Kandidatin des Neofeudalismus
Die von der Linkspartei nominierte Lukrezia Jochimsen befürwortet den Einsatz des Strafrechts gegen Bagatell-Urheberrechtsverletzungen weil sonst der "Respekt" vor dem "Geistigen Eigentum" schwinden könnte
Lukrezia Luise Jochimsen ist die Ursula von der Leyen der Linkspartei. Nachdem die wenig integrative Arbeitsministerin letzte Woche als CDU-Kandidatin für die Bundespräsidentschaftswahl im Gespräch war, stieß sie in Foren, Blogs und Facebook sofort auf offensive Ablehnung. Dass das bei Lukrezia Jochimsen wahrscheinlich nicht in diesem Ausmaß passieren wird, liegt nur daran, dass kaum jemand die Frau kennt.
Als der Bundestag vor vier Jahren darüber debattierte, ob die Verschärfung des Urheberrechts durch die Einführung einer Bagatellklausel abgefedert werden sollte, die eine Kriminalisierung weiter Teile der Bevölkerung verhindert hätte, wurde dies von Lukrezia Jochimsