Jesus und das Blut-Fest der Medien
Was unterscheidet "Die Passion Christi" (2004) vom Splatterfilm "Blood Feast" (1963), der im Januar 2004 wegen Gewaltverherrlichung verboten wurde?
Viel diskutiert wird dieser Tage über Gewaltdarstellungen im Film. Entzündet hat sich die Debatte an "Die Passion Christi", dem Film, der die letzten Stunden Jesu Christi zeigt. Diese waren von der Marter sowie der Vorbereitung und Durchführung der Kreuzigung geprägt (Passion reloaded: Ein Porno des Leidens). Wie das genau ausgesehen hat, darüber schweigen sich die vier Evangelien aus - Mel Gibson will es jedoch genau wissen oder zeigen und hat mit seinem Werk einen neuen Beitrag zum so genannten Splatterfilm abgeliefert. Splatterfilme definieren sich durch die explizite Darstellungen von Gewalt. Das heißt, sie deuten Gewalt nicht nur an, sondern zeigen deutlich und in Großaufnahme ihren Verlauf und ihre Folgen. Dieser Definition lässt sich Gibsons Film widerspruchsfrei zuordnen.
Interessant ist, dass auch der Erfinder des Splatterfilms, Herschell Gordon Lewis, derzeit ebenfalls in die Diskussion geraten ist. Denn im Januar dieses Jahres wurde durch das Amtsgericht Karlsruhe sein Debütfilm "Blood Feast" von 1963 (Inhalt) wegen "Gewaltverherrlichung" (was nach dem Gesetz eine Straftat ist) in Deutschland verboten (Az: 31 Gs 134/04).
Damit der 40 Jahre alte Film, wie es im Amtsdeutsch heißt, "beschlagnahmt" werden kann, muss ihm zunächst der Kunststatus abgesprochen werden. Denn Kunst ist vom Grundgesetz geschützt und darf weder zensiert noch verboten werden. Seit den 1980er Jahren hat dieses Schicksal schon über 120 Filme ereilt, die damit keine Kunst, sondern eine Straftat darstellen.
Vor- und Nachzensur zum Wohl der Jugend
Welche Medien in Deutschland zensuriert oder zugangsreglementiert werden, entscheiden staatliche und nicht-staatliche Organisationen. Die Freigabe- und Restriktionspolitik ist recht kompliziert: Die "Freiwillige Selbstkontrolle" der Filmwirtschaft (FSK) und der Fernsehsender (FSF) versehen Programminhalte mit Altersfreigaben ("ohne Altersbeschränkung", ab 6, 12, 16 Jahren oder "keine Jugendfreigabe"). Will ein Film- oder Programmanbieter eine niedrige Jugendfreigabe haben, was frühere Sendezeiten oder stärkere Umsätze an den Kinokassen bedeutet, so steht es ihm frei, das Programm selbst zu entschärfen, indem er kritische Szenen entfernt.
Verbotene (staatliche) Vorzensur ist das nicht, denn sie geschieht "freiwillig" und vom Anbieter "selbst", wie der Name der Institutionen bereits suggeriert. Möchte ein Anbieter sein Programm diesen Instanzen jedoch nicht vorlegen, bekommt es auch keine Altersfreigabe und ist automatisch "ab 18" freigegeben, selbst wenn es sich um einen Kinderfilm handelt.
Eine staatliche Behörde ist die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BpjM). Diese auf der Welt einmalige Organisation führt einen Index mit Medien, die ein "schwer jugendgefährdendes Programm" enthalten. Was "schwer jugendgefährdend" ist, entscheidet die BpjM. Landet ein Buch, Computerspiel, Tonträger oder Film auf dem Index, so darf es nicht mehr öffentlich beworben und nur noch an für Jugendliche unzugänglichen Orten angeboten werden. Pornografie ist "vorausindiziert" und wird nicht eigens gelistet; der regelmäßig erscheinende BpjM-Report enthält derzeit 2864 Horror-, Action-, Kriegs- und andere Spielfilme, Spiele und Bücher. Da fand sich neben allerlei Unbekanntem auch schon einmal ein Roman wie Bret Easton Ellis' "American Psycho".
Die schärfste Waffe gegen gewaltdarstellende Medien sind die deutschen Gerichte. Sie stellen nach Anzeige fest, ob ein Medieninhalt gegen das Strafgesetz verstößt. Dazu muss er "Gewalt verherrlichen" oder sich "als Selbstzweck" inszenieren, was bedeutet, dass er keine "Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte" ist und vor allem nicht dem "kritischen Bewusstsein seiner Zuschauer Denkanstöße vermittelt" (Zitate sind verschiedenen Beschlagnahmebeschlüssen entnommen).
