Mietenstreik wegen Coronavirus in Spanien
Mietergewerkschaften rufen zum Mietstreik auf und fordern Notmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung
Es ist wahrlich kein Aprilscherz. Am 1. April treten nun viele Familien, Selbstständige sowie kleine und mittlere Firmen im ganzen spanischen Staat in den Mietenstreik. Mietergewerkschaften, wie sie ausgehend von Katalonien ab 2017 wie das "Sindicat de Llogaters i Llogateres" gegründet haben, und soziale Organisation rufen zum Streik gegen fehlende Notmaßnahmen der sozialdemokratischen Regierung für die einfache Bevölkerung auf.
Die 200 Initiativen schlagen vor, ab April die Miete nicht mehr zu bezahlen. Die Regierung aus Sozialdemokraten (PSOE) und der Linkskoalition "Unidas Podemos", die seit Januar regiert und sich selbst "progressiv" nennt, soll wegen der katastrophalen Situation im Land angesichts der Coronavirus-Pandemie dazu gezwungen werden, auch etwas zum Schutz der einfachen Bevölkerung zu tun.
Aufgenommen wird damit in einer Zeit, in der das Demonstrationsrecht komplett ausgehebelt ist und Militärs wieder auf Straßen patrouillieren, nun eine Kampfform, die schon 1931 von der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CNT erfolgreich in Barcelona erprobt wurde. Viele tausend Menschen, die auch damals kaum mehr ihre die Mieten zahlen konnten, schlossen sich dem Kampf schnell an.
Eigentlich hatten sich die Mietergewerkschaften wegen explodierender Mieten gegründet. Sie forderten bisher vor allem stärkere Mieterrechte und eine Regulierung der explodierenden Mieten, vor denen spanische Gesetze praktisch nicht schützen. Einige der Aktivisten hatten Hoffnungen in die neue Regierung gesetzt, doch sie wurden massiv enttäuscht.
Vom Gesetz zur Regulierung der Mieten fehlt bisher jedenfalls jede Spur, auf das sich Podemos und PSOE zur Regierungsbildung geeinigt hatten. Aber auch die verspäteten Notmaßnahmen der Regierung zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie haben vielen längst die Augen geöffnet, dass auch diese Regierung vor allem den Schutz der Wirtschaft, großer Unternehmen und Banken im Blick hat.
Trotz steigender Infektions- und Todeszahlen wurden die Menschen bis zum gestrigen Dienstag trotz eines merkwürdigen Alarmzustands in zum Teil überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln auf die Arbeit geschickt. Erst gut zwei Wochen später, nach tausenden zusätzlichen Toten, wurde dann nach Protesten umgeschwenkt. Derweil hat sich die Krise längst zu einer Katastrophe ausgeweitet, wie der inzwischen selbst infizierte Krankenpfleger Eduardo Fernández Ulloa im Telepolis-Gespräch über die fatale Lage im Ansteckungsherd Madrid erklärt.
"Was wir nicht verdienen, zahlen wir nicht"
Mit der Reduzierung aller Aktivitäten auf eine Grundversorgung sind nun aber noch deutlich mehr Menschen hart getroffen und verlieren Einkünfte. Genau deshalb sagen die Mieterinitiativen: Basta. "Was wir nicht verdienen, zahlen wir nicht", heißt es in einem Manifest. Kritisiert wird, dass die Regierung die Probleme einfacher Leute ignoriere.
Mit dem Streik soll massiv Druck auf die Regierung gemacht werden, die sonst offensichtlich nicht handelt. Für die Regierung sei prioritär, dass alle Mieten einfach weiter zu überhöhten Preisen bezahlt werden, so als ob die Wirtschaft nicht paralysiert wäre. "Wenn die produktive Realwirtschaft zum Stillstand kommt, dann auch Rentenökonomie", heißt es im Streikaufruf weiter.
Der Streik sei die "einzige und kollektive Antwort" für alle. Allen solle gezeigt werden, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind. "Gegen Tausende können sie nichts ausrichten", erklären die Aktivisten. Solidarität wird auch von denen eingefordert, deren Einkünfte nicht einbrechen, die allerdings auch in vielen Fällen überzogene Mieten bezahlen.
Ziel des Streiks ist vor allem zu verhindern, dass Mietern über die Krise erneut massive Schulden aufgebürdet werden. Denn damit sind sie, vor allem wenn die Krise tiefer geht, früher oder später doch mit einer Zwangsräumung konfrontiert. Geschaffen wurde eine gemeinsame Widerstandskasse, um sich auch juristisch verteidigen zu können. Die, die nicht in Gefahr sind, ihre Wohnungen oder Häuser zu verlieren, werden zu Spenden aufgerufen.
Real bietet die Regierung sogar bedürftigen Mietern nur neue Schulden an
Angeboten werden vor allem zinslose Kredite zur Zahlung der Mieten. Und nur Mietern bei großen Anbietern oder Investmentfonds, die mehr als acht Gebäude vermieten, soll die Miete für bis zu vier Monate gestundet werden können. Firmen mit bis zu acht Mietshäusern sind also "kleine Besitzer", denen der Podemos-Chef Pablo Iglesias die Einkünfte garantieren will? Und wo die großen Besitzer zur Kasse gebeten werden sollen, wie der Vize-Ministerpräsident in einer steilen These behauptet, ist angesichts der bisher veröffentlichten Vorhaben jedenfalls nicht absehbar.
