Journalisten an der Leine

Mission complete. #Remembering41. Screenshot von dem von Jim McGrath‏ auf Twitter veröffentlichten Bild

Anmerkungen zu Bush und Hund

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Es war die perfekte Inszenierung. Und eine gesamte Medienlandschaft hat sich, befreit vom kritischen Blick, an ihr beteiligt. Ein Foto, das den Hund des verstorbenen Präsidenten George H. W. Bush vor dessen Sarg liegend zeigt, führt uns wieder einmal vor Augen: Medien haben enorme Probleme damit, politische Inszenierungen und Propaganda, wenn sie der eigenen Erwartungshaltung entspricht, zu dekonstruieren. Ein toter Bush, ein Sarg und ein Hund reichen aus, um top-ausgebildete Journalisten an die PR-Leine zu nehmen. Qualitätsmedien haben dazu beigetragen, dass ein Meisterstück der politischen Inszenierung ungehindert seine hochgradig manipulative Wirkung entfalten kann (Auf den Hund gekommen).

Am Abend des 2. Dezembers teilt der Sprecher von George H.W.Bush ein Foto auf Twitter. Das Foto zeigt den in das Sternenbanner eingehüllten Sarg, in dem sich der Leichnam des 41. Präsidenten der USA befindet. Vor dem Sarg liegt "Sully", der Hund von GHWB. Zu dem Foto schreibt Jim McGrath: "Mission complete. remembering 41."

Die Aussage des Fotos ist zwingend: Der Vierbeiner trauert um sein Herrschen. Der Emotionalität des Bildes kann sich kaum ein Betrachter entziehen. Verständlich. Doch: Wie kann es sein, dass top-ausgebildete Journalisten, die um die Macht politisch inszenierter Bilder wissen, wie auf Bestellung dieses PR-Foto in ihre Berichterstattung um den Tod des Präsidenten einbinden und seinen Aussagegehalt ohne kritische Einordnung an ihre Leser und Rezipienten weitergeben?

Der Reihe nach.

Bereits in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts schrieb der PR-Spezialist Walter Lippmann in seinem Grundlagen Werk "Die öffentliche Meinung" die folgenden Zeilen:

Fotos üben heute die Macht über unsere Einbildungskraft aus, die gestern das gedruckte und davor das gesprochene Wort besaß. Sie scheinen absolut wahr zu sein. Wir glauben nämlich, dass sie ohne menschliches Dazwischentreten geradewegs zu uns gelangen, und sie sind geistige Nahrung, die uns am wenigsten anstrengt.

Walter Lippmann

Ja, Fotos strengen in der Tat in der Regel wenig an. Je einfacher das gezeigte Bildmotiv für uns verständlich ist, umso leichter können wir es in einen Sinnzusammenhang setzen. Das Foto, das "Sully" vor dem Sarg liegend zeigt, bedarf im Grunde genommen keiner Rezeptionsarbeit. Durch den Kontext, den wir als Mediennutzer vermutlich an anderer Stelle schon erfahren haben, ist es uns ein Leichtes die Verbindung herzustellen. Bush tot Sarg mit Leichnam Hund liegend vor Sarg Hund trauert. Selbst wenn wir nicht wüssten, dass Bush verstorben ist, wäre es einfach zu dem Schluss zu kommen, dass hier ein Hund um sein verstorbenes Herrchen trauert. Schließlich: Wer kennt nicht jene Geschichten, die von treuen Hunden erzählen, die nach dem Tod ihres Besitzers über Stunden und Tage nicht von dessen Grab weichen.

Diese Geschichten dürften die meisten Menschen ergreifen. Das Foto, von "Sully" - dem "trauernden" Hund - entwickelt eine enorme emotionale Kraft. Fast verbietet es sich, diese herzergreifende Szene zu hinterfragen. Doch Vorsicht. Wir bewegen uns auf Ebene der politischen Inszenierung. Betrachten wir das Foto genauer und fragen uns: Zeigt das Foto tatsächlich, was wir annehmen?

Was genau sehen wir überhaupt? Wir sehen etwas, von dem wir ausgehen, dass es ein Sarg ist. Wir nehmen an, dass in diesem Sarg der Leichnam von George H.W. Bush liegt (im Grunde genommen wissen wir nicht einmal das). Wir sehen einen Hund, der angeblich jener Hund ist, der GHWB gedient hat. Wir sehen, dass dieser Hund vor dem Sarg liegt.

