Kämpfen "bis zum letzten Mann"

Seite 2: Der wilde Westen

Der Haupteinwand gegen sämtliche vorgenannte Überlegungen besteht darin, dass man die Existenz des Westens, so wie er in Teil 1 beschrieben wurde, als solche bestreitet. Tatsächlich könnte man "den Westen" auch stattdessen als Zusammenfassung zweier in der Praxis kollidierender Interessenlager begreifen.

Darin stünden dann einerseits die Europäer, für die alles das gilt, was wir skizziert haben. Aber hinter den Europäern stünde eine größere, vollkommen autonom und nicht in Absprache mit ihren Verbündeten agierende Macht: die Vereinigten Staaten von Amerika.

Das Kriegsziel der Amerikaner wäre nach diesem Szenario ein vollkommen anderes: Es läge darin, Russland in der Ukraine in einen möglichst langwierigen Abnutzungskrieg zu verwickeln, der das russische Militär dauerhaft bindet und schwächt und das politische und ökonomische System Russlands durch die Sanktionen und ihre Folgen massiv belastet.

Die USA haben in dieser Sichtweise keinerlei Interesse an einem schnellen Frieden, es sei denn an einem zu ihren Bedingungen. Ihr Interesse liegt in einer Schwächung Russlands.

Wer sind die Kriegsgewinnler?

Der Vorteil dieser Sichtweise ist, dass sie durch die Tatsachen gedeckt wird. Tatsächlich erscheint sowohl das diplomatische Vorgefecht zum 24.2 2022 als auch die jetzige Kriegsführung in ihrer Taktik bislang komplett durch die Amerikaner bestimmt worden zu sein.

Die USA, nicht Europa, nicht Russland, und selbstverständlich nicht die Ukraine sind bisher die ausschließlichen Profiteure der Ukraine-Krise: Die Führungsrolle der USA in der westlichen Allianz ist so unangefochten wie seit Jahrzehnten nicht; die "hirntote" (Emmanuel Macron) Nato wurde zum Leben erweckt, die Integration der Ukraine in EU und Nato erscheint so nahe wie noch nie, Nord Stream 2 ist scheintot, Russland zum Paria der Weltgemeinschaft erklärt, und die Aktien der US-amerikanischen Rüstungsunternehmen steigen und steigen.

Nimmt man Carl von Clausewitz' Aussage ernst, nach der es sich bei einem Krieg um einen Akt der Gewalt handelt, "um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen" dann entspricht der derzeitige Krieg genau den Interessen der USA.

Sobald die Ukraine, ihre Führung wie ihre Bürger, dies erkennen, kann ihre vernünftige Antwort nur wiederum lauten, wie oben unter anderen Voraussetzungen beschrieben: Kapitulation. Die Ukraine hat in diesem Krieg nichts zu gewinnen.