Bestenfalls können besonders Bedürftige bei Großunternehmen eine Reduzierung von 50% oder eine Umstrukturierung erreichen, um die Schulden dann über Jahre abzustottern. So werden schon jetzt Streitigkeiten vor Gericht angesichts schwammiger Begrifflichkeiten programmiert. Doch auch die werden nur Menschen anstrengen, die sich auch einen Anwalt leisten können.
Positiv ist, dass Mietern wenigstens einen Schutz vor neuen Mieterhöhungen erhalten, allerdings nur für sechs Monate. Von Mietsenkungen ist keine Rede. Und in sechs Monaten nach Beendigung des Alarmzustands soll es auch keine Zwangsräumungen wegen Mietschulden geben.
Gesichert wird, dass der Staat in jedem Fall über Kredite für Mieten einspringt. Aber es wird sich in der Praxis noch zeigen, wann und wie das angesichts der bekannten Bürokratie abläuft. Ob Vermieter, die nur eine oder wenige Wohnungen vermieten, tatsächlich zeitnah an ihr Geld kommen, um Bankschulden bedienen zu können, bleibt abzuwarten. Es ist zu befürchten, dass angesichts des komplizierten Verfahrens einige Kredite nicht bedienen können, womit wieder Wohnungen an die Banken fallen dürften.
Jedenfalls sieht sich Podemos-Iglesias nun mit einem guten Teil der eigenen Basis konfrontiert, schließlich entstand Podemos aus der Protestbewegung der letzten Krise. Und das sind zu einem guten Teil die Leute, die sich jetzt auch in dieser Initiative vereinen. Die Mietergewerkschaft in Barcelona geht jedenfalls davon aus, dass etwa 1,5 Millionen Menschen in ganz Spanien ihre Mieten nicht mehr bezahlen können.
Der Sprecher der Mietergewerkschaft in Madrid prognostiziert jedenfalls eine neue "Überschuldung der Familien, die ohnehin am schlechtesten dran sind". Javier Gil fügt an: "Viele Menschen werden nicht nur ihren Stelle verlieren, sondern zudem verschuldet sein, damit die enorm gestiegenen Mieten weiter bezahlt werden."
Gil erinnert an die letzte Krise. Seither hat sich die Situation in Spanien aber deutlich verändert. Da zahllose Familien damals aus ihren Eigentumswohnungen geworfen wurden. Alle 15 Minuten wurde zum Teil im Land eine Wohnung geräumt, weil viele Familien vor allem ihre Kredite angesichts gestiegener variabler Zinsen und Arbeitslosigkeit nicht mehr bezahlen konnten.
Sie drängten seither auf den Markt für Mietwohnungen, was neben den vielen Touristenwohnungen und der Spekulation die Mieten explodieren ließ. Die liegen oft auf dem Niveau des Mindestlohns oder in Barcelona, Donostia-San Sebastian oder Madrid auch deutlich drüber. Deshalb konnten schon bisher viele junge Menschen die Wohnung der Eltern nicht verlassen.
Wer es doch versucht hat, wurde angesichts prekärer Arbeitsverhältnisse nicht selten bald wieder geräumt, weil die Mieten nicht bezahlt werden konnten. Deshalb wurden in den letzten Jahren immer mehr Menschen wegen Mietschulden aus ihren Wohnungen vertrieben. In Barcelona gab es zum Beispiel 2017 insgesamt 2519 Zwangsräumungen, 2139 wegen Mietschulden. Die neue Krise betreffe nun aber auch viele kleine Betriebe und Selbstständige.
Der Sprecher der katalanischen Mietergewerkschaft Jaime Palomera erklärt, dass aus diesem Sektor etwa 10% der Anfragen kommen. In 90% seien aber Wohnungen betroffen. "In 60% sind es Frauen, wo sich zeigt, wen es am schwersten trifft und wer am wenigsten geschützt ist." Aber für kleine Betriebe und Selbstständige hat die "progressive" Regierung auch nur neue Verschuldung im Rucksack. Ihnen wird, so hat das Kabinett am Dienstag beschlossen, nur angeboten, die Beiträge zur Sozialversicherung um sechs Monate zu stunden. Die häufen sich als Schulden an und müssen ebenfalls (zinslos) nachgezahlt werden.
Auch hier ist von realer Hilfe bei einer sozialdemokratischen Regierung keine Spur, die damit begonnen hatte, Milliarden um Milliarden in der letzten Krise in die Bankenrettungen zu pumpen, während gleichzeitig die Vermögenssteuer abgeschafft wurde. Nach Angaben der spanischen Zentralbank waren es insgesamt fast 66 Milliarden Euro. Davon sind nicht einmal 10 Milliarden zurückbezahlt worden. Die Zentralbank hat derweil schon 42 Milliarden definitiv abgeschrieben.
Die Bad Bank Sareb, die ja eigentlich die "Wertpapiere", die aus den Banken zur Rettung ausgelagert wurden, zu Geld machen sollte, schreibt Jahr für Jahr Verluste. Vergangene Woche wurde verkündet, dass es im vergangenen Jahr fast eine Milliarde Euro war, noch einmal knapp 8% mehr als im Vorjahr. So ist also weiter klar, wie die Prioritäten auch bei einer Regierung gesetzt sind, die sich Linksregierung nennt.