Kanada: Zweiter Ministerrücktritt wegen Korruptionsaffäre

Gebäudespitze der Zentrale des Baukonzerns SNC-Lavalin in Montréal. Foto: Jeangagnon. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Vor der Wahl im Herbst gerät Premierminister Trudeau zunehmend unter Druck - in den drei jüngsten Umfragen führt die Opposition

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die kanadische Regierung wird derzeit von einer Korruptionsffäre erschüttert, bei der es auch um Mobbingvorwürfe und um eine Einflussnahme der Politik auf die Justiz geht. Auslöser der Affäre war der in Montréal ansässige Baukonzern SNC-Lavalin. Er soll in den Nuller- und frühen Zehnerjahren umgerechnet gut 30 Millionen Euro an Familienangehörige des damaligen libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi transferiert haben, um sich in dem nordafrikanischen Land öffentliche Aufträge zu sichern.

Würde das dem Unternehmen gerichtlich nachgewiesen, dann müsste es mindestens zehn Jahre lang von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden. Der zurückgetretenen kanadischen Justizministerin und Generalstaatsanwältin Jody Wilson-Raybould zufolge übten Vertraute des kanadischen Ministerpräsidenten Justin Trudeau deshalb massiv Druck auf sie aus: Sie sollte einen Prozess gegen SNC-Lavalin verhindern und stattdessen nur ein Bußgeld verhängen. Ihr zufolge fielen dabei sogar Äußerungen, die sie als Drohungen verstehen musste.

Jane Philpott: "Unabhängigkeit und die Integrität" des kanadischen Justizsystems gefährdet

Nachdem Wilson-Raybould sich ihren eigenen Angaben nach trotzdem weigerte, Einfluss auf die Judikative zu nehmen, wurde sie zur Veteranenministerin degradiert. Danach verließ die 48-jährige das Kabinett und machte die Vorwürfe öffentlich. Obwohl sie dabei keine Namen nannte, gehen kanadische Medien davon aus, dass der kurz darauf ebenfalls zurückgetretene enge Trudeau-Vertraute Gerry Butts etwas damit zu tun hat. Butts meinte dazu, er "weise die Vorwürfe, dass [er] oder jemand anderes im Kabinett Frau Wilson-Raybould unter Druck gesetzt habe, entschieden zurück".

Dass die Affäre damit noch nicht ausgestanden ist, zeigte heute der Rücktritt der Staatsausgabenprüferin und Digitalisierungsministerin Jane Philpott. Sie gab via Twitter öffentlich bekannt, dass sie "die Unabhängigkeit und die Integrität" des kanadischen Justizsystems für gefährdet hält. Mit dem Rücktritt folge sie ihren "Kernprinzipien", ihrer "ethischen Verantwortung" und ihren "verfassungsmäßigen Pflichten", weil sie das Vertrauen darin verloren habe, dass die Regierung richtig handelt. Nach diesen Prinzipien zu handeln, koste sie zwar etwas, aber ihren Worten nach wären die Kosten höher, wenn sie diese Prinzipien aufgeben würde.

Scheer fordert Trudeau zum Rücktritt auf

Trudeau scheint ihr Rücktritt überrascht zu haben - zumindest hatte er dazu bislang außer dem in solchen Fällen obligatorischen Bedauern und dem Dank für ihre Dienste wenig zu sagen und verwies für ausführlichere Erklärungen auf später. Oppositionsführer Andrew Scheer von der Conservative Party forderte ihn inzwischen dazu auf, selbst zurückzutreten. Dass Trudeau das macht, gilt als weniger wahrscheinlich als ein Machtwechsel nach den Wahlen am 21. Oktober. In den letzten Umfragen dazu liegt Trudeaus Liberal Party nämlich hinter den Konservativen - bei Ipsos, die ihr Ergebnis am 4. März veröffentlichten, sogar mit 31 zu 40 Prozent. Angus Reid sieht die aktuelle Opposition mit 38 zu 31 Prozent vorne und sogar die als eher Trudeau-freundlichen Meinungsforscher von Nanos hatten am ersten März mit 34,8 Prozent für die Conservative zu 34,2 Prozent für die Liberal Party keine guten Nachrichten für den Premierminister.

Ein Grund dafür, dürfte die Korruptionsaffäre sein. Ein anderer, dass er in den Augen mancher Wähler mit der inzwischen umgesetzten Legalisierung von Marihuana die Aufgabe erfüllt hat, für die sie ihm 2015 ihre Stimme gaben (vgl. Kanada: Senat stimmt für Legalisierung von Marihuana). Mit Ideen wie einem Eingreifen in die Sprache kommt der in deutschen Medien gefeierte Politiker in seiner Heimat anscheinend nicht mehr so gut an wie mit dem Vorhaben, mit dem man ihn vor vier Jahren an die Macht ließ (vgl. Kanada: Befürworter einer Legalisierung von Marihuana wird neuer Premierminister).

Allerdings sitzen im kanadischen Parlament trotz des First-Past-the-Post-Mehrheitswahlrechts mehr als nur zwei Parteien, weshalb auch eine Partei mit niedrigerem Mandatsanteil eine Chance hat, den Ministerpräsidenten zu stellen, wenn sie koaliert. Eine der kleineren Parteien ist der separatistische Bloc Québécois, der in den Neunziger- und Nullerjahren regelmäßig auf etwa 50 Mandate im insgesamt 338 Sitze fassenden Unterhaus kam. Dass er 2011 auf zwei Sitze abstürzte, hatte auch damit zu tun, dass in diesem Wahljahr die "New Democratic Party" mit einem Sprung von von 37 auf 103 Mandaten zweitstärkste Partei wurde (vgl. Oppositionswechsel in Kanada). 2015 büßte sie dann 51 dieser Sitze wieder ein.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.