Aber: Ist es nicht eigenartig, dass der Hund perfekt in der Mitte vor dem Sarg liegt und so ein in jeder Hinsicht perfekt symmetrisches Foto entstehen kann? Würde der Hund irgendwo links oder rechts vor dem Sarg liegen, wäre die Annahme einfach, dass "Sully" sich tatsächlich aus freien Stücken dorthin gelegt hat. Aber genau in die Mitte vor den Sarg?

Nein, die Realität ist: Einen Hund, der für einen Fotografen mitdenkt und sich extra so hinlegt, dass ein derartig perfektes Foto entstehen kann, gibt es nicht.

Dieses Foto, davon muss man ausgehen, ist eine Inszenierung - auch wenn wir nicht wissen, wie genau dieses Foto zustande kam. Wir können nicht sagen, wie groß der Aufwand für die Inszenierung war (hat sich Sully tatsächlich aus freien Stücken nahe der Mitte hingelegt? Hat man ihn "nur" etwas bewegt? Hat man ihn an die Stelle geführt und gewartet, bis er sich von allein hinlegt? Hat man auf eine andere Weise nachgeholfen? Usw. usf.)

Betrachten wir zum Vergleich ein Video , das "Sully" zeigt - dieses Mal bei der Trauerfeier im Capitol.

Auf dem Video ist zu sehen, wie "Sully" an den Sarg geführt wird und sich nach einer Weile links von der Person, die ihn führt, auf den Boden legt. Damit macht er das, was viele Hunde machen, wenn derjenige, mit dem sie unterwegs sind, stehen bleibt. Hunde legen sich oft auf den Boden. Sei es vor der Haustür, auf dem Parkplatz oder aber beim Warten an einer Fußgängerampel, die Rot zeigt. Mit Trauer hat dieses Verhalten wenig zu tun. Aber vor allem: Auch in diesem Video macht Sully keine Anstalten, sich genau auf die Mitte des Sarges zubewegen zu wollen.

Eindeutig: Sully - auch in dem Video - ist Teil einer politischen Inszenierung, die auf die Emotionen setzt, die entstehen, wenn Menschen Hunde sehen (ganz zu schweigen von seinem Namen, der an jenen heldenhaften Piloten erinnert, der 2009 eine Passagiermaschine auf dem Hudson River notgelandet hat).

Analytisch betrachtet: Der Hund erfüllt den Zweck, die positiven Empfindungen, die viele Menschen bei seinem Anblick spüren dürften, auf den verstorbenen Präsidenten zu übertragen (wenn dessen Hund um ihn "trauert", kann der gute alte GHWB kein so schlechter Mensch gewesen sein). Er wirkt zugleich wie ein Schutzschild vor Angriffe auf den ehemaligen Präsidenten (wer möchte ernsthaft den gerade verstorbenen Präsidenten kritisieren, wenn alle Welt mit "Sully" mitfühlt?).

Hinzu kommt: "Sully" ist ein "Service Dog", also ein Hund der Organisation "Americas VetDogs", der speziell darauf trainiert wurde, seinem Besitzer bestimmte Tätigkeiten abzunehmen bzw. ihm das Leben zu erleichtern. Er diente Bush gerade erst 6 Monaten. Ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum, um eine tiefe und feste Verbindung zwischen Hund und Herrchen herzustellen.

Im Grunde genommen muss man nicht weit denken, um zu den hier angestellten Überlegungen zu kommen. Wer weiß, wie gerade auf politischer Ebene in den USA auf die Kraft der Inszenierung gesetzt wird, sollte mit Bildern, die den Verdacht von Inszenierung geradezu aufdrängen, mit Vorsicht umgehen. Die Veröffentlichung des PR-Fotos ist sicherlich legitim - und man kann die Gründe, die bei der Veröffentlichung aus Sicht von Bushs PR-Leute eine Rolle spielen, nachvollziehen. Doch das heißt nicht, dass Qualitätsmedien diese PR-Propaganda ohne Distanz verbreiten müssen. Das Foto bedient die Erwartungshaltung des Betrachters und deshalb kann es leicht seinen manipulativen Moment entfalten.

Doch nochmal zu der zu Beginn gestellten Frage: Warum haben Medien (nicht nur in Deutschland. Ausnahme: Slate) ohne kritische Distanz und Einordnung das Foto veröffentlicht?

Der Verdacht liegt nahe, dass selbst diejenigen, die um die manipulative Kraft von Bildinhalten wissen, jede kritische Distanz zu ihrer Berichterstattung verlieren, wenn die Propaganda ihr eigenes politisches Wirklichkeitsverständnis umrahmt.

Um die Gegenprobe zu machen: Was wäre, wenn das Foto im Zusammenhang mit Putin entstanden wäre? Entweder hätten die meisten Mediennutzer nie davon erfahren, dass es auf Twitter geteilt wurde oder aber, bei einer Berichterstattung, wäre das Wort "Inszenierung" mindestens so oft gefallen wie der Name des russischen Präsidenten.

