O'zapft is!
Passion reloaded: Ein Porno des Leidens
Die Bundestagsfraktion der allerchristlichsten Demokraten sprach schon vorab von einem "Meisterwerk". Da sind wir noch einmal froh, dass der Stoiber Edi nicht Kanzler geworden ist - vielleicht lebten wir sonst schon in einem römisch-katholischen Gottesstaat, in dem die Prügelstrafe wiedereingeführt und angelegentlich von Ihrer Katholischen Majestät höchstpersönlich ausgeübt wird. Ansonsten fuchteln die Theologen aller Richtungen mit ihren Quellen, loten Tiefe und Flachheit der Jesusinterpretation millimetergenau aus, verbreiten sich über mittelalterliche Passionsspiele (Literaturwissenschaftler Hans-Ulrich Gumbrecht) und postmoderne "Religionsmärkte" (der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf). Man muss schon zugeben: Mel Gibsons "Die Passion Christi", der jetzt nach wochenlanger Vorabdebatte (vgl. Ich wasche meine Hände in Unschuld) mit der immensen Zahl von 400 Filmkopien in Deutschland anläuft, ist ein zeitgeschichtliches Ereignis und ein wunderbarer Anlass, endlich einmal zu schreiben, was man immer schon mal schreiben wollte. Aber was gibt es da eigentlich im Kino zu sehen?
Ein kurzes, bedrohliches Krähen, ein Horroreffekt, der an Hitchcocks "Die Vögel" denken lässt. Einen Augenblick lang sitzt die Krähe ganz ruhig auf dem Kreuz über dem Kopf des Schächers zur Rechten Jesu'. Dann, schwups, zuckt sein Schnabel mit einer schnellen Bewegung auf uns zu, hinein in die Kamera, hackt die Krähe uns selbst, nicht dem Schächer, das Auge aus. Dies ist nicht das einzige Bild von sonst selten zu sehender Direktheit in diesem Film, aber eines der grellsten: Ein schonungsloser Angriff auf den Zuschauer, der hier ohne Gnade und Liebe einer einzigen Erfahrung ausgesetzt wird, über und über immer wieder: Dem Schmerz.
Über Mel Gibsons "Die Passion Christi" ist schon viel geschrieben worden. Es gibt Stellungnahmen von Kirchen und Wissenschaftlern, die das theologische Für und Wider abwägen, und in ihrem Fazit überwiegend negativ ausfallen, es gibt den Antisemitismus-Vorwurf, der sich im Film auf den ersten Blick nicht wirklich, beim genaueren Hinsehen aber doch durchaus bestätigt hat. Viel spricht dafür, dass diese Debatte von Gibson, der nicht nur Regisseur des Films ist, sondern diesen auch an den wenig begeisterten Studios vorbei mit eigenem Geld finanziert hat, zumindest zum Teil selbst geschickt lanciert wurde. Jedenfalls hielt er sie immer wieder durch provozierende Geschmacklosigkeiten, kalkulierte Tabubrüche und verweigerte Entschuldigungen am Kochen: "Bad Publicity is good Publicity" - dass dieses zynische Motto sich einmal mehr bestätigt hat - bisher spielte der 25 Millionen Dollar teure Film allein in den USA ca. 270 Millionen ein, womit er eine der erfolgreichsten Independent-Produktionen aller Zeiten ist -, gehört zu den unangenehmsten Erfahrungen in Verbindung mit Gibsons Film.
John Carpenter und die Rückkehr der Mumie
In den Hintergrund getreten ist bei all dem aber der Film selbst. Denn ohne Debatte und ihren religionskriegerischen und fundamentalismuskritischen Subtext hätte er die ganze Aufmerksamkeit und Erregung nicht verdient. Wer ab diesem Donnerstag Gelegenheit hat, ihn zu sehen, und versucht, durch das Gewirr von Meinungen hindurch die Sache selbst zu erkennen, wird verdutzt sein: Langeweile, das Gefühl gähnender Ödnis ist die dominierende Erfahrung. Es gleicht der Betrachtung eines Pornofilms: Nur ein Minimum an gestalterischem Anspruch, eine unsägliche Naivität des Geschichtenerzählens und bloßes Bebildern des längst Bekannten.
Es beginnt bei blauem Licht im Garten Gethsemane. Ein wenig erinnert die Szenerie an einen John Carpenter-Film aus den frühen 70ern. Jesus (Jim Caviezel) betet und spricht zu den Jüngern. Besser gesagt: Er brabbelt auf Aramäisch, es könnte auch Elbisch oder Newsspeak sein - so genau kann das keiner nachprüfen. Später dann hört man auch Latein, das ein bisschen wie Italienisch klingt (vgl. Raubkopierer sind die wahren Erlöser) - "Idiota" ruft ein Römer - und es bleibt das Geheimnis des Regisseurs, warum manche Sätze untertitelt wurden, andere nicht. Dazwischen sieht man Judas, wie er Jesus an die Priester verkauft. Die honiggoldenen Räume, in denen das geschieht, sehen aus, wie die Kulissen von "Die Mumie kehrt zurück", gleiches gilt für Kostüme und Zottelbärte der Priester. Auffallend schlechte Zähne haben die meisten - zur historischen Exaktheit, die Gibson prätendiert, gehört eben auch der authentische Zahnbefund des Jahres 30 n.Chr. Die Kamera hält sich den ganzen Film über immer niedrig und bedeckt - kaum ein Horizont ist zu sehen, dafür viel künstliches Licht. "Die Passion Christi" trägt alle Merkmale einer Billigproduktion, und die geschmackliche Unsicherheit des Regisseurs tut ein Übriges.
Der einzige Punkt, an dem "Die Passion Christi" inhaltlich interessant wird, ist die Gestalt des Satans: Er wird gezeigt als androgyner, von einer Frau (Rosalinda Celentano) gespielter, geisterhafter Versucher mit weißer Albinohaut, ohne Haare, stumm. Eine Horrorgestalt. Anders als der Satan in Scorseses "Die letzte Versuchung Christi" (1988) hat er nichts zu geben und zu versprechen, ist reine Bedrohung. Würmer krabbeln ihm aus der Nase, eine Schlage ringelt sich zu seinen Füssen. Dies also ist das Böse: Etwas Uneindeutiges, Geheimnisvolles, Androgynes - eine Figur der Übergänge. Das, was das schlichte Entweder-Oder von Gibsons Horizont durch seine schiere Existenz bedroht. Dazu passt auch, dass er der eigentlich so schillernden Judas-Figur nichts abzugewinnen weiß.
Rot tropft es von der Dornenkrone
Bis zum Ende beschränkt sich Gibson auf das Bebildern bekannter Bibelstellen. Petrus ringt mit dem römischen Soldaten und verleugnet Christus dreimal, Judas erhängt sich - nachdem ihn Kinderbanden mit satanischen Fratzen gequält haben und er einen verwesenden Esel gesehen hat. Nach etwa 25 Filmminuten ist dann auch das Gespräch mit Pilatus erledigt, und es folgt die Hauptsache: Folter. Immer wieder. Die Botschaft wird nicht vermittelt, sonder herausgeprügelt, in den Leib des Darstellers Caviezel hineingeschrieben. Über eine Viertelstunde dauert allein die Szene, in der Christus mit Geißeln traktiert, ihm mit jedem Hieb Fleischbröckchen aus dem Leib gerissen werden, bis ein blutüberströmter Klumpen zurückbleibt. Rot tropft es von der Dornenkrone. Bis zum Ende ähnelt dieser Christus von nun an einem nassen Schwamm und verliert literweise Kunstblut, bevor - O'zapft is! - es der Römerspeer in seiner Brust noch einmal mit breitem Strahl über die Leinwand spritzen lässt.
Dies sind Bilder, die keinerlei dramaturgischen Hintersinn haben, sondern allein Gibsons persönliche Fiktion illustrieren. Man kann sie aber nicht mit dem Argument entschuldigen, es handle sich bloß um die üblichen und wohlbekannten Effekte des Populärkinos - nein: Populärkino funktioniert nach dem einfachen Prinzip eines Wechselverhältnisses zwischen Zeigen und Nichtzeigen. Der Ort des eigentlichen Schreckens bleibt der Kopf des Zuschauers. Die Vorstellung ist immer schlimmer, als das, was man sieht. Bei Gibson hingegen sieht man fast alles. Und damit erfüllt er sehr präzis das Prädikat des Splatterfilms, jener Filme, die davon leben, dass sie "einfach alles" zeigen und außer in wenigen Ausnahmefällen im Nirwana der Videothekenschmuddelecke landen, wo auch Gibsons Film landen würde, gäbe es die Debatte nicht, und ginge es nicht um das Zentralereignis einer Weltreligion.
Ein Passionsspiel für die ganz Dummen
Ob es Jesus Christus überhaupt gegeben hat, und falls ja: ob er Wunder bewirkte, darüber gehen die Meinungen bekanntlich weit auseinander. In einer liberalen, vermeintlich säkularisierten Gesellschaft ist Religion aber Privatsache, verdient besondere Rücksichtnahme und Schutz nur dort, wo sie angegriffen und bedroht wird, nicht wo einer sie auf eine Weise interpretiert und auslebt, die andere Gläubige erzürnt. Insofern ist es auch egal, ob der Film "blasphemisch" ist, wie ausgerechnet die einst linksalternative taz bekrittelte - so what? Möchte man fragen. Soll er doch sein. Darf er auch. Nur wer sich zum Anwalt der theologischen Mehrheitsfraktion macht, wird feststellen, dass es sich theologisch betrachtet um ein Passionsspiel für die ganz Dummen handelt, in dem das Christentum einseitig auf Opfertheologie reduziert wird. Aber das dürfen die Gläubigen für sich entscheiden, ebenso wie die Frage, ob man Jesu nun so darstellen sollte. Ungläubige Kinogänger, die einen Film sehen wollen, keine religiöse Abhandlung, muss das alles, wie gesagt nicht bekümmern. Jesus ist für sie eine Fiktion wie Tolkiens Hobbits oder Luke Skywalker.
Wäre es nicht so ekelig, könnte man über die illusionäre Vorstellung lachen, dass die Sache tatsächlich für sich selbst sprechen könnte. Aber man sollte nicht darum herum reden: "Die Passion Christi" ist vor allem ein Ekelfilm, vulgär und reaktionär, der auf unseren Voyeurismus setzt, die sadistischen Bereiche unseres Unterbewusstseins bedient, und man möchte lieber nicht so genau wissen, was Mel Gibson eigentlich treibt, wenn er gerade keine Filme macht. Ginge es nicht um vermeintlich Religiöses, wäre der Film nie schon ab 16, sondern erst ab 18 Jahren freigegeben worden - dies ist das Entscheidende für normale Kinogänger. Wer sich nach alldem dennoch schon aus Neugier zum Kartenkauf verleiten lässt, sollte zumindest auf eine arge Zumutung gefasst sein, und vorher besser nichts gegessen haben.