Jesus mit Wasserflasche

Welt Tränen Center: Oliver Stones überaus langweiliger Propagandafilm zum "11. September"

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An seiner politischer Haltung läßt Regisseur Oliver Stone keinen Zweifel aufkommen: "Das amerikanische System ist kapitalistisch, und für viele Menschen, etwa die arabische Bevölkerung, ist es ein unterdrückerisches System. Der Kapitalismus befindet sich im ständigen Kampf mit der Demokratie. Es gibt Zeiten, in denen sich die Freiheit durchsetzt, andere, in denen der Markt die Freiheit unterdrückt", sagte Stone bei den Filmfestspielen in Venedig, "ich hatte 2002 Probleme, weil ich den Irak-Krieg verdammt habe. Die beste amerikanische Politik wäre, wenn sie aus dem Irak verschwänden." Jetzt hat Stone einen Film gedreht, der genau diesen Vorstellungen widerspricht. Warum?

Mit der Wahrheit ist es so eine Sache, erst recht im Kino. Da ist Wahrheit immer hergestellt, abhängig also von der Vorstellung - und den Vorurteilen - der Filmemacher. Man kann Wahrheit als dokumentarische Korrektheit verstehen, aber auch als "höhere". Es kann eine Wahrheit der Emotionen geben.

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In Wahrheit zum Beispiel hat die Schauspielerin Maria Bello braune Augen. In diesem Film, in dem sie eine idealtypische amerikanische Ehefrau mit drei Kindern und Applepie-Duft spielt, sind sie blau, dafür sorgen Kontaktlinsen, damit sie besser zu ihren ebenfalls aufgehellten, nun hellblond gefärbten Haaren passen. Offenbar genügt es in bestimmten Situationen im amerikanischen Kino nicht, wenn man "ein guter Charakter" ist, man muss auch so aussehen, und offenbar heißt das dann: Blond und blauäugig - und das ist jetzt nicht als versteckter Hinweis auf einen Faschismus des Films gemeint. Faschismus im Kino ist Todeskult, Sterbenlernen, Rechtfertigung von Opfern. Auch dafür bietet das US-Kino zahlreiche Beispiele, und tatsächlich kann man in vielen Hollywood-Filmen Elemente entdecken, die vom Kino des Faschismus übernommen wurden. Aber dies trifft auf Stones Film nicht zu. Dies ist kein Film, der Sterben feiert und rechtfertigt. Das wäre zu einfach, zu angreifbar und so dumm ist Oliver Stone noch nie gewesen.

Man sollte sich allerdings umgekehrt auch keine Illusionen machen: Das Versprechen, mit dem dieser Film sein Publikum ins Kino lockt, ist keineswegs Spannung und Thrill eines Katastrophenfilms - im Gegenteil ist "World Trade Center" (vgl. Nationales Filmdenkmal oder internationaler Kassenschlager?) ein unglaublich langweiliger, überraschend öder Film. In "World Trade Center" geht es um die Erbauung an einem glücklichen Geschehen im Schatten der Katastrophe, an einer kleinen Überlebensstory im Angesicht des großen Sterbens - und all dies überdies ein für allemal beglaubigt mit der Weihe einer "wahren Geschichte". Aber Tatsachen-Wahrheit ist im Kino kein Argument, wo sie nicht auch zwingend dargestellt wird.

Bilderbuch-Amis

Menschen, die in einem dunklen Raum bewegungslos gefangen sind - das ist nicht gerade die Situation, aus der für gewöhnlich großes Kino entsteht. Kein Geringerer als Billy Wilder erfuhr das 1951 in seinem Film "Ace in the Hole" - Spannung gewinnt das Ganze erst durch das Drumherum, einen Journalisten, der das Drama kühl ausschlachtet, und durch die schlichte Tatsache, dass das Publikum nicht wußte, wie die Geschichte am Ende ausging.

