Junge Union entdeckt Methoden der modernen Herrschaftsführung
Bei der Diskussion um die Mitgliederbefragung wird zu sehr die aktuelle politische Konstellation betrachtet
Der Deutschlandtag der Jungen Union findet in der Regel wenig Aufmerksamkeit. Handelt es sich doch bei der Organisation um einen Kreis junger Karrieristen, die vielleicht immer ein bisschen rechts von der Union agieren, aber schon aus Karrieregründen nicht über die Stränge schlagen. Das tun sie auch mit dem aktuellen Beschluss zur Mitgliederbefragung über die Kanzlerkandidatur keineswegs.
Schließlich ist das Thema auch bei der Jungen Union nicht neu. Bereits vor 4 Jahren sah die Junge Union Schleswig Holstein in ihrem Landesverband eine stille Revolution am Werk, nachdem dort eine Mehrheit für die Urwahl zusammengekommen war. Dass es aber 4 Jahre brauchte, bis sie damit im Bundesverband der Jungen Union eine Mehrheit bekamen, zeigt doch eher, dass auch dort der Fortschritt eine Schnecke ist.
Dieses Kompliment machte der ewige Sozialdemokrat Günther Grass 1977 seiner eigenen Partei. Zudem zeigt die lange Auseinandersetzung um Elemente der Mitgliederbefragung in der Jungen Union, dass es kurzschlüssig ist, den aktuellen Beschluss nur vor den Hintergrund der momentanen innerparteilichen Auseinandersetzungen zu sehen.
Moderne Führungsmethoden und bröckelnde Hegemonie
Nun warnen schon Gegner der Urwahl für die Kanzlerkandidatur, die Junge Union wolle hier nur die SPD kopieren, die mit ihrer monatelangen Urwahl über den Vorsitz zumindest die eigene Partei beschäftigt und ab und an mal in die Medien kommt. Erst, wenn das Ergebnis bekannt ist, kann man einschätzen, ob das Prozedere die schrumpfende Partei zumindest kurzfristig konsolidiert. Doch auch die SPD hat dieses Wahlprozedere nicht erfunden.
Vorwahlen sind schließlich als Spektakel aus den USA viel länger bekannt. Und hier kommen wir auch zu den eigentlichen Gründen, warum immer mehr Parteien darauf setzen. Das hat weniger mit der neu entdeckten Liebe zu mehr Basisdemokratie zu tun. Vielmehr gehören solche Mitgliederbefragungen zum Instrumentarium moderner Führungsmethoden. Die größere Einbeziehung der Mitglieder bei Kandidaturen ist dergestalt auch ein Instrument der Herrschaftssicherung in postfordistischen Gesellschaften. Es ist aber auch ein Zeichen für eine bröckelnde Hegemonie in den Parteien.
Es gibt nicht ein oder zwei starke Zentren, sondern verschiedene Kerne und Arbeitskreise, die sich auf eine hegemoniale Kandidatur nicht einigen können. So soll die Mitgliederbefragung langwierigen Streit und Auseinandersetzungen verhindern. Daher sind die jungen Christdemokraten mit ihren Beschluss auf der Höhe zeitgenössischer, moderner Herrschaftsmethoden. Es ist schließlich kein Zufall, dass das Vorwahlspektakel in den USA eine wichtige Referenz für diese Form von simulierter Einbeziehung der Basis ist.
Damit wurde in den USA auch verhindert, dass der Streit zwischen unterschiedliche Kapitalgruppen und Machtblöcken dazu führt, dass der Herrschaftsapparat paralysiert wird. Vielmehr sorgen die Vorwahlen für die Illusion einer Einbeziehung der Basis. Die engen Grenzen wurden vor den letzten US-Präsidentenwahlen sichtbar, als das Clinton-Lager den Sozialdemokraten Bernie Sanders ausbremste. So dient auch der aktuelle Hang zur Einbeziehung der Basis eher dazu, eine Simulation von Mitbestimmung als reale Beteiligung vermitteln.
Comeback von Merz durch die Mitgliederbefragung
Wenn auch der aktuelle JU-Beschluss einen größeren Vorlauf hat, wird er natürlich vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Konflikte um die Unionsführung gesehen. Wenn nun Friedrich Merz, der Konkurrent der aktuellen Parteivorsitzenden, auf dem Deutschlandtag der JU redet und gefeiert wird, werden solche Spekulationen noch genährt.
Tatsächlich dürften manche Merz-Anhänger zu taktischen Befürwortern der Urwahl geworden sein, um Kramp-Karrenbauer doch noch zu beerben. Doch es ist gar nicht so sicher, dass Merz bei einer Urwahl der selbstverständliche Kandidat ist. Ein Spaziergang wäre es auf keinen Fall für ihn. Es wird dann auch von den weiteren Kandidaturen abhängen. So könnte Armin Laschet, der auch als Kandidat gehandelt wird, Merz schon deshalb Stimmen abnehmen, weil er auch aus NRW kommt.
Noch mal Merkel als Kanzlerkandidatin der Union?
Die Debatte um die Urwahl des Kanzlerkandidaten könnte Fahrt aufnehmen, wenn die Bundestagswahlen vorgezogen werden sollten. Das könnte dann der Fall sein, wenn sich bei der Urwahl in der SPD eines der Duos durchsetzt, die einen schnellen Ausstieg aus der gegenwärtigen Bundesregierung propagieren. Nun muss das noch lange nicht heißen, dass es dann auch umgesetzt wird. Wenn die Politiker gewählt sind, fallen ihnen schon genug Gründe dafür ein, warum sie jetzt doch in der Regierung bleiben müssen.
Gerade die Sozialdemokraten haben schließlich besonders viel Übung darin, ihre propagierten Grundsätze zu Sonntagsreden umzufunktionieren, die im realen Politikbetrieb nur stören. Zudem sei nur daran erinnert, dass der letzte Kanzlerkandidat Schulz noch in der Wahlnacht ein Ende der Kooperation unter großen Beifall verkündete, und Andrea Nahles sogar verbal den Unionspolitikern "in die Fresse hauen wollte". Doch wenige Wochen später war alles nicht so gemeint.
Aber die Wahl eines SPD-Vorstands, die sich als Gegner der gegenwärtigen Regierung profiliert haben, könnte eine Dynamik in Gang setzen, die zu Neuwahlen führt. Das würde vor allem dann geschehen, wenn die Union davon profitieren kann. Dann wird sich die Frage um die Kanzlerkandidatur noch mal ganz anders stellen.
Würde dann vielleicht sogar Angela Merkel noch einmal antreten? Ausgeschlossen hat sie das nicht, vor allem nicht bei einer vorzeitigen Bundestagswahl. Dann wäre in der Union die Diskussion um die Direktwahl erst einmal vertagt.