Kampf für einen bundesweiten Mieterlass nach der Corona-Krise
Eine Initiative knüpft an Kampfmittel an, die in der Weimarer Republik mit Erfolg angewandt wurden
In der Hochzeit des Corona-Shutdowns wurde viel darüber spekuliert, ob im Anschluss die Welt sozialer würde und die neoliberale Phase des Kapitalismus der Vergangenheit angehören. Dabei wurde aber der Eindruck erweckt, das wäre ein automatischer Prozess. Politische Kräfteverhältnisse wurden in der Regel völlig ausgeblendet.
Bündnisse wie die Plattform Coview19 oder das Berliner Bündnisprojekt jetzterstrecht wurden in den Medien kaum erwähnt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass auch das Onlineportal "Wir zahlen nicht", das in der letzten Woche freigeschaltet wurde, bisher wenig Beachtung fand.
Es wurde von Aktiven aus der Stadtteil- und Mieterbewegung eingerichtet, die dafür sorgen wollen, dass die Gesellschaft nach Corona tatsächlich sozialer wird. Angesprochen werden die vielen Menschen, die in den letzten Wochen und Monaten einen großen Teil ihres Einkommens verloren haben.
Du kannst deine Miete nicht mehr zahlen oder musst dich dafür verschulden?
Dann bist du nicht allein!
Durch die Corona-Krise müssen Millionen Menschen starke Einkommenseinbußen hinnehmen. Deswegen können immer mehr Menschen ihre Miete nicht bezahlen. Das betrifft sowohl Privathaushalte als auch Kleingewerbe.
Der Mietenwahnsinn verschärft sich durch die Corona-Krise noch einmal rasant. Die Schulden trägt die Gesellschaft, während die Profite privatisiert werden. Deshalb fordern wir einen Mieterlass für die Zeit der Corona-Krise.
Internetplattform: Wir zahlen nicht
Unterstützernetzwerk aufbauen
Den Initiatoren des Netzwerks ist klar, dass ein solcher bundesweiter Mieterlass nicht von den Parteien beschlossen wird. Es muss, wie bei der Durchsetzung von Reformen, die Verbesserungen für die große Masse der Bevölkerung zum Ziel haben, ein außerparlamentarisches Druckpotential vorhanden sein. Deshalb werden Initiativen aufgefordert, sich als Unterstützer des Mieterlasses einzutragen. Dabei werden verschiedene Kategorien unterschieden.
Neben Menschen, die kaum oder gar nicht in der Lage sind, ihre Miete zu zahlen, können sich auch Menschen outen, die keine Miete zahlen wollen oder Druck auf die Wohnungsbaugesellschaft aufbauen wollen. Eine solche detaillierte Einteilung soll wohl auch dazu dienen, einzuschätzen, wie stark die Unterstützerbasis ist.
In Spanien wurden schon vor mehreren Wochen Mietstreiks ausgerufen. Dort haben sich auch schon 2017, also lange vor der Corona-Krise, Mietergewerkschaften gegründet, die das Kampfmittel eines Mietstreiks propagierten.
Sie knüpfen an eine aktive Bewegung von Mietern oder Hypothekenbetroffenen an, die in der Krise nach 2007 ihre Schulden nicht mehr bezahlen konnten und sich organisierten. Diese Bewegung wurde nach 2010 ein Teil der starken Bewegung gegen die von der "Deutsch-EU" diktierte Austeritätspolitik. Ein Teil der Aktiven wurde Teil von neuen Wahlallianzen.
Die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau wurde das bekannteste Gesicht dieses Marsches durch die Institutionen. Doch die aktuellen Mietboykotts zeigen, dass die Bewegung weiterhin die Fähigkeit besitzt, außerparlamentarische Kämpfe zu führen. Mittlerweile haben sich in Deutschland ebenfalls Initiativen für eine Mietergewerkschaft gebildet, die auch das Thema des Mietboykotts auf die Tagesordnung setzen.
So erklärt Daniel Katzenmaier von der Mietergewerkschaft in Frankfurt/Main:
Das Kampfmittel der Gewerkschaften ist historisch nie nur der Streik gewesen. Es gab auch viele andere Protest- und Kampfformen, beispielsweise den Boykott. Ich verweise auch auf die Mietstreikbewegungen, die in der Weimarer Republik wesentlich von Frauen aus der Gewerkschaft initiiert wurden. Wir gehen dabei von einem Gewerkschaftsverständnis aus, das sich nicht auf den DGB beschränkt. So wurde die Mietergewerkschaft in Schweden wesentlich von der dort starken syndikalistischen Gewerkschaft unterstützt.
Daniel Katzenmaier, Jungle World
Erst das Essen, dann die Miete
Der Mietboykott hat auch in Deutschland eine Geschichte. Unter dem Motto "Erst das Essen, dann die Miete" hatten sich während der Weltwirtschaftskrise Mieterräte in verschiedenen Städten gebildet, die einen monatelangen Mietboykott organisierten, der erst durch die Machtübernahme der NSDAP beendet wurde, weil die Träger des Mietstreiks als Teil der linken Arbeiterbewegung auf der Fahndungsliste standen.
In dem von Philipp Mattern herausgegebenen Buch "Mieterkämpfe - Vom Kaiserreich bis heute am Beispiel Berlin" wird dieser lange vergessene soziale Kampf ausführlich geschildert. Lässt sich heute an solche Kämpfen anknüpfen?
Das ist sicher nur möglich, wenn die neue Solidarität in den Städten wächst. Denn ein kollektiver Mietboykott ist die Voraussetzung, dass einzelnen Mietern nicht schnell gekündigt wird. Die Kampagne für einen Mieterlass regt aber Diskussionen über solche Kampfmittel an. Das ist schon deshalb besonders wichtig, weil sich am Vergleich zwischen Deutschland und Spanien einmal mehr zeigt, wie schwach hier eine Protestbewegung ist.
Während in Spanien am 1. April die Mietenboykottbewegung begann, echauffierten sich in Deutschland viele über die Ankündigung von Adidas und Co. in der Corina-Krise, die Mietzahlungen für ihre Geschäftsräume einzustellen. Doch diese Empörung hatte eindeutig regressiven Charakter.
Da gerierten sich Politiker und Medien als brave Bürger, die immer ihre Miete zahlen und warfen Adidas und Co. vor, ein schlechtes Beispiel für Andere zu bieten. Dabei wäre schon damals die beste Antwort von Mietern auf der Ankündigung von Adidas gewesen: "Wir zahlen nicht".
Der Autor hat kürzlich gemeinsam mit dem Filmemacher Matthias Coers in der Edition Assemblage das Buch "Umkämpftes Wohnen - Neue Solidarität in den Städten" herausgegeben.