Julia gegen den Energiecharta-Vertrag

Seite 2: EU-Regierungen fordern einschneidende Reformen des ECT

Die NGO "Investigate Europe" berechnete, dass es zukünftig um ein Klagevolumen von rund 345 Milliarden Euro gegen EU-Staaten gehen werde. Hierbei ist in diese Berechnung insbesondere der geschätzte Wert von erschließbaren Öl- und Gasfeldern im europäischen Raum eingeflossen.

Seit 2017 sind daher angesichts dieses Klagerisikos Forderungen europäischer Staaten nach einer einschneidenden Veränderung des Energiecharta-Vertrags erhoben worden. Die EU-Kommission verhandelte dann auch einen veränderten ECT und bezeichnete das neue Vertragswerk, das im Juni 2022 abgeschlossen wurde, als Verhandlungserfolg, da er nun den EU-Klimazielen angepasst sei.

Europäische Vertragsstaaten sahen dies anders. Zwar würden neue fossile Unternehmensinvestitionen zukünftig nicht mehr durch den Vertrag geschützt werden. Der Schutz gelte nun vor allem für Investitionen in Wasserstoff und erneuerbare Energien, aber bereits bestehende Investitionen in die Fossilwirtschaft würden noch weitere zehn bis 20 Jahre Investitionsschutz und damit verbunden die Klagemöglichkeit vor den fragwürdigen internationalen Sondergerichten besitzen.

Investitionen in die Förderung von Gasvorkommen würden sogar noch bis 2040 geschützt sein. Dies wäre ein erhebliches Hindernis für die gerade in der nächsten Dekade zu leistenden Energiewende und den wirkungsvollen Kampf gegen die Klimakrise.

Aber auch den bisherigen Energie-Charta-Vertrag unterstützende Staaten, wie Japan und Großbritannien sowie Erdöl exportierende Staaten wie Kasachstan und Turkmenistan, wenden sich gegen den reformierten ECT der EU-Kommission.

Derartige auf Fossilwirtschaft und auch auf Atomindustrie basierende Staaten möchten überhaupt keine Veränderungen des ursprünglichen ECT vornehmen. So kündigt Japan an, den modernisierten Vertragsvorschlag der EU-Kommission zu blockieren.

Forderungen nach dem Austritt aus dem Energiecharta-Vertrag

Dementsprechend überlegen derzeit europäische Staaten, aus dem internationalen Vertragswerk des ECT auszusteigen. Italien hat den ECT bereits 2016 aufgekündigt. Spanien will ebenfalls voraussichtlich den ECT verlassen, Deutschland und Frankreich prüfen die Möglichkeit, den Vertrag auch unter den reformierten Bedingungen zu kündigen.

In einem offenen Brief von 78 internationalen Klimawissenschaftler:innen kritisieren diese den Reformentwurf und fordern u.a. von der EU-Kommission und dem Rat der EU einen Austritt aus dem Energie-Charta-Vertrag, da ansonsten aufgrund der staatlichen Maßnahmen gegen die Klimakrise eine Vielzahl von Investor-State-Dispute-Settlements (ISDS, also Klagen von Investoren vor internationalen Sondergerichten) zu erwarten seien – so die Wissenschaftler:innen:

Durch die Beibehaltung des Schutzes ausländischer Investitionen in bestehende fossile Brennstoffe im modernisierten Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ECT) werden die EU-Länder vor die Wahl gestellt, entweder die bestehende Infrastruktur für fossile Brennstoffe bis zum Ende ihrer Lebensdauer in Betrieb zu halten oder sich neuen ISDS-Klagen zu stellen. Beide Optionen werden das EU-Klimaneutralitätsziel und den EU Green Deal gefährden.

Diese Kritik an dem Entwurf eines modernisierten Energiecharta-Vertrags wird von zahlreichen NGO, wie z.B. dem Climate Action Network Europe (CAN) oder Attac geteilt. Bereits 2021 zählte die Süddeutsche Zeitung in ihrem Bericht über den ECT Hunderte Wissenschaftler und mehr als 250 Mitglieder des Europäischen Parlaments, die einen Austritt aus dem Vertrag fordern würden. Mehr als eine Million Menschen in Europa hatten im März 2021, bereits zwei Wochen nach deren Veröffentlichung, eine Petition gegen den ECT unterschrieben.

Der modernisierte Energie-Charta-Vertrag muss nun im November 2022 einstimmig von den ECT-Vertragsparteien angenommen werden. Dies ist sicherlich fraglich, ob eine derartige Annahme des Entwurfs der EU-Kommission gelingen wird. Auch müssen hiernach der EU-Rat und das EU-Parlament dem Vertragsentwurf zustimmen. Des Weiteren müssten die nationalen Parlamente der Mitgliedsstaaten dem Vertrag zustimmen. Dies wäre ein Prozess, der sich noch Jahre hinziehen könne.

Anfang September 2021 hatte übrigens bereits der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Urteil gefällt, dass die Anwendung von Bestimmungen des Energiecharta-Vertrags auf Rechtsansprüche von Investoren gegen einen EU-Staat nicht auf europäisches Recht anwendbar sei.

Die Klage vor internationalen Sondergerichten sei nicht mit den Befugnissen europäischer Gerichte vor dem Hintergrund europäischen Rechts vereinbar. Gegner des ECT würdigten daher das EuGH-Urteil als die Beerdigung des Vertragswerkes. Dennoch hielt dies Unternehmen und Sondergerichte nicht davon ab, weitere Klagen einzureichen bzw. zuzulassen.

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