Journalismus: aus freien Stücken für das Kapital
Seite 3: Rentner als Krisengewinnler? Ein Vorschlag zur Schröpfung
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Derselbe Autor hat aber nicht nur die modellhafte Regierungspolitik in der Pandemie entdeckt, sondern auch Menschen, die als Krisengewinnler zu betrachten sind. Diese bedenkt er am Folgetag mit einem Kommentar im Wirtschaftsteil der Süddeutschen: "Rentner - Gewinner der Pandemie" (SZ, 11. Mai 2021). Nach einem kurzen Ausflug in die Geschichte und einem Lob auf die Regierung, stellt er fest, dass es in der Pandemie auch Opfer gibt.
So tauchen die am Vortag noch Geretteten nun als Opfer von Arbeitslosigkeit auf, Selbstständige müssen Pleiten fürchten und Kurzarbeiter mit weniger Geld auskommen. Zu den Gewinnern zählt der kritische Journalist dann die Beamten, nicht weil sie mehr bekommen, sondern weil sie froh sein dürfen, dass ihre Existenz in der Pandemie nicht auf dem Spiel steht. Gewinner sind auch die Aktionäre, die sich über höhere Kurse freuen dürfen - und dann, wer hätte das gedacht, die Rentner. Zwar haben die auch nicht mehr auf ihrem Konto und müssen mit etwa der Hälfte des früheren Einkommens irgendwie über die Runden kommen. Aber weil ihnen die Rente nicht gekürzt wird, will der Autor sie als Gewinner betrachten.
Um sie zu Gewinnern zu machen, muss er die frühere Rentenformel bemühen, die bei sinkenden Löhnen auch sinkende Renten vorsah. Weil dies jetzt nicht eintritt - was in den Augen des Schreibers ungerecht ist -, will er sie als Krisengewinnler an den Pranger stellen. Und so weiß der kritische Geist auch gleich, wer eigentlich zur Finanzierung der Pandemiekosten herangezogen werden sollte: die ganze Armada der Krisengewinnler - aber vor allem die Rentner.
Deren Schröpfung liegt ihm besonders am Herzen, natürlich wegen der Generationengerechtigkeit und auch, weil es früher einmal anders war. Das Verhältnis von Jung und Alt braucht der Autor dabei gar nicht weiter ausführen, er unterstellt einfach, dass das Problem jedem Leser klar ist. Aus dem Verhältnis von Jung und Alt soll sich quasi naturgesetzlich ergeben, dass der Lebensunterhalt der Alten eine zunehmende Last für die Jungen ist. Dass das Generationenverhältnis auf einem staatlichen Beschluss basiert, die jungen Arbeitnehmer im Rahmen der Rentenversicherung für die Renten der Alten aufkommen zu lassen, weil deren Beiträge längst ausgegeben sind, soll dabei nicht interessieren.
Produktivitätssteigerung? Doch nicht für höhere Löhne und Renten!
Übrigens: Wenn es nur um die Versorgung der Alten durch die Jungen ginge, wäre dies bei wachsender Produktivität durch den Einsatz neuer Technologie kein Problem. Nur geht es in dieser Gesellschaft nicht darum. In der Marktwirtschaft sind Arbeitskosten Beträge, die für die rentable Anwendung von Arbeit aufgebracht werden und nicht für die private Existenzerhaltung jenseits des Arbeitslebens. Also sind Aufwendungen für den Lebensunterhalt von Alten Kosten, die den Jungen aufgebürdet werden.
Dass in der Rentenversicherung die Höhe der Renten an die Höhe der Löhne geknüpft worden ist, erklärt der Autor zum Normalzustand und die Reformen der letzten Jahre, die ein weiteres Sinken der Renten bei sinkenden Löhnen ausschließen sollten, zum politischen Sündenfall. Und so kann er vorrechnen, dass dies den Rentnern geradezu riesige Zuwächse erbracht hat.
Die Zahlen sollen für sich sprechen, das tun sie aber nur, weil vieles ausgeblendet wird und so mancher Vergleich schief ist. Um zu den ansehnlichen Zuwächsen zu kommen, muss er schon einen Zeitraum von fünf Jahren betrachten, um eine Steigerung von bis zu sechs Prozent zu ermitteln. Um wie viel in diesem Zeitraum die Preise gestiegen sind und damit die Einkommen entwertet haben, bleibt dabei außen vor. Dem werden nicht die anderen Einkommen aus diesem Zeitraum gegenübergestellt, sondern die des Krisenjahres 2020. Dass dort die Beschäftigten Einbußen hinnehmen mussten, ist für den Schreiber die größte Selbstverständlichkeit. Ein Skandal ist für ihn jedoch, dass die Rentner nicht ebenso geschädigt wurden.
Inflation? Die gibt es auch noch?
So versteigt er sich zu der Aussage, dass Rentner sich mangels Rentenkürzung nicht einzuschränken hätten. Ausgeblendet wird wieder einmal die Entwertung der Renten über die Inflation. Das Ganze lässt sich noch steigern, indem man den Rentnern für das nächste Jahr eine Rentensteigerung von fünf Prozent prognostiziert. Zwar ist landauf landab nirgends eine Lohnsteigerung in dieser Größenordnung zu erkennen; die meisten Gewerkschaften haben allenfalls Lohnsteigerungen unter der offiziellen Inflationsmarke abgeschlossen - wobei sie sich sowieso mehr um den sozialen Frieden als um Lohnkämpfe kümmern.
Aber wenn man davon ausgeht, dass im Rahmen des sich abzeichnenden Aufschwungs wieder mehr gearbeitet und damit die gesamte Zahl der Löhne steigen wird, kann man diese Zahl, auch wenn sie eine ganz hypothetische Größe ist, als Beweis für die ungerechten Verhältnisse nehmen, die bei der Einkommenslage der lohnabhängig Beschäftigten eingetreten sein soll. Das Ganze lässt sich auch noch bis 2050 hochrechnen. Dann entstehen noch viel deutlichere Zahlen, die diese Ungerechtigkeit unterstreichen. Und so sieht der Autor die zukünftigen Regierungen in der Pflicht, die Rentner gehörig zu schröpfen. Den Vorwurf, er würde so Sozialneid schüren, wird er natürlich weit von sich weisen.
So schließt sich Lob und Kritik der Regierung zusammen. Die Sorge um den Erfolg der Nation verleitet den Autor so einmal zum Lob, dann auch zur kritischen Beauftragung der Regierung und weiß die Fakten entsprechend zu gestalten.
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