Jetzt erst recht: Umbau der Landwirtschaft und mehr Ernährungssouveränität
Die Nachfrage nach Bio-Produkten wächst. Immer mehr Betriebe stellen auf Bio um. Angesichts der aktuellen Ereignisse wird Unabhängigkeit in der Lebensmittelversorgung immer wichtiger
Im Lauf des ersten Corona-Jahres 2020 verzeichneten die Umsätze von Bioläden deutschlandweit ein Wachstum von 22 Prozent. Für rund 16 Millionen Euro ging Bio-Ware über den Ladentisch - ein Zuwachs von knapp sechs Prozent. Mehr als 17.000 Betriebe – Gastronomie inbegriffen – verarbeiten oder verpacken Bio-Lebensmittel. Damit wuchs ihre Zahl innerhalb von nur sechs Jahren um 24 Prozent.
Manche Naturkostläden wie "Lotos" in Nürnberg verkaufen nicht nur Lebensmittel, sondern bereiten auch warme Speisen zu, zum Beispiel Vollkorn-Quiche oder vegane Burger mit Tofu oder Grünkern. Hinzu kommt, dass immer mehr Kunden nach Fleisch-Ersatzprodukten und Hafermilch fragen.
Die Nachfrage nach Lebensmitteln mit Bio-Siegel wächst - und der Ökolandbau zieht nach. Innerhalb der letzten fünf Jahre stellten heimische Landwirtschaftsbetriebe über eine halbe Million Hektar auf Bio-Anbau um. Allein die Flächen der Bio-Verbände summierten sich auf 1,14 Millionen Hektar - ein Plus von mehr als fünf Prozent. Damit machen sie rund zwei Drittel der gesamten Öko-Fläche aus.
Einer aktuellen Umfrage des Deutschen Bauernverbandes zu Folge kann sich jeder fünfte Landwirt vorstellen, auf Bio-Anbau umzustellen, deutlich mehr als noch vor einem Jahr. Einer vom Konjunkturbarometer Agrar im Dezember durchgeführten Umfrage zu Folge sind 300 von 1500 befragten landwirtschaftlichen Betriebsleitern an einer Umstellung in den nächsten zwei bis drei Jahren interessiert. Weitere 140 Betriebe wirtschafteten zum Zeitpunkt der Befragung bereits ökologisch. Besonders groß ist das Interesse der Bauern in Süddeutschland.
Mehr als ein Viertel aller Bauern halten hier eine Umstellung in den nächsten zwei bis drei Jahren für denkbar. Neben höheren Erzeugerpreisen und gesicherten Abnahmeverträgen versprechen sich die Landwirte davon vor allem höhere Flächenprämien und eine bessere Investitionsförderung. Das wachsende Interesse an ökologischer Landwirtschaft deute darauf hin, dass große Hoffnungen in politische Weichenstellungen durch die neue Bundesregierung gesetzt würden, glauben Agrarexperten.
Die Politik muss die Weichen stellen
Bis zum Jahr 2030 sollen 30 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen auf ökologischen Anbau umgestellt werden. So lautet das erklärte Ziel der Bundesregierung. Um das zu schaffen, müssten jedes Jahr zwölf Prozent der Landwirte auf Bio umstellen, betont der Bundesverband Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Im letzten Jahr zählte der Verband 35.716 Höfe Biobetriebe – das sind fast 14 Prozent aller Landwirtschaftsbetriebe.
Im Jahresverlauf stellten 320 Betriebe auf Bio um. Etwa die Hälfte aller Biobetriebe gehört einem Anbauverband an. Die ökologisch bewirtschaftete Fläche lag im vergangenen Jahr mit 1,78 Millionen Hektar bei knapp elf Prozent. Allein in den letzten fünf Jahren stellten die heimischen Öko-Betriebe mehr als eine halbe Million Hektar Landwirtschaftsfläche um.
Zwar konnte der wachsende Bio-Markt mit mehr heimischer Bio-Ware aus den Umstellungen der Vorjahre bedient werden, doch in einigen Bereichen – etwa beim Bio-Fleisch - reichte die heimische Produktion nicht aus. Auch Körnerleguminosen und Futtergetreide wurden knapp. Hier war die Nachfrage größer als das Angebot.
Die letzte Bundesregierung habe die Umstellungswilligen eher ausgebremst, so konnten sich doch die Landwirte nicht sicher sein, ob ihre Öko-Leistungen künftig honoriert werden, kritisiert der BÖLW. Der geplante Umbau der Tierhaltung müsse sich sowohl in der geplanten Haltungskennzeichnung als auch bei dessen Finanzierung abbilden.
Um die Bio-Verarbeitung und den Absatz heimischer Bio-Produkte weiter anzukurbeln, müssen auch geeignete Infrastruktur und finanzielle Ressourcen bereitgestellt werden. Von der Kita über die Schulen bis in die Universitäten hinein müsse Bio auf allen Lehrpänen stehen, fordert die BÖLW-Vorsitzende Tina Andres.
