Journalismus: aus freien Stücken für das Kapital

Irgendwo muss dieser zweifelhafte Ruf ja herkommen. Bild: Alexas_Fotos auf Pixabay (Public Domain)

Vorwürfe an etablierte Medien lauten: Sie kungeln mit Politik und Wirtschaft, verbreiten vorgefasste Meinungen. Da ist zwar etwas dran. Aber Bestechung und Aufträge braucht es dazu nicht

Journalisten müssen nicht unbedingt lügen, um ihre Parteilichkeit für die herrschenden Verhältnisse zu demonstrieren. Sie führen ständig Zahlen, Studien oder wissenschaftliche Erkenntnisse an, um die Sachlichkeit ihrer Darstellung zu untermauern. Dabei kommt es immer darauf an, wie die Zahlen und Fakten genutzt und womit sie in Beziehung gesetzt werden. Manchmal reicht es schon, Ereignisse in einer bestimmten Reihenfolge anzuordnen, um den Schein von Ursache und Wirkung zu erzielen.

Gepflegt wird so das Bild einer Lage - zum Beispiel der Pandemie -, auf die die Politik reagieren muss. Damit ist nicht die Politik, sondern in diesem Fall das Virus der Grund allen Übels und die Politik die geforderte Instanz. Deren Tun kritisch im Blick darauf zu begleiten, ob es erfolgreich ist und den landläufigen Idealen wie Gerechtigkeitsvorstellungen entspricht - darin sehen Journalisten ihre Aufgabe. Dafür greifen sie in der Regel nicht zur Lüge. Sie setzen "nur" die Parteilichkeit für die nationale Sache, für den Erfolg des Standorts Deutschlands in einer zunehmend schärfer werdenden "Großmachtkonkurrenz" als Selbstverständlichkeit voraus, und schon ergibt sich für sie von selbst, wie man die Faktenlage zu sehen hat.

Zu beobachten ist diese journalistische Sicht der Dinge anhand vieler politischer "Problemlagen" im Zusammenhang mit "Corona" - zum Beispiel bei den Themen Kurzarbeit und Rente: "Das deutsche Modell" überschrieb die Süddeutsche Zeitung einen Artikel von Alexander Hagelüken im Wirtschaftsteil vom 10. Mai 2021. Aus einer Hochrechnung wird hier kurzerhand eine Meldung: "Die Kurzarbeit rettet mindestens zwei Millionen Jobs" - und damit ein Faktum, das gleich von anderen Medien, so auch von der Funke-Mediengruppe, aufgegriffen wird (WAZ, 11. Mai 2021). Dies bildet dann die Basis für ein Lob auf die Regierung: "Die Regierung kann in der Corona-Krise einen Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindern" (SZ).

Alltägliche Berichterstattung, könnte man meinen - Qualitätsjournalismus, wo alle Zitate stimmen, wie es sich für ein Land gehört, das noch Anfang Mai im Deutschen Bundestag die Pressefreiheit feierte. Wer mag hier schon, wo sogar wissenschaftliche Expertise im Hintergrund steht, ein Beispiel für die herrschende tendenziöse Berichterstattung erkennen?

Können Unternehmen an einem Virus erkranken?

Der Artikel im Wirtschaftsteil der Süddeutschen basiert auf einer Studie des Instituts für Makroökonomie (IMK, Autor: Alexander Herzog-Stein), die offenbar die wissenschaftliche Grundlage der Argumentation sichern soll. An erster Stelle fällt auf: Wie selbstverständlich ist hier von der "Corona-Krise" die Rede. Natürlich kann ein Virus Menschen krank machen oder auch töten. Es kann sie aber nicht entlassen und so um ihre Lebensgrundlage bringen. Ein Virus kann auch so viele Menschen krank machen, dass die Produktion stockt und die Versorgung gefährdet ist. Ob dieser Sachverhalt eintritt, hängt jedoch nicht nur von der Menge der Erkrankten, sondern entscheidend von der Art des Wirtschaftens ab.