Das Bild passte einfach zu gut zu dem von vielen Medien angestimmten Tenor von Bush als "großen Staatsmann". Über die dunklen Seiten https://www.watson.ch/international/usa/703081494-kriegsverbrechen-rassismus-behinderung-der-justiz-das-vermaechtnis-von-george-h-w-bush seines Wirkens, über die vielen toten Menschen, die alleine der erste Golfkrieg gekostet hat, schaut man da lieber großzügig hinweg (Väter und Söhne).

Doch es kommt noch schlimmer. Nicht nur, dass Qualitätsmedien dieses PR-Foto unkritisch veröffentlicht haben, nein, sie haben die PR durch die entsprechende Rahmung gefällig unterstützt und teilweise auch noch weiter ausgebaut.

Da heißt es in Überschriften etwa, dass Sully "wacht" oder den Sarg "bewacht". Man fragt sich: Woher kommt dieses "wissen"? Hat "Sully" Personen, die sich dem Sarg genähert haben, angebellt oder gar gebissen? Gibt es Hinweise darauf, dass Sully nicht einfach nur da lag, sondern "bewacht" hat? Leider berichten diese Medien nichts darüber. Und überhaupt: Warum sollte "Sully" den Sarg "bewachen"? Man darf doch annehmen, dass der Sarg, in dem der Leichnam des 41. US-Präsidenten liegt, ausreichend "bewacht" wird.

Oder, besonders krass, die Bildunterzeile eines Artikels vom Südkurier: "Dieses Bild sagt alles: Hund Sully trauert vor dem Sarg seines verstorbenen Herrchen, der ehemalige US-Präsident George H. W. Bush, der am Freitag (30. November) im Alter von 94 Jahren starb."

So einfach kann es gehen. Da wird ein ganzer Komplex von Inszenierung, Manipulation und politischer Propaganda mit einem Satz weggewischt: "Dieses Bild sagt alles." Man will gar nicht daran denken, wie eine derart naiv aufgestellte Medienlandschaft erst im Falle eines Krieges agieren würde.

Eine Auswahl von Überschriften deutschsprachiger Medien zu "Sully"

Spiegel Online: Hund des verstorbenen US-Präsidenten Sully, yesterday my life was filled with rain - Der Hund des verstorbenen US-Präsidenten George H.W. Bush begleitet sein Herrchen über dessen Tod hinaus…

T-Online: Rührende Szene - Bushs Hund ruht vor Sarg des Verstorbenen

Focus.de: Nach Tod des Ex-Präsidenten"Mission Complete": Assistenz-Hund "Sully" verabschiedet sich von George H.W. Bush

Südkurier: Nach dem Tod von George Bush Senior: Sein Hund Sully trauert um sein Herrchen

FAZ.net: Auch Sully trauert um George H. W. Bush. Ein Bild geht um die Welt: Hund Sully liegt vor dem Sarg des verstorbenen George H. W. Bush. Was wird nun aus dem Hund?

ZDF: Ex-Präsident aufgebahrt - Begleithund Sully wacht vor Bushs Sarg

ntv: Treu bis über den Tod hinaus - Labrador Sully erweist Bush die letzte Ehre

Stuttgarter Nachrichten: Hund von US-Präsident George H.W. Bush. Sully weicht nicht von seiner Seite

Süddeutsche.de: Labrador-Hündin "Sully" verabschiedet sich von Bush senior

Tagesspiegel: Labrador Sully hält verstorbenem US-Präsidenten über Tod hinaus die Treue

Der Westen: Absolut rührendes Foto! So trauert Assistenzhund "Sully" um verstorbenen George H.W. Bush

General-Anzeiger: Trauer um Ex-Präsidenten

Berliner Morgenpost: Trauriges Foto - Hund von George H. W. Bush nimmt Abschied

Kieler Nachrichten: Hund von George H.W. Bush bewacht dessen Leichnam

SHZ.de: Treue über den Tod hinaus : Labrador Sully hält am Sarg des toten US-Präsidenten Bush Wache

Osnabrücker Zeitung: Treue über den Tod hinaus - Labrador Sully hält am Sarg des toten US-Präsidenten Bush Wache

Huffingtonpost: Treuer Hund, auch nach dem Tod: Foto von Bush-Hund rührt Tausende

heute.at: Hier trauert Labrador Sully um George H. W. Bush

Kurier.at: George H. W. Bush: So trauert Hund Sully um sein totes Herrchen