Journalismus für die Mächtigen

Seite 3: Gefühle statt Fakten

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Bekanntlich kann nichts so schnell eine Geschichte kaputt machen wie Recherche. Fakten sind die größte Gefahr jeder schönen Skandalstory, daher darf nach ihnen unter keinen Umständen gefragt werden. Unangreifbar hingegen sind Gefühle, die es ja längst zur "gefühlten Wahrheit" gebracht haben.

Lehrbuchmäßig ist etwa ein Kommentar von Peter Stefan Herbst, Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, im Deutschlandfunk (bitte lesen): a) Wiederholung markiger Sprüche: "Was raucht der eigentlich?"
b) Das Medienopfer für seine Rolle verantwortlich machen: "Kevin Kühnert hat in einem Interview mit der Wochenzeitung 'Die Zeit' unzählige Fragen provoziert." (Wenn dem so ist, haben die Zeit-Journalisten einfach einen schlechten Job gemacht, schließlich hätten sie alle provozierten Fragen stellen können und müssen.)
c) Die einzigen, leider vorhandenen Fakten ignorieren oder umdeuten: "Die Schreckgespenster der Verstaatlichung und Enteignung ziehen am Horizont auf." (Dabei hatte Kühnert explizit bejaht, dass er keine Verstaatlichung wolle.)
d) Statt neuer Fakten eigene Gedanken, Wahrnehmungen, Interpretationen: "Die Utopien von Kühnert riechen nach sozialistischer Mottenkiste - und das 30 Jahre nach dem Fall der Mauer." (Tatsächlich riechen die "Utopien" nur nach der Kiste, in die der Kommentator sie gesteckt hat, anstatt sie in der Hand des Urhebers zu beriechen.)
e) Meinungen als Tatsachen verkaufen: "'Für Arbeiter in deutschen Unternehmen ist diese SPD nicht mehr wählbar', dieser Satz des Betriebsratsvorsitzenden von BMW ist der größte anzunehmende Betriebsunfall der SPD." (Was hat ein Interview des Juso-Vorsitzenden, der momentan nirgends zur Wahl steht, mit der Europa-Wahl der SPD zu tun? Und welche totalitäre Idee muss man verfolgen, wenn ein solcher "Betriebsunfall" künftig sicher vermeidbar sein soll?)
f) Sich gemein machen mit den Mächtigen, Politik immer aus Sicht der Politiker beschreiben, nie aus Sicht der Wähler: "Kühnert aber hat zum völlig falschen Zeitpunkt völlig unnötig überdreht und die Chancen der SPD bei den anstehenden Wahlen weiter gefährdet." (Sind öffentliche Debatten dazu da, die Wahlchancen einer bestimmten Partei zu erhöhen? Oder sollen sie vielleicht dazu dienen, Positionen herauszuarbeiten, zu denen sich dann Parteien verhalten können?)
g) Sei dir auf keinen Fall zu blöde für ein ad-hominem-Argument: "Kevin ist mit seinen Überzeugungen nicht allein zu Haus." (Bei diesem Wortspiel wäre der Begriff "Mottenkiste" vielleicht tatsächlich angebracht, so rein empirisch...)

Fazit

Ein großer Teil der Medien hat sein übliches Geschäftsmodell verfolgt: Skandalisierung, Sau durchs Dorf jagen, zur Strecke gebracht ausweiden, dann weiterziehen. Schlauer ist man hernach niemals.

Natürlich gibt es immer Ausnahmen, natürlich ist die Medienlandschaft nicht ganz so eintönig, wie hier polemisch überzeichnet. Spiegel-Online bspw. hatte schon am Morgen des 2. Mai süffisant angemerkt, "der Chef der 'Jungsozialisten in der SPD'" habe gewagt zu sagen, "was seit jeher Bestandteil der Juso-Programmatik ist - dass er den Kapitalismus überwinden möchte".

Es gab ein paar wohlwollende Anmerkungen zu offenen Debatten, gelegentlich wurde auch Zustimmung zu Kühnerts Positionen oder schlichte Unaufgeregtheit vermeldet - doch das dominierende Narrativ war, dass ein Milchbubi mit abgebrochenem Studium, der also noch nie in seinem Leben etwas geleistet hat, aus Bosheit oder Dummheit der alten Tante SPD geschadet habe, obwohl doch nun wirklich jeder weiß, was für einen Blödsinn er da von sich gegeben habe.

Was hätten all die Nacherzähler und Kommentatoren wohl gemacht, wenn sie über den von ihnen sogleich enttarnten Blödsinn den gütigen Mantel des Schweigens gelegt hätten und ein Zeit-Interview einfach ein Zeit-Interview geblieben wäre?

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