkorea allein mit den USA auf Augenhöhe zweier Weltatommächte bilaterale Gespräche führen, um die Atomfrage nicht unnötig "zu komplizieren". Für Nordkorea stellt sich in der Tat die Angelegenheit sehr einfach dar. Man will zunächst im Klub der Atommächte mitmischen, um sich vielleicht dann im Gegenzug kleine Zugeständnisse gegen wirtschaftliche Unterstützungen und andere Wohltaten abkaufen zu lassen. Am 9. September diesen Jahres soll der Jahrestag der Gründung des kommunistischen Steinzeit-Staates zünftig durch einen Kernwaffentest begangen werden, wenn es zu "Rekomplizierungen" in dieser doch so einfachen Angelegenheit kommen sollte.

Höchst zweifelhaft ist, ob die Verhandlungen am runden Tisch irgendwelche Chancen auf Verständigung besitzen. Denn verständigungsorientiert war Nordkoreas Politik noch nie. Pjöngjang besteht auf einem Nichtangriffspakt mit den USA und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Die Wunsch- bzw. Erfüllungsliste von Kim Jong Il ist damit aber keineswegs erschöpft. Es soll auch keine Behinderung von Wirtschaftsbeziehungen geben, was im Klartext heißen dürfte, dass auch Raketen, neben Heroin ein Exportschlager Nordkoreas, in Krisengebiete exportiert werden könnten. Diese Forderungen sind das Gesprächs-Apriori Nordkoreas, um über das Atom(waffen)programm zu verhandeln. Kim Jong Il, der vor allem die Sprache der Drohungen beherrscht, will ansonsten der multilateralen Runde lediglich erläutern, dass Nordkorea auf der nuklearen Abschreckung zur Landesverteidigung insistiert. Die USA sehen es umgekehrt: Wenn die Nuklearpolitik nicht eingestellt wird, soll es keinerlei Zugeständnisse an Nordkorea geben. Die wichtigste Rolle in diesen Vermittlungsverhandlungen wird Peking spielen.

Zwar gibt es eine alte Beistandsvereinbarung von 1961, die China und Nordkorea zu potenziellen Waffenbrüdern macht. Aber Peking ist keinesfalls bereit, die eigenen Interessen, insbesondere die wirtschaftlichen Beziehungen zu anderen Staaten, durch Nordkoreas unberechenbare Alleingänge zu gefährden. So soll der chinesische Staatschef Hu Jintao bereits vorab Nordkorea gedrängt haben, den autistischen Aggressionskurs aufzugeben und mehr an seinen wirtschaftlichen Beziehungen arbeiten. Das könnte indes ein frommer Wunsch bleiben, ist doch der Hunger- und Repressionsstaat unter der Führung von Kim Jong Il ein unerträglicher Anachronismus aus der Zeit des Kalten Kriegs geblieben und der unbedingte Glaube an eine Politik der Stärke dürfte insbesondere in Krisensituationen mehr als die übliche groteske Rhetorik sein.

Die Frage, ob der Großsprecher Kim Jong Il nun mit seinen frechen Verlautbarungen die Welt blufft oder nicht, ist sowieso nicht zu beantworten. Verlass auf die Einschätzungen dieses Diktators, wenn er in eine Wirtschafts- oder Machtkrise geriete, sind weder für Südkorea noch die Welt eine Sicherheitsgarantie. Deshalb könnte eine weitere diplomatische Vertragslösung letztlich auch nicht mehr als ein Lippenbekenntnis Nordkoreas sein. Nichtangriffspakte, die Nordkorea unterzeichnet, sind im Ernstfall ohnehin nicht das Papier wert, auf dem sie stehen. Bereits zuvor soll Nordkorea auch durch die Vereinbarung von 1994 nicht davon abzubringen gewesen sein, das Atomwaffenprogramm heimlich fortzuführen. Die Atmosphäre der nun beginnenden Gespräche ist vorab schon aufgeheizt, nachdem es zu Zusammenstößen zwischen südkoreanischen Demonstranten und einer nordkoreanischen Sportdelegation in Südkorea kam. Wie geht es also weiter, wenn den Vermittlungsbemühungen in Peking kein Erfolg beschieden ist?

Der frühere CIA-Chef James Woolsey hat bereits vor zwei Monaten die nun angesetzten Verhandlungen zur Farce erklärt. Dagegen empfiehlt er, sich auf eine militärische Auseinandersetzung mit Nordkorea vorzubereiten. In der offiziellen Logik des Terroristenjägers Bush II. gab es ohnehin genügend Gründe, sofortige militärische Maßnahmen gegen Nordkorea zu ergreifen. Denn die Gefahr der Proliferation von Massenvernichtungswaffen erscheint im Fall Nordkoreas ungleich größer als im Fall des Irak. Bush verzichtete gleichwohl auf präventive Schläge und beschied sich auf diplomatisches Geplänkel. Bushs selektive Politik, die Gefahren danach definiert, was nun politisch opportun erscheint, macht auch klar, dass die amerikanische Präventionsdoktrin mindestens ebenso sehr von macht- und wirtschaftspolitischen wie vordergründig von sicherheitspolitischen Erwägungen geprägt ist.

So wurde im Fall von Nordkorea nicht einmal das Standardargument der modernen Terroristenjäger, die Gefahr einer Liaison von Schurkenstaat und Terroristen, besonders betont, um sofort einzugreifen. Das ist umso erstaunlicher, da dem ehemaligen Verteidigungsminister William Perry zufolge Nordkorea ab 2004 in der Lage sein soll, serienmäßig fünf bis zehn Atombomben zu bauen. Nach Perry stehen die Zeichen auf Krieg, wenn Nordkorea diesen Prozess weiterführt.

Immerhin sieht Militärvordenker James Woolsey noch eine Chance den Krieg mit Nordkorea abzuwenden, wenn China überzeugt wird, dass die USA nur dann handeln, wenn China keine Maßnahmen ergreift. Aber ist China in seiner ambivalenten Position als Nachbar bereit, mehr als eine diplomatische Vermittlerrolle einzunehmen? Woolsey hat für den Fall des Scheiterns friedlicher Lösungen auch gleich das richtige Rezept zur Erledigung der Nordkorea-Frage mitgeteilt: Keine chirurgischen Schläge, sondern die unverzügliche Vernichtung des nordkoreanischen Militärs. Die USA könnten auf Grund der logistisch günstigen Position der Flugzeugträger diesmal weit mehr Einsätze als im Irak fliegen: bis zu 4000 täglich! So einfach ist das also. Woolseys Militärprospekt dürfte auch Südkorea einleuchten, das ohnehin weniger Angst vor den Atomwaffen des Nachbarn, als vor dessen zehntausend Kanonen an der Grenze hat. Ob diese Brachiallösung aber bis zu Amerikas Falken durchdringt, wird wesentlich vom Ergebnis der Verhandlungen in Peking abhängen.

Angeblich lernen die nordkoreanischen Kinder mit anderthalb Jahren in der Kinderkrippe ihren ersten Satz, der da lautet: "Ich danke Dir, Genosse Kim Jong Il." Nur wenn der abdanken würde, gäbe es wirklich gute Gründe, ihm für seine diplomatische Ernsthaftigkeit zu danken. Anderenfalls dürfte Nordkorea bis auf weiteres, mit oder ohne Verträge, ein eminentes Sicherheitsrisiko bleiben. Sollten Bushs Umfrageergebnisse weiter sinken (vgl. Umfragewerte für Präsident Bush fallen beträchtlich), könnte sich das Nachdenken über die angemessene Mittelwahl gegenüber Nordkorea aber doch noch "entkomplizieren".