Journalismus für die Mächtigen

Seite 2: Alte Schulhofregel: "Alle auf einen"

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Die Skandalisierung lebt vom Schwarz-Weiß-Zeichnen, dem Dualismus zwischen Gut und Böse, weise und bekloppt. Aus einem Interview oder einer Rede wird daher immer nur ein Halbsatz herausgegriffen.

Kühnerts Kritik an der Profitgier von Vermietern etwa hätte nie zum Skandal getaugt. Wie bei den Schulhofschlägereien erprobt, gilt die Strategie: Alle auf einen. Damit muss man gewinnen und damit steht man zwangsläufig auch als jubelnder Zuschauer auf der Gewinnerseite. Hier also: Keineswegs die Jusos insgesamt angreifen, sondern nur ihren Vorsitzenden. Und damit auch wirklich alle mitprügeln, muss der Feind besonders bedrohlich gemacht werden. "Kollektivierung" klingt nach harmloser Solarenergie, aber "Sozialismus à la DDR", "Trabi" und "Planwirtschaft" sind Testosteron.

"Hören, was man hören will"

Vorsätzliche Falschberichterstattung ausgenommen, dürften die meisten Problem im Journalismus in Recherchemangel gründen. Recherchieren heißt: Fragen stellen, Antworten dazu suchen. Das verlangt nur selten ausgeklügelten Techniken oder Zugänge zu Geheiminformationen - es verlangt einfach nur, Fragen stellen und Antworten suchen zu können. Nicht wenige Journalisten scheitern am ersten Schritt - ob aus Bequemlichkeit oder Begrenztheit muss offen bleiben.

Im "Fall Kühnert" beginnt dieses Problem bereits beim Ausgangs-Interview der "Zeit". Da, wo es spannend wird, fragen die Journalisten nicht nach, weil ihnen gar nicht auffällt, dass es hier viele spannende Fragen gibt. Und auch den Nacherzählern und Weiterdrehern anderer Medien stellten sich offensichtlich keine Fragen - die Stichworte "Sozialismus" und "Kollektivierung" genügen, um die eigenen Vorstellungen davon abzurufen und zu verbreiten.

"Leser, Hörer und Zuschauer ignorieren"

Auch Journalisten lieben die Klassengesellschaft. Sie spielen gerne möglichst weit oben mit. Natürlich ist das wie überall nur einem kleinen Teil vergönnt (wir kleinen Freien gehören da ganz sicher nicht hin), aber dieser kleine Teil gibt den Ton an. Den "Fall Kühnert" kommentieren Chefredakteure, Ressortleiter, Berliner Alpha-Journalisten - oder solche, die noch daran arbeiten, auch mal bei den Mächtigen auf dem Schoß sitzen zu dürfen. Ihr gemeinsames Problem: sie leben in einer anderen Welt als die meisten derjenigen, für die sie angeblich Journalismus machen. Das Phänomen nennt sich mal "Raumschiff Berlin", mal "Dunstglocke Reichstag", mal "Eppendorf-Syndrom".

Praktisch jeder, der von Journalisten zum "Fall Kühnert" zitiert wird, lebt zumindest zeitweise in diesem merkwürdigen Berliner Biotop der Reichen und Mächtigen. Normale Bürger? Kommen nicht vor. Irrelevant. Eben Leser, Hörer, Zuschauer - aber keine Akteure. Selbst nicht, wenn es gerade mal um Sozialismus geht.

Ganz ungeniert wenden sich Journalisten in ihren Publikationen an diese Macht-Eliten. Sie gerieren sich als Unternehmensberater der Parteien (tagesschau.de: "Die SPD hat ein Führungsproblem [...] wer zum Teufel ist eigentlich Kevin Kühnert?"; sueddeutsche.de: "Kühnert schrumpft sich mit seinen Äußerungen selbst auf die Rolle des Juso-Chefs zurück") oder schreiben gleich einen "Brandbrief", damit der Politikbetrieb wieder nach ihren Vorstellungen läuft (bild.de: "Gleichermaßen abschlägig möchte ich Ihre Überlegungen zur Verstaatlichung von BMW und anderen Wirtschaftseinheiten bescheiden").

Immer die fragen, deren Antwort man schon kennt"

"News is what's different", hieß es im letzten Jahrhundert noch an Journalistenschulen und Journalistik-Instituten. Es galt die "Mann-beißt-Hund"-Regel, wonach nur das Ungewöhnliche, das Irreguläre eine Nachricht wert sei. Allerdings sind Hunde beißende Männer journalistisch anstrengend, sie verlangen einem viele Fragen ab, will man ihr Tun adäquat beschreiben. Einfacher ist es natürlich, wenn der blöde Hund beißt und Journalisten landauf landab recherchefrei ihre Weltsicht abspulen können (Maulkorbpflicht!, Hundeführerschein!, und der Kot!, Steuer rauf!, verbieten, verbieten, verbieten!).

Wen also fragt man zum Schlagwort "Sozialismus", um mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit jeden Erkenntnisgewinn und damit jeden Anflug von Verunsicherung gleich Frage gleich Recherche gleich Arbeit auszuschließen? Bonzen natürlich, Ober-Kapitalisten oder wenigstens ihre Lakaien. Und schon steht die Schlagzeile: "Deutsche Wirtschaft ist entsetzt über Kühnert-Aussagen".

Ein "Gesamtbetriebsratschef" ist natürlich nicht repräsentativ für die Arbeitnehmerschaft und als Mitglied des Aufsichtsrates ein ebenso origineller Gesprächspartner zum Sozialismus wie Jäger zur Abschaffung der Jagd.

Nicht anders ist es mit dem gesamten politischen Personal: Dass Wettbewerber Kühnerts Idee doof finden, soll eine Nachricht sein? Dass ein ehemaliger Bundeswirtschaftsminister (Jahreseinkommen 260.000 Euro), der den demokratischen Sozialismus nicht spürbar vorangetrieben hat, "schwere Anschuldigungen gegen Juso-Chef Kevin Kühnert" erhebt und dessen "Sozialismusthesen" "scharf zurückgewiesen" hat, soll eine Meldung wert sein?

Oder geht es nicht langsam doch um Volkserziehung und die stete Dosis Opium? "Wir, Politik und Medien, haben alles im Griff, selbst sozialistische Umstürze schlagen wir im Nu nieder."

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