Ist ein Film erst einmal auf diese Weise inkriminiert, dann ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Vertreiber, lässt dessen Geschäftsräume durchsuchen, beschlagnahmt alle mit Herstellung und Vertrieb zusammenhängenden Gegenstände und versucht, das Original des Filmes aufzuspüren, um es zu vernichten. Das klingt nicht nur martialisch, sondern ist es für die Betroffenen oftmals auch. Nur wenige Male konnte das Totalverbot eines Films erfolgreich rückgängig gemacht werden: Als z. B. 1992 Jörg Buttgereits Film "Nekromantik 2" vom Verbot bedroht war, hat der Marburger Filmwissenschaftler Knut Hickethier dem Gericht darlegen können, dass der Film entgegen der Meinung der Staatsanwaltschaft durchaus "Kunst" sei.
Wer entscheidet, was Kunst ist
Am Beispiel des jüngst beschlagnahmten "Blood Feast" ist die Kunst-Frage eigentlich geklärt, weil nationale wie internationale Filmhistoriker einer Meinung über die Bedeutung des Werkes sind: Ohne einen Film wie "Blood Feast" wäre ein Film wie "Die Passion Christi" wohl nie möglich gewesen. Denn die Ästhetiken der Gewaltinszenierung in Gibsons Film basieren auf dem von Herschell Gordon Lewis 1963 etablierten Prinzip des Splatterfilms. Die Filme sind sich in einigen Details sogar recht ähnlich. Nicht nur behandeln beide ein religiöses Thema, auch findet sich in "Blood Feast" eine etwa 35 Sekunden lange Auspeitschungsszene: "Spritzendes Blut sowie die blutigen Striemen auf dem Rücken sind in Nahaufname gezeigt", moniert der Beschlagnahmebeschluss aus Karlsruhe.
Doch filmhistorische Erwägungen fließen in die Verbotsüberlegungen nicht ein. Auf eine Weise, die der Münchner Medienethiker Thomas Hausmanninger "3rd Person-Argument" nennt, beschließen ehrenamtliche Jugendschützer, Beamte und Richter, was schädlich für Zuschauer ist und was nicht. Die erschreckende Unkenntnis filmästhetischer und -historischer Fakten ist ihren Gutachten leicht anzusehen. Doch das ist nicht der einzige Widerspruch. Vielmehr verbirgt sich hinter dem Jugendschutzauftrag oft genug ein Erwachsenenschutz, der verhindert, dass Filme wie "Blood Feast" legal in Deutschland beziehbar sind und damit einer breiten Diskussion (zum Beispiel über den Sinn von Gewaltdarstellung) nicht zur Verfügung stehen. Diskutieren dürfen über solche Filme nur moralisch erhabene Instanzen.
Was de jure der Schere oder dem Verbot zum Opfer fällt, ist de facto jedoch keineswegs aus dem Verkehr gezogen - auch und vor allem nicht für Jugendliche, die sich an Verboten besonders gern reiben. Denn in Zeiten des Internet und offener Grenzen ist jeder Film ohne große Mühen innerhalb weniger Tage aus dem Ausland beziehbar. Dies kann jedoch kein Argument für noch stengere Jugendschutz-, Straf- und Zollgesetze sein, sondern sollte die Überlegung anregen, ob nicht besser der Modus, unter dem Medien in der Gesellschaft diskutiert werden, einer grundsätzlichen Revision unterzogen werden muss: Aufklärung anstelle von Inkriminierung, ästhetische Ausbildung anstelle von Giftschrankpolitik.
Erste Ansätze hierzu finden sich derzeit in Überlegungen, Film als ästhetisches Artefakt in den Schulunterricht zu integrieren. Kindern und Jugendlichen müssen auf diese Weise Kompetenzen vermittelt werden, auch mit kritischen Medieninhalten umzugehen. Denn die jugendgefährdenden Filme befinden sich ja nicht nur in Videotheken, sondern auch im Fernsehen: Filme, die die FSK mit dem Siegel "ab 18" versieht, dürfen nach 23 Uhr ausgestrahlt werden. Und wann Minderjährige ins Bett gehören, schreibt kein Gesetz vor.
Als weiteres Indiz einer zunehmenden Liberalisierung kann die FSK-Freigabe des Splatterfilms "Die Passion Christi" gesehen werden. Der Film ist frei "ab 16" Jahren zugänglich. Vorsorglich hatten sich Kirchenvertreter und Seelsorger in den Foyers der Kinos postiert, wurden jedoch hauptsächlich von Journalisten und eher selten von Zuschauern, vor allem nicht jugendlichen, angelaufen.
Die Kommentare der jungen Zuschauer zum Christus-Massaker zeigen bereits, dass die Medienkompetenz falsch eingeschätzt wird: So etwas habe man andernorts und auch "viel härter" längst gesehen. Wenn diese Mediensozialisation nun noch durch filmästhetische und -historische Reflexion unterfüttert würde, bekämen wir es dann vielleicht wirklich demnächst mit einer Generation von Mediennutzern zu tun, die filmischen Inhalten souverän gegenübersteht.
Stefan Höltgen, lebt und arbeitet als freier Journalist in Bonn und forscht dort zum Thema "Gewaltdiskurse im Serienmörderfilm". Er ist Vorstandsmitglied von Medialog - Verein zur Förderung von Medienkompetenz.