Weil die Öko-Regelungen mit den Agrarumweltmaßnahmen der zweiten Säule nicht zu kombinieren seien, ergeben sich Nachteile für Biolandwirte, kritisiert unterdessen der Deutsche Bauernverband. Er fordert eine Reform der EU-Gesetzgebung für den Ökolandbau sowie eine Korrektur des Strategieplans zur Umsetzung der europäischen Agrarpolitik ab 2023.
Bio-Landwirtschaft wächst, aber zu langsam
Ernährungsbedingte Krankheiten in Deutschland verursachen Kosten von jährlich 17 Milliarden Euro. Das zeigt eine Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und des Biotech-Unternehmens Brain AG von 2015. Eine gesündere Ernährung mit mehr Bio-Produkten könnte dieser bedenklichen Entwicklung entgegenwirken. Bio-Bäuerinnen und Bauern produzieren nicht nur gesunde Lebensmittel, sie schützen gleichzeitig Umwelt, Klima, Böden und Artenvielfalt.
Doch obwohl das Umstellungsinteresse bei den Landwirten steigt, erfüllen die realen Entwicklungen längst noch nicht alle Erwartungen. Dies hängt nicht zuletzt mit den unsicheren Rahmenbedingungen bei der EU-Agrarpolitik zusammen. Damit 30 Prozent Bio möglich werden, muss ressortübergreifend an einem gemeinsamen Ziel gearbeitet werden, betont Bioland-Präsident Jan Plagge. Dafür brauche es die richtigen Weichenstellungen. Ministerien und untergeordnete Behörden müssen sich dem Ziel anpassen.
Vor diesem Hintergrund formulierte der Biolandverband zehn Kernforderungen: Unter anderem soll ein neuer Aktionsplan für das 30-Prozent-Bio-Ziel erarbeitet werden, es braucht ein Konzept für artgerechte Tierhaltung, Wahlfreiheit bei Gentechnik, eine Stärkung des Ökolandbaus bei der nationalen Umsetzung der GAP, mehr Forschungsmittel sowie einen neuen Ausbildungsberuf zum Ökolandwirt.
Aktuell steigen Energie- und Rohstoffkosten, zudem mangelt es an Futtermitteln. Darunter leiden alle Landwirte. In der Bio-Branche gibt es zwar einen leicht erhöhten Gewinn, der aus der erhöhte Nachfrage nach Bio-Fleisch resultiert, doch dieser muss auch die erhöhten Kosten decken.
Krieg treibt Lebensmittelpreise weiter in die Höhe
Russland und die Ukraine sind weltweit Hauptexporteure von Weizen, Mais und Sonnenblumenöl. Allein beim Weizen liegt der Weltmarktanteil beider Staaten bei 30 Prozent, bei Mais sind es knapp 20 Prozent. Nahezu 80 Prozent der weltweiten Produktion an Sonnenblumenöl stammen aus der Schwarzmeerregionen.
Auf einem drei Millionen Quadratkilometer großen Gebiet zwischen Sankt Petersburg, Odessa und Irkutsk werden riesige Mengen Getreide, aber auch Zuckerrüben, Mais und Sonnenblumen angebaut. Im vergangenen Jahr noch fuhr die Ukraine, die auch die Kornkammer Europas genannt wird, eine Rekordernte von 33 Millionen Tonnen Weizen ein. Nachdem 24 Millionen Tonnen davon ausgeliefert wurden, gefährdet der aktuelle Krieg nun Aussaat und Ernte des neuen Getreides.
Pandemie, teure Energie und Dürren haben die Preise für Nahrungsmittel bereits in die Höhe getrieben. Seit dem russischen Angriff haben sich Agrarrohstoffe auf den weltweiten Märkten massiv verteuert. Hintergrund ist die Sorge vor ausfallenden Lieferungen von Weizen, Sonnenblumenöl oder Düngemitteln.
War der Weizenpreis im letzten Jahr um fast 30 Prozent gestiegen, könnten nun noch einmal 30 Prozent dazukommen, befürchten Analysten. Wenn die Getreide-Exporte einbrechen, hätte dies katastrophale Auswirkungen auf die Ernährungssituation einiger Länder des Nahen Ostens und Ostafrikas. Laut David Beasley, Direktor des Welternährungsprogramms, bezieht die UN-Organisation 50 Prozent ihres Getreides aus der Ukraine.
Bleiben die Weizenlieferungen aus, drohen einer Reihe afrikanischen Ländern Mangelernährung und schwere Hungersnöte. Wegen weltweiter Dürren – zum Beispiel in Ostafrika – und steigender Nachfrage aus China und Indien sind die Lebensmittelpreise in den letzten zwei Jahren ohnehin stark gestiegen. So war die Teuerung bereits vor dem Krieg derart hoch, dass die Lebensmittelrationen im Jemen um die Hälfte gekürzt werden mussten.
In dem Land, in dem seit 2015 Bürgerkrieg herrscht, sind große Teile der Bevölkerung unterernährt. Auch Ägypten bezieht über 50 Prozent seines Weizens aus Russland und der Ukraine. Bisher hielten die Getreideimporte das größte arabische Land mit seinen 105 Millionen Einwohner politisch stabil. Ähnlich stark betroffen wäre der Libanon: Das Land kauft sein Getreide zu 95 Prozent aus der Schwarzmeerregion ein.
Weniger Tiere für mehr Nahrungsmittelsicherheit
Zwar droht der Nahrungsmittelversorgung in Deutschland und in der EU keine Knappheit. Dafür werden Futtermittel, die zu großen Teilen aus der Ukraine und Russland importiert werden, deutlich teurer. Aktuell werden hierzulande auf fast 60 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen Futterpflanzen für Nutztiere angebaut.
Das sind rund zehn Millionen Hektar, davon jeweils die Hälfte Wiesen, die gemäht werden, um Grassilage oder Heu als Tierfutter zu gewinnen. Der Rest wird beweidet. Beim Ackerfutterbau werden Futterpflanzen wie Mais und Futtergerste über die gesamte Vegetationsperiode als Hauptfrucht angebaut. Wo Grünland auf Hanglagen oder mit schlechten Böden nicht anders genutzt werden kann, ist Beweidung sinnvoll.
Einige Kulturen – wie Zuckerrüben oder Raps – werden sowohl zur Lebensmittelgewinnung als auch als Tierfutter kultiviert. So wird Rapsschrot, das bei der Ölgewinnung aus der Rapssaat entsteht, als hochwertiges Eiweißfutter eingesetzt. Daneben wird Raps aber auch als Energiepflanze für Bio-Sprit und Biogas-Anlagen genutzt.
Immense Mengen an Futtermittel werden aus anderen Weltregionen in die EU importiert. In den Anbauländern vor allem in Südamerika konkurriert der Futterpflanzenanbau mit dem Anbau von Nahrungsmitteln. Dabei führt die Produktion von Fleisch, Milch und Eiern über den Umweg von Futtermitteln aus Getreide und Ölsaaten vom Acker zu einem gewaltigen Kalorienverlust.
Die Umwandlungsrate von pflanzlichen in tierische Kalorien liegt zwischen Zwei zu Eins bei Geflügel, Drei zu Eins bei Schweinen sowie Sieben zu Eins bei Rindern. In der Schweinemast bedeutet das konkret: Damit ein geschlachtetes Schwein eine Kalorie liefert, muss es drei Kalorien pflanzlicher Nahrung fressen.
Und um ein Kilo Rindfleisch zu erzeugen, werden vier bis neun Kilo Getreide, 27 bis 49 Quadratmeter Land und 15.000 Liter Wasser verbraucht. Zusätzlich werden 22 Kilo Treibhausgase emittiert.
Für eine krisenfeste, nachhaltige Landwirtschaft
Wir haben nicht zu wenig Ackerflächen – wir müssen sie nur anders bewirtschaften, erklärt Chris Methmann, Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch. Das sagt sich so leicht. Der Weg dahin ist sicher nicht einfach, dürfte aber eng zusammenhängen mit der Frage, wie wir unabhängiger in der Nahrungsmittelproduktion werden können. Der Krieg in der Ukraine zeigt einmal mehr die Fragilität der Wirtschaft und des Handels über Ländergrenzen hinweg.
Werden Gas- und Ölquellen gekappt, erhöhen sich die Energiepreise. Infolgedessen steigen auch für landwirtschaftliche Betriebe die Produktionskosten. Hinzu kommt: Die 100 Milliarden Euro, mit denen die Bundeswehr nun bezuschusst wird, fehlen unter anderem beim notwendigen ökologischen Umbau der Landwirtschaft und der Tierhaltung. Umstellungswillige Landwirte aber brauchen viel mehr Unterstützung als bisher. Wollen wir unsere Abhängigkeiten von anderen Ländern reduzieren, müssen zumindest die EU-Subventionen in einen effizienten ökologischen Wandel investiert werden.
Vor diesem Hintergrund fordert die Initiative Aktion Agrar in einer aktuellen Petition Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) auf, die Agrarwende effektiv und schnell voranzutreiben: mit weniger Nutztieren und mehr Tierwohl, Vielfalt statt Megaställen, und Fleisch aus artgerechter Haltung anstatt Billigfleisch. Wir brauchen keine Bauern, die am Rande des Existenzminimus unter Preisdruck unsagbares Tierleid in beengten Ställen produzieren. Sondern wir brauchen eine nachhaltige, ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft, die den Nutztieren einen würdigen Lebensraum und gleichzeitig den Bauernhöfen eine langfristige Perspektive bietet.
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