Juristen halten Maas' Gesetz gegen "Fake News und Hate Speech" für verfassungs- und europarechtswidrig

Seite 2: Nicht "strafbare", sondern "rechtswidrige" Inhalte

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Dass § 1 Absatz 3 des NetzDG nicht von "strafbaren", sondern von "rechtswidrigen" Inhalten spricht, ist Härting nach "ein bedeutsamer Unterschied, da es etwa bei einem beleidigenden Beitrag nicht [mehr] auf die Absichten des Verfassers ankommt". Weil "strafrechtliche Ermittlungsverfahren vielfach eingestellt werden, da sich ein Tatvorsatz nicht nachweisen lässt", würde die neue Vorschrift seiner Ansicht nach "dazu führen, dass sich der Anwendungsbereich der strafrechtlichen Verbotsnormen erheblich erweiter[t]". Dabei gibt es bereits jetzt zahlreiche zivilrechtliche Abwehransprüche, die Akteure mit Rechtsabteilung teilweise sehr exzessiv geltend machen, wie man aktuell beispielsweise an der Auseinandersetzung zwischen dem MDR und dem Blogger Hadmut Danisch sieht.

"Eklatant europarechtswidrig" und "offensichtlich verfassungswidrig"

Die Fristsetzungen des NetzDG sind für Härting "eklatant europarechtswidrig", weil der deutsche Gesetzgeber den in Artikel 14 Absatz 1 der europäischen E-Commerce-Richtlinie gesetzten "flexiblen Maßstab, der Raum für den Einzelfall lässt", "nicht ohne Richtlinienverstoß in einen fixen Zeitraum von 24 Stunden beziehungsweise sieben Tagen verwandeln" kann. Außerdem sind Anbieter nach Artikel 15 dieser Richtlinie "nicht verpflichtet, proaktiv die eigene Plattform nach Rechtsverstößen zu durchsuchen", was der Rechtswissenschaftler nicht für vereinbar mit den oben geschilderten "Verhinderungspflichten" in § 3 Absatz 2 Nummer 6 und 7 hält.

Angesichts des § 4 Absatz 5 des NetzDG, der den Rechtsweg für die Anfechtung von Bußgeldern auf ein Amtsgericht reduziert, dessen ohne mündliche Verhandlung getroffene Entscheidung nicht anfechtbar sein soll, erinnert der Juraprofessor den Bundesjustizminister daran, dass es hier um nicht weniger als die in Artikel 5 des Grundgesetzes geschützte Meinungsfreiheit geht. Auch Tatbestände wie "organisatorische Unzulänglichkeiten", die der Gesetzentwurf einführt, sind Härting nach zu unbestimmt, um den Anforderungen zu genügen, die die deutsche Verfassung stellt.

"Politische Kampfbegriffe" kein "tauglicher Ansatz für Regulierung"

Der Meinung, dass der Entwurf "gleich mehreren Gründen offensichtlich verfassungswidrig" ist, ist auch der Telekommunikations- und Medienrechtsexperte Dr. Simon Assion. Er hat sich in Telemedicus ausführlich damit befasst und weist dort unter anderem darauf hin, dass die "Medienaufsicht Ländersache [und] nicht Aufgabe von Bundesbehörden" ist.

Er hält bereits den "Ansatz" des Gesetzentwurfs für "verfehlt", weil "ungenaue und interpretationsoffene" Ausdrücke wie "Hate Speech" und "Fake News" als "politische Kampfbegriffe" seiner Ansicht nach "kein tauglicher Ansatz für Regulierung" sein können. "Wer den Begriff 'Hate Speech' gebraucht, so Assion, "der zeigt, dass es ihm weniger um den Schutz der persönlichen Ehre der Betroffenen geht, sondern mehr um die Eindämmung ganz bestimmter Meinungen und Äußerungen." Demokratie lebt ihm zufolge aber "davon, dass die Bürger den Staat kontrollieren und steuern, nicht umgekehrt." Und sie "funktioniert nur, wenn sich Bürger unbefangen untereinander austauschen können und die Institutionen, die diesen demokratischen Austausch unterstützen - die Medien - dabei nicht behindert werden."

Gegenteiliger Meinung ist die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast: Ihr geht Maas' Gesetzentwurf nicht weit genug. Dass sie als Begründung dafür anführt, er beziehe sich nur auf "strafbare Inhalte", könnte man als "Fake News" werten.