Kaczynski: "Es droht eine gesellschaftliche Katastrophe"

Polen verweigert sich weiterhin einer Aufnahme von Flüchtlingen, das scheint auch die Zustimmung der Bevölkerung zu haben

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Welchen Weg geht Polen in der Flüchtlingspolitik? "Es droht eine gesellschaftliche Katastrophe", wandte sich Jaroslaw Kaczynski, Chef der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) in der "Gazeta Polska" am Montag vehement gegen eine Aufnahme von Asylsuchenden. "Die Welle der Aggression von Seiten der Flüchtlinge vor allem gegen Frauen" müsste in Polen mit Repressionen begegnet werden, dies würde sich wiederum auf das Ansehen des Landes negativ auswirken. Zuvor hatte Kaczynski bereits die deutsche Kanzlerin erneut für ihre Flüchtlingspolitik kritisiert.

Polen steht derzeit immer mehr unter Druck. Die EU-Kommission setzte dem Land zusammen mit Ungarn in der vergangenen Woche ein Ultimatum. Sollte im Juni keine Bereitschaft signalisiert werden, Asylsuchende aufzunehmen, würde ein Vertragsverletzungsverfahren begonnen, das mit einer Geldstrafe enden kann. Gleichzeitig kommen aus dem polnischen Regierungslager auf den ersten Blick unterschiedliche Signale

Da Innenminister Mariusz Blaszczyk vorgeschlagen hatte, die Flüchtlinge in Containersiedlungen mit Stacheldraht festzuhalten, griff dies Staatspräsident Andrzej Duda beim Besuch seines deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag geschickt auf. Man könne niemand zwingen, in Polen zu bleiben. Jeder, der nach Polen kommen wolle, werde jedoch nach den entsprechenden Prozeduren aufgenommen, erklärte Duda. Ähnliches vermittelte auch Außenminister Witold Waszczykowski in einem Interview. Die Asylsuchenden müssten selbst an die Grenzen kommen. Wohl annehmend, dass sie zuvor lieber in Deutschland einen Antrag stellen.

Der Faktenprüfung hält die Behauptung von Polens Zugänglichkeit für willige Flüchtlinge zudem nicht stand. An der polnisch-weißrussischen Grenze campieren seit Monaten Tschetschenen, die von polnischen Grenzschutzbeamten stets daran gehindert werden, einen Asylantrag zu stellen.

Die polnische Regierung unter Beata Szydlo betonte bislang mehrfach, dass das Land bereit sei, vor Ort zu helfen. Seit dem Terroranschlag im März 2016 in Brüssel weigert sich das Land, einen Anteil der Miganten aus Lagern in Italien und Griechenland aufzunehmen. Der Quotenregelung hatte die polnische Regierung jedoch zu Anfang zugestimmt, wie es die konservative Zeitung Rzeczpospolita anhand von EU-Unterlagen herausfand. Die Regierungspartei PiS sieht sich an die Abmachung nicht gebunden, da sie von der Vorgängerregierung fest gemacht wurde.

Zudem verwies Szydlo auf "über eine Million Ukrainer", die Polen beherbergen würde. Diese sind jedoch zumeist in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt.

Für eine Abschottung plädieren selbst Vertreter der polnischen Muslime

Die strenge Linie gegen Flüchtlinge wird von der Bevölkerung gestützt. Nach Umfragen von letzter Woche wollen 74 Prozent der Befragten keine muslimischen Migranten aufnehmen, worauf der Innenminister gern verweist.

Diesem Trend passt sich auch die liberal-konservative Oppositionspartei "Bürgerplattform" (PO) an. Noch in der Regierungsverantwortung vereinbarte die Partei im Sommer 2015 mit der EU, 7000 Personen aufzunehmen. Nun spricht Parteichef Gregorz Schetyna davon, dass man nur Frauen und Kinder aufnehmen brauche, und weicht Reporterfragen aus, ob seine Partei bei einem Wahlsieg mehr Flüchtlinge aufnehmen würde.

Druck machen auch die Rechtsradikalen in Polen, wie das "Nationalradikale Lager" (ONR), das Ende April bereits einen Fahnenmarsch durch die Hauptstadt durchsetzte und antimuslimische Parolen skandierte.

Für eine Abschottung plädieren selbst die Vertreter der polnischen Muslime. So erklärte Selim Chazbijewicz, der ehemalige Vorsitzende der polnischen Tataren und künfitge Botschafter in Kasachstan, es handele sich bei den Asylsuchenden "nicht um Kriegsflüchtlinge, sondern um Wirtschaftsmigranten", die zudem noch schlechte Arbeitskräfte seien.

Die Katholische Kirche scheint in dieser Frage gespalten zu sein. Eigentlich vom Papst angehalten, Barmherzigkeit gegenüber den Flüchtlingen zu fordern, meiden die meisten Bischöfe das Thema. Dezidiert äußerte sich der Krakauer Erzbischof Marek Jedraszewski: "Warum soll das Unglück anderer Länder zu unserem Unglück werden?", fragte der katholische Geistliche bei einem Treffen mit Gläubigen in einem Kollegium suggestiv und warnte vor "Gesellschaften, die Ghettos bilden und oft terroristische Zentren". Der emeritierte Sekretär des Episkopats, Bischof Tadeusz Pieronek, hält hingegen die Aufnahme von Asyluchenden für eine "moralische Pflicht".

Zudem gibt es eine unübersichtliche Gruppe von NGOs, die sich für die Aufnahme von Flüchtlingen stark machen. In vorderster Linie geht es um die Prävention von rassistischen Übergriffen, von der Refugee-Welcome-Bewegung, die im September 2015 aufzukommen schien, ist allerdings kaum mehr etwas zu hören.

Konfrontation mit Brüssel

Die deutsche Politik versuchte bislang, wieder mehr Staaten ins europäische Boot zu holen und den Dialog weiter zu führen. Dieses Jahr statteten deutsche Amtsträger in dieser Mission Polen mehrere Besuche ab, am Sonntag sollte der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel zu seinem zweiten Arbeitsbesuch in Warschau antreten, war jedoch verhindert. Mit dem Wahlsieg von Emmanuel Macron in Paris haben die Proeuropäer wieder mehr Aufwind bekommen, das ist auch in Warschau registriert worden, wo man ursprünglich auf Le Pen gesetzt hat. Eine Zeit lang schien sich die polnische Regierungspartei auch etwas zurückzuhalten, so wurde ein umstrittenes Gesetz zur Entmachtung des Gerichtswesens wie eines zur Umgestaltung der Kommunalwahlen vorerst auf das Eis gelegt.

Da Jaroslaw Kaczynski bislang das letzte Wort in der polnischen Regierungspolitik hat, wird es das Land wohl auf eine Konfrontation mit Brüssel ankommen lassen, zumal zwei Polen bei dem Anschlag in Manchester ums Leben kamen. Pawel Kukiz, der Chef der populistischen Partei Kukiz15, hat am Donnerstag im Radio erneut zu einem Referendum aufgerufen, ob Polen Flüchtlinge aufnehmen soll.