Kabul: Der IS widerspricht der Bundesregierung

Seite 2: "Bürgerkrieg" zwischen den Taliban und dem IS

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Ruttig macht auf die Rivalität mit anderen, radikaleren Gruppen aufmerksam. Die Bemühungen der Taliban, ihr Image in der Bevölkerung zu verbessern, hätten "mit dem Auftreten neuer bewaffneter Gruppen zu tun, die sich mit dem Islamischen Staat verbündet haben oder ihm nahestehen und dabei weitaus radikaler auftreten als die Taleban".

Kapil Komredi, ein Journalist, den Russia Today zum Anschlag auf das Kabuler Militärkrankenhaus zitiert, formuliert diese "Konkurrenz" viel schärfer. Der IS versuche seit einiger Zeit schon, sich in Afghanistan festzusetzen. Dort herrsche nun eine Art von "Bürgerkrieg zwischen den Taliban und dem IS". Bizarr sei dabei, so der Nahost-Journalist, dass sich die Taliban "zum nationalen Verteidiger der afghanischen Souveränität entwickeln".

Komredi lässt wenig Zweifel daran, dass der IS-Angriff auf das Militär-Krankenhaus zeige, wie verwundbar die afghanische Armee auch in Kabul ist und wie weit sich die Sicherheitslage verschlechtert habe.

Zieht man nun den Hintergrund hinzu, den Borhan Osman im Oktober letzten Jahres detailliert in einem Bericht des Afghanistan Analysts Network über IS-Zellen in Kabul darlegt, so bekommt der anfangs genannte Albtraum ein paar Konturen.

Eine neue Dimension: IS-Zellen und das Schüren konfessioneller Spaltungen

Borhan Osman schildert anhand früherer Angriffe Aktivitäten der IS-Afghanistan-Filiale Islamic State Khorasan Province (ISKP). Er schreibt davon, dass die ISKP mehrere Anschläge in Kabul durchgeführt habe und dass es vermutlich mehrere IS-Zellen in der Hauptstadt gebe. Sein Bericht bemüht sich, die Annahmen nachvollziehbar und gut zu belegen. Die IS-Anschläge in der Hauptstadt seien bemerkenswert in ihrer "Tödlichkeit, politischen Implikationen und Komplexität", schreibt er.

Besonders hervorzuheben ist aber, dass der IS nach seinen Beobachtungen eine Dimension nach Afghanistan hineintrage, welche das ohnehin schon kriegs- und konfliktgeplagte Land zu weiteren Eskalationsstufen bringen könnte: "its willingness to inject sectarianism into the conflict in Afghanistan".

Zwar hatten auch Taliban-Gruppierungen in ihrem brutalen Vorgehen gegen die schiitische Hazara-Minderheit bereits eine Zündschnur zwischen Sunniten und Schiiten gelegt, aber nach den Schilderungen und Informationen Osmans gibt es hier noch großes Steigerungspotential - auch gegenüber Sufis- , dass der IS aller Wahrscheinlichkeit nach auszuschöpfen trachtet. Landesweit, nicht nur in Kabul.

Laut Osman war die Gewalt zwischen Konfessionen lange Zeit ein Tabu:

Sectarian violence has remained a taboo during the Afghan conflict through modern history.

Borhan Osman

Anhänger unter jungen Stadtbewohnern

Aber, und das ist der nächste unheimliche Aspekt bei dem Phänomen, in Kabul kann der IS auf eine Anhängerschaft unter den "jungen Stadtbewohnern" bauen, die der IS-Ideologie näher stünden als den Taliban.

Markus Söder hatte übrigens seine spektakuläre Zahl von den Hunderttausend kürzlich etwas korrigiert. Er sprach nur mehr von "Tausenden". Abwarten, wie lange es dauert, bis auch andere Einschätzungen über Afghanistan korrigiert werden.

Es hatte ja bekanntlich sehr lange gedauert, bis sich Politiker dazu durchringen konnten, offiziell von einem Krieg in Afghanistan zu sprechen.