Judgement day in Brüssel?
Freiheitsheld Tommy Franks als Beschuldigter im belgischen Ermittlungsverfahren
Nach Ariel Sharon und George Bush I. hat es nun auch Golfkriegssieger Tommy Franks erwischt. Mehrere Iraker und Jordanier haben bei der Staatsanwaltschaft in Brüssel um Strafverfolgung gegen den obersten US-Truppenchef nachersucht. Der Befreier des Irak soll Kriegsverbrechen begangen haben. Die Anzeigeerstatter, vertreten durch den linken Rechtsanwalt Jan Fermon, sind durch Bombardements und andere Angriffe auf Zivilpersonen Betroffene bzw. deren Angehörige. Vorgeworfen wird den Besatzungsmächten, dass sie Plünderungen zugelassen, zivile Infrastruktur bombardiert, Streubomben eingesetzt (Bilder von Opfern) und wahllos auf Zivilisten bei der Einnahme von Bagdad geschossen hätten (z.B. Beschuss eines Krankenwagens.
Die Drohung, die belgische Justiz könnte gegen Franks ermitteln, löste bereits unmittelbare Erregungen in Washington aus. Dass nun ausgerechnet das Nato-Hauptquartier in Brüssel zukünftig zum juristisch verminten Gelände wird, stellt für Stabschef General Richard Myers eine "sehr sehr ernste Situation" dar, die diplomatisch umgehend bereinigt werden müsse. Möglicherweise könnte der NATO-Standort Belgien ganz gestrichen werden.
Well, the lawsuit that was lodged is ludicrous. The charges deserve contempt, and frankly, no comment. We have been through this before. We certainly expect that the Belgian Government will take the necessary action to dismiss the lawsuit under its laws. As we have also said before, the Belgian Government needs to be diligent in taking steps to prevent abuse of its legal system for political ends.
Philip T. Reeker, Sprecher des US-Außenministeriums
Ob diese üblichen Drohgesten angesichts der belgischen Rechtslage allerdings viel fruchten, steht dahin. Denn nach belgischem Recht können weltweit Kriegsverbrechen in Belgien geahndet werden. Dieses Gesetz ist allerdings vor nicht allzu langer Zeit auf den Druck Amerikas hin insoweit entschärft worden, dass eine von der Staatsanwaltschaft für zulässig erachtete Klage entweder an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag oder an die jeweilige Landesjustiz weiter zu reichen wäre. Die Anklage kann auch für den Fall zurückgewiesen werden, dass die Betroffenen keine Inländer sind.
Einerlei, für Washington ist das politische Justiz, die Belgien als Reiseland kaum mehr zulässt, weil im Fall der Fälle selbst mit Festnahmen zu rechnen wäre. Schon zuvor hatte sich Israels Justizminister Meir Schitrit im Fall des Verfahrens gegen Ariel Sharon darüber erregt, dass "diese kleine und unbedeutende Nation" sich als "Richter für die ganze Welt" aufspiele. In der Tat ist Belgiens Kampf gegen das Verbrechen nicht ohne Ironie, hat sich doch die Strafrechtspflege vor der eigenen Haustür im Fall des Dutroux-Kinderschänderprozesses bisher als erheblich weniger schneidig erwiesen.
Doch solche vermeintlichen Ärgernisse könnten sich in Zukunft nicht nur in Belgien abspielen. Denn in der Bundesrepublik Deutschland besteht seit dem 30. Juni 2002 als Ausfluss des Weltrechtsprinzips ein Völkerstrafgesetzbuch, das auch der deutschen Justiz verbesserte Möglichkeiten an die Hand gibt, Völkerrechtsverbrechen zu ahnden. Ohne Bezug zu Deutschland, unabhängig vom Tatort oder der Nationalität von Täter und Opfer können danach Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen hier zu Lande bestraft werden.
Amerika täte also gut daran, vor Besuchen von hochrangigen Kriegsbeteiligten in Deutschland nachzufragen, ob nicht gerade irgendwelche Ermittlungsverfahren gegen siegreiche US-Kriegsherren anhängig sind. Staatsanwälte wären während solcher Staatsbesuche ausnahmslos zu beurlauben. Denn nicht auszudenken, was passiert, wenn gegen Bush II. Haftbefehl erginge und vollzogen würde. Das dürfte dann das endgültige Ende der deutsch-amerikanischen Beziehungen sein, von weiteren Folgen ganz zu schweigen.
Allzu wahrscheinlich ist das Szenario indes nicht, hat sich Deutschland doch im Rahmen des § 6 StGB, der auch dem Weltrechtsprinzip folgt, bisher äußerst zurückhaltend in der Verfolgung solcher Straftaten gezeigt. Auch Belgien wird die heiße Kartoffel, die sich in eine politische Mega-Streubombe verwandeln könnte, insbesondere nach der Novellierung des Gesetzes wohl fallen lassen oder weiterreichen. Bliebe das Glück, wenn vielleicht auch nicht das Recht, also weiterhin auf der Seite von Tommy Franks, dem Helden.