Betrachtet man das letzte Jahr, so sind nennenswerte Produktionseinschränkungen nicht festzustellen. Große Teile der deutschen Industrie meldeten vielmehr Überschüsse in ihren Bilanzen. Auch war die Versorgung der Bevölkerung nicht eingeschränkt, und die Lebensmittelläden waren voll. Die Einschränkungen der Wirtschaft, die es gab und gibt, verdanken sich dabei nicht nur dem Auftreten des neuen Virus - denn schon vor der Pandemie gab es Absatzprobleme. So konstatiert auch der Autor des Artikels, dass sich die deutsche Wirtschaft bereits vor der Pandemie in einer Rezession befand; die vergleicht er auch mit anderen Krisen und gibt so zu erkennen, dass Krisen, Massenarbeitslosigkeit und -verelendung zum normalen Gang einer kapitalistischen Wirtschaft gehören.

In der Pandemie waren die Einschränkungen in der Wirtschaft das Ergebnis eines politischen Beschlusses im Umgang mit der Seuche. Weil zu Beginn im Frühjahr 2020 ausreichender Schutz, Medikamente und Impfstoff nicht vorhanden waren, beschloss die Regierung, durch Kontakteinschränkungen die Verbreitung des Virus in Grenzen zu halten. Die Funktionsfähigkeit der Bevölkerung sollte so gesichert werden. Die Freizeitindustrie wurde dichtgemacht: Sie galt - und gilt - der Politik als zeitweilig verzichtbar, da sie "nur" der Unterhaltung und Erholung der Bevölkerung dient. Dagegen durften zentrale Bereiche der deutschen Wirtschaft wie die Automobil-, Chemie- oder Fleischindustrie munter weiter produzieren und vermeldeten entsprechende Gewinne.

Für die Beschäftigten wie auch für die vielen Selbstständigen in der Kultur sah und sieht das anders aus: Sie fürchten um ihre Existenz und mussten Einschränkungen bei ihrem Einkommen hinnehmen. Denn in dieser Gesellschaft gilt folgende Gleichung: Wer weniger arbeitet, muss auch mit weniger Geld zum Leben auskommen. Und wer gar nicht arbeitet, bekommt halt nichts.

Nicht Corona entlässt, sondern das Kapital

Die Kurve des Infektionsgeschehens sollte flach gehalten und das Gesundheitswesen mit den schweren bis tödlichen Krankheitsverläufen nicht überfordert werden. Das war und ist der Maßstab der Regierenden aller Parteien. Das Resultat waren Millionen Infizierte und mehr als 80.000 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus in Deutschland. Kritiker, die darin ein Scheitern der regierungsamtlichen Strategie ausmachten - als habe diese den Verlust von Menschenleben um jeden Preis verhindern sollen -, täuschten sich, wie in Telepolis bereits ausgeführt. Die Kontrolle des Pandemiegeschehens kennt eben keine absolute Zahl von Toten oder Infizierten, an der sie sich messen würde.

Die eingeschlagene Strategie ist den Journalisten aus dem Hause der Süddeutschen so selbstverständlich, dass die Maßnahmen der Regierung und die Kalkulationen der Unternehmen geradezu wie ein Sachzwang erscheinen - eine zwingende Reaktion auf das Virus. Der Krankheitserreger wird so für Kalkulationen verantwortlich gemacht, die er überhaupt nicht bewirken kann.

Umgekehrt entlastet er die Darstellung diejenigen, die wirklich entscheiden. Dass Unternehmen das Problem der Gewinn- oder Absatzeinschränkungen auf ihre Beschäftigten abwälzen und sich so schadlos halten, wird zu einer Selbstverständlichkeit und zu einer sachlich notwendigen Reaktion auf das Virus. Dass Politiker die Produktion in zentralen Bereichen der Wirtschaft aufrechterhalten wollen und deshalb bereit sind, Infektionen und Tote in Kauf zu nehmen, soll man ebenfalls dem Virus anlasten, denn der Erfolg der Wirtschaft ist ja das, worauf es in dieser Gesellschaft ankommt.

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