Journalismus: aus freien Stücken für das Kapital
Seite 2: Wer für wessen Krise zahlt
Der kritische Journalist belässt es aber nicht bei der Feststellung, dass die Virusbekämpfung in dieser Gesellschaft notwendigerweise auf Kosten von abhängig Beschäftigten zu gehen hat. Sondern er schafft es auch noch, ihnen die Bekämpfungsmaßnahmen der Regierung als Vorteil vorzurechnen. Wenn erst einmal der Sachzwang in der Welt ist, dass die Beschäftigten jede Geschäfts- oder Gewinneinschränkung auszubaden haben, dann ist im Vergleich zu einer Entlassung, die die Betroffenen gleich ganz um ihren Lebensunterhalt bringt, die Kurzarbeit mit Lohn- oder Gehaltseinbußen das kleinere Übel - oder sogar ein Vorteil.
Ganz gleich, ob die Unternehmer wirklich vorhatten, alle jetzt Kurzarbeitenden zu entlassen, lässt sich auf diese Weise doch zumindest theoretisch ausrechnen, wie viele Entlassungen hätten stattfinden können. Dazu kann der gewissenhaft recherchierende Journalist aus München sich auf die angeführte Studie stützen. Gemessen an dieser fiktiven Zahl ergeben die nicht stattgefundenen Entlassungen die geretteten Arbeitsplätze: 2,2 Millionen Arbeitsplätze sollen es sein, wobei am Rande vermerkt wird, dass es sich dabei nur um eine Hochrechnung handelt. Doch mit der Überschrift "Kurzarbeit rettet mindestens zwei Millionen Jobs" ist diese gleich als Fakt gesetzt.
So wird aus der Erlaubnis der Regierung für die Unternehmer, bei weniger Produktion und Geschäft die Löhne und Gehälter der Belegschaften zu kürzen, eine Leistung für die Beschäftigten. Die sollen froh sein, überhaupt noch Geld für ihren Lebensunterhalt zu bekommen. Dass dies für einige Härten bedeutet, wird in der Berichterstattung nicht verschwiegen. Alle Leistungen, die die Regierung zur Sicherung des Geschäfts der Wirtschaft aufgebracht hat, ob direkte Zuschüsse, Kredite oder Kurzarbeitergeld, sollen zur Rettung von Arbeitsplätzen beigetragen haben. Und da macht es auch gar nichts, dass das Kurzarbeitergeld zur Hälfte von den Betroffenen selber aufgebracht werden musste, nämlich in Form ihres Beitrags zur Arbeitslosenversicherung und geht mit dem Arbeitgeberanteil in die Lohnkostenrechnung der Unternehmen mit ein.
Die Entscheidung über die Verwendung des Geldes liegt schließlich bei der Regierung und damit ist es deren Leistung - und der Sorge für die so Bedachten gutzuschreiben. Um die Leistung der Regierung noch zu unterstreichen, zieht der Wirtschaftsjournalist Vergleiche zu früheren Krisen, in denen das Wirtschaftswachstum nicht so stark beeinträchtigt wurde, die Arbeitslosenzahlen jedoch höher ausfielen. Auch wenn er die deutsche Wirtschaftspolitik als modellhaft für andere Länder lobt, sieht der kritische Geist zugleich Reformbedarf - so viel Nachdenklichkeit muss im Qualitätsjournalismus sein:
In der Finanzkrise verdiente ein Single in Steuerklasse eins im Schnitt vor der Kurzarbeit gut 2.100 Euro netto im Monat und verlor durch die Arbeitszeitverkürzung 180 Euro. Diesmal verdienten die Betroffenen im Schnitt vorher knapp 1.700 Euro - und verloren im April 2020 300 Euro, ein Fünftel des Einkommens. Dadurch blieben ihnen weniger als 1.400 Euro im Monat. (SZ)
Dass es in den letzten Jahren offenbar drastische Lohn- und Einkommensverluste gegeben hat und dass in der Pandemie die Beschäftigten nochmals heftig zur Kasse gebeten worden sind, ist dabei nicht der Skandal. Den Wirtschaftsfachmann beschäftigt vielmehr die Frage auf, ob ein Mensch, der so bezahlt wird und dann mit steigenden Mieten und Preisen zurechtkommen muss, noch eine ordentliche Figur im Alltag unserer Marktwirtschaft abgeben kann. Diese Frage übernimmt der Autor von einer Mitverfasserin der angeführten Studie:
'Kurzarbeit sichert erfolgreich Arbeitsplätze, kann aber Beschäftigte mit geringeren Löhnen in eine prekäre Lage bringen', sagt Ulrike Stein, die beim IMK das Referat Rente, Löhne und Ungleichheit leitet. Sie schlägt daher vor, etwa Niedriglöhnern ein prozentual höheres Kurzarbeitergeld zu zahlen. (SZ)
Das ist schon gekonnt! Waren es im Zitat vorher noch die Durchschnittslöhne, die kaum zum Leben reichten, so werden sie im nächsten Schritt zu "geringeren Löhnen" und damit zur Abweichung von der Normalität. Dass man die Mangelsituation als die Ausnahme von der Regel sehen soll, wird dann noch unterstrichen, wenn für Niedriglöhner ein höheres Kurzarbeitergeld gefordert wird. Ganz umsonst sollen die so bedachten diese Leistung allerdings nicht erhalten. So schlägt die Referentin vor, Kurzarbeit mit dem Anreiz zur Qualifizierung zu verbinden. Schließlich stehen auch in Zukunft Rationalisierungen und Produktionsumstellungen an, die zu Entlassungen und veränderten Anforderungen führen, für die Arbeitnehmer gewappnet sein sollten. Wahre Fürsorglichkeit, der der Wirtschaftsjournalist einiges abgewinnen kann!
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