Solche Auswege sind Oliver Stone in "World Trade Center" verschlossen: Inzwischen ist allgemein bekannt, das dieser Film von den beiden vorletzten lebend geborgenen Opfern der New Yorker Attentate erzählt, seine Helden also überleben lässt - um ganz sicher zu gehen, steht das auch noch auf dem Filmplakat -, und vom Zynismus der Medien zu handeln, verbietet einstweilen die Pietät. Eher schon laufen Regisseur und Verleih hier vielleicht selbst in Gefahr, mit medialen Profiteuren verwechselt zu werden, die in erster Linie an Prestige und Kassenerfolg interessiert sind.

Nach "United 93" (vgl. Leiden, Leichen und letzte Worte) ist Oliver Stones neuen Film "World Trade Center" der erste Hollywood-Mainstream-Film der direkt auf die Attentate des 11.9.2001 eingeht, bestimmte Episoden jenes Tages zeigt. Als besonders guter Seismograph für gesellschaftliche Strömungen hat sich die Filmindustrie dabei übrigens nicht entpuppt - im Nachhinein ist man immer klüger -, nur vergleichsweise läppische 65 Millionen Dollar hat der Film in den USA eingespielt - gerade einmal seine Produktionskosten. Um kein Flop zu werden, braucht "World Trade Center" nun gute internationale Resultate.

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Oliver Stone, bekanntlich vor allem Meister der Verbindung eines historischen Stoffes - Alexander der Große, Vietnam, Kennedy, Nixon - mit starken politisch-moralischen Thesen, beginnt diesen Film, wie man es von ihm erwartet: Er zeigt die ersten Minuten der New Yorker Attentate fast in Echtzeit, aus der Perspektive mehrerer Port-Authority-Polizisten, die zu den Zwillingstürmen kommen, um diese zu evakuieren. Man sieht die Einschläge in die Türme nur in der Reaktionen der Beteiligten, ansonsten dominiert den Anfang des Films ein lautstarkes und mit Stone-typischer Hysterie glänzend inszeniertes Chaos.

Doch nach 20 Film-Minuten bricht der erste Turm über dem von John McLoughlin (Nicholas Cage) geführten Team zusammen. Und nun dreht sich der Film um 180 Grad und wird zum klaustrophobischen Kammerspiel. McLoughlin und Kollege Will Jimeno (Michael Peña) haben als einzige schwer verletzt in den Trümmern überlebt, doch sind sie unter meterhohem Schutt lebendig begraben. Nun müssen sich diese Bilderbuch-Amis, die eben noch ohne Rücksicht auf sich selbst anderes Leben retten wollten, selber retten.

Öde, banal, ideologisch

Um 180 Grad gewendet erscheint auch der Regisseur Oliver Stone. Egal ob er nun mit 60 einfach müde geworden ist, ob er um des Kassenerfolgs willen sich und seine Ansichten verleugnet und einen Pakt mit dem christlich-fundamentalistischen Teufel schloß, oder ob er hier nun einfach seine andere, naiv-patriotische Seite offenbart. Mag sein, dass alles daran liegt, dass ihn die Paramount am Gängelband hielt, um eine konservativ-politisch korrekte Version der Geschehnisse sicherzustellen - das Ergebnis ist immer das Gleiche: Im Gegensatz zu allen bisherigen Stone-Filmen ist "World Trade Center" bis auf die erwähnten ersten Minuten für den Zuschauer überaus öde. Stones Inszenierung wirkt wie eine amerikanische Version des deutschen TV-Melos "Das Wunder von Lengede": Zumeist ist die Leinwand fast dunkel, und man sieht die Köpfe zweier bewegungsloser Männer, die schreien, weinen, stöhnen, stammeln, von Schmerzen gequält werden, wieder schreien. Ein "Endspiel" in Trümmern.

Wenn sie nicht schreien, sieht man die gleichen Köpfe miteinander reden. Was da so geredet wird, sprengt nie die Banalität und die Konventionen eines unterdurchschnittlichen Hollywooddramas und ist nur damit eventuell (eventuell!) zu rechtfertigen, dass es vielleicht eben einfach wirklich den Tatsachen entspricht. Trotzdem wirken diese Männer nie aufrichtig und glaubwürdig, sondern wie Drehbuchkonstrukte, Ideologie-Roboter, die aufsagen, was ihnen ein cleverer Autor in den Mund gelegt hat. Es sind liebende, treusorgende, nur naiv an das Gute glaubende Familienväter intakter Familien, humorvoll, ohne Rassismus, ohne unangenehme politische Ansichten - nur ihr Filmgeschmack läßt zu wünschen übrig, sonst würden sie sich nicht ausgerechnet Dialogzeilen aus dem wirklich schlechten Film "G.I. Jane" mitteilen: "Pain is good; pain is your friend. If you can feel pain, you know you're alive".

"Ich weiß, er wird es schaffen"

Sie reden über ihre Frauen und Kinder, erinnern sich an ihr bisheriges Leben. Diese Flashbacks taucht Stone in jenes honiggelbe Licht, das man aus der Margarinewerbung kennt - und genau der entspricht auch die emotionale Kraft solcher Szenen, wenn zum Beispiel McLoughlin seinem Sohn erklärt, wie man eine Laubsäge benutzt und mit seiner Frau den Neubau der Familienküche plant. McLoughlin und Jimeno reden auch über ihre Nahtoderlebnisse - "Mir ist, als ob Gott einen Vorhang aus Rauch gemacht hätte" -, und Jimeno erscheint im Fieberwahn gar Jesus Christus - leibhaftig mit Strahlenkranz und Wasserflasche. - "Wie heisst deine Frau?", fragt Jimeno. "Donna", antwortet McLoughlin. "Das ist ein schöner Name", sagt Jimeno, "ein richtig amerikanischer Name." So geht es über Stunden hin und her. Ansonsten sagen sie Sätze wie sie in Hollywood alle Mainstream-Helden sagen: "Wir müssen durchhalten", oder "Ich weiß, wir werden es schaffen."

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Damit all das nicht zu langweilig wird, werden solche Szenen kontrastiert mit den Bildern der bangenden, aber durchweg überaus liebenswerten Angehörigen, die erst vom Attentat im Fernsehen erfahren, dann hören, dass ihre Männer/Väter/Söhne dort vermisst werden, und in der kommenden Stunde viel weinen, viel zusammenhalten, und Sätze sagen, wie sie in Hollywood alle bangenden Angehörigen von Mainstream-Helden sagen: "Er muss durchhalten", oder "Ich weiß, er wird es schaffen."

Das Bizarre dieser Konstruktion sind ihre ideologischen Scheuklappen, ist die Borniertheit, mit der der Film auf dem Durchhaltewillen, der Willensfreiheit des Individuums und dem Funktionieren des moralischen und gesellschaftlichen Systems genau am Beispiel desjenigen Ereignisses besteht, das dieses System nachhaltiger erschütterte, als jedes andere historische Ereignis.

"We are marines. You are our mission"

Oder gibt es doch noch irgendwo eine verschlüsselte Botschaft, die alles ironisiert? Am allerbizarrsten wirkt auf einen europäischen Zuschauer jedenfalls jener dritte Neben-Erzählstrang, der erst in der Mitte des Films einsetzt: Er kreist - auch dies eine "wahre" Episode - um Dave Karnes (Michael Shannon), einen Geschäftsmann und Ex-Marine aus Connecticut mit christlich-fundamentalistischen Überzeugungen. Eigentlich ein klinischer Fall. Im Fernsehen erfährt auch er von den Attentaten. Als erstes stellt er fest, "This country's at war", dann sagt er "God made a curtain with the smoke to shield us from what we're not yet ready to see", geht er in die Kirche, betet, und "hört" dort "Gottes Stimme", die ihm seine Mission "gebietet" - "I have a gift" -, zum New Yorker Trümmerfeld zu fahren und zu helfen. Gott läßt Karnes noch Zeit, um vorher zum Friseur zu gehen und sich einen soldatischen Kurzhaarschnitt zuzulegen, dann zieht er sich seine alte Uniform an und fährt nach New York. Dort wird Karnes, dessen Dialogsätze aus Stereotypen wie - "We dont leave you. We are marines. You are our mission." - bestehen, allein über die rauchenden Trümmer stapfen, von seiner "Mission" brabbeln und dort tatsächlich die beiden Verschütteten zu finden. Das Letzte, was er raunt: "They're going to need some good men to avenge this." ("Es werden bald gute Männer gebraucht, um dies zu rächen".) Der Erlöser wandelt sich zum Rächer, christlicher Glaube und Militarismus werden nahtlos verquickt. Ein Abspannsatz informiert uns dann, dass Karnes sich wieder als Marine verpflichtete und derzeit im Irak eingesetzt ist.

Dass wir ziemlich sicher sein dürfen, dass Stone das "so" auch nicht meint, dass er klüger ist, als sein Film hilft uns da nicht viel weiter. Auch nicht der sehr sympathische rhetorische Trick eines Stone-Fans, der schrieb, hier habe Stone eben mal "keinen Stone-Film" gedreht. Hat er schon. Denn in einem bleibt sich Stone auch hier treu: Er stellt Ideal und Realität einander gegenüber und zeigt ein idealtypisches intaktes Amerika, das - so die implizite Message - bestens funktioniert, gäbe es nicht die da draußen.

Trotzdem kann es gut sein, so Stone selbst, dass er auch noch einen Film der Anklage mache, "über die Angst, die politisiert wurde". "Ich bin Dramatiker, und alles braucht Zeit. 'JFK' kam 30 Jahre später, 'Platoon' 15 Jahre, 'Nixon' 20 danach."

Leiden als Vater aller Dinge

Einstweilen feiert Stone aufs Simplizistische und Unsubtilste Individualismus und Männlichkeit, Solidarität und Family-Values, Patriotismus und Gottesglauben und die angeblich unpolitischen, nur scheinbar "einfachen" Wahrheiten des Lebens. Aber es gibt keine apolitischen Geschichten, nur die Sehnsucht danach, und auch die ist politisch. Aber es stimmt hinten und vorne nicht, ist ein Gemisch aus falschen Gefühlen und rechtskonservativer Ideologie. Der Film feiert die Rettung zweier Verschütteter. Die Tatsachen mag das naturalistisch korrekt abbilden. Realistisch ist es nicht. Denn wenn man vor wenigen Wochen in Venedig Spike Lees Dokumentation über die Folgen des Hurrikans "Katrina" gesehen hat, dann weiß man, das noch Monate nach der Naturkatastrophe in den Häusern, Gärten und Parks von New Orleans die Leichen herumlagen. Man kann diesem Film daher noch nicht einmal seine schlichtesten Wahrheiten glauben.

Stone erzählt eine klassische christliche Erweckungs- und Wiederauferstehungsgeschichte, an dessen Ende Amerika - politisch korrekt repräsentiert durch zwei Bürger, einen Weißen und einen Latino - aus der Katastrophe neu geboren wird. Für den, der es immer noch nicht kapiert hat, erklärt ein Satz im Nachspann: "Der 11. September zeigte das Schlechteste im Menschen. Aber es zeigte auch das Gute." Und ein zweiter Nachspannsatz enthält die Widmung: "For the fallen men" ("Für die gefallenen Männer") - als ob schon die Opfer des 11. September nicht mehr Zivilisten, sondern bereits Soldaten in einem Krieg gewesen wären. Nicht nur ein tränenseliger Wahnsinnskitsch also, sondern der Marsch durch die Apokalypse umdefiniert zum Reinigungsbad, das Leiden als Vater aller Dinge und Voraussetzungen des Besseren. Früher nannte man so etwas einfach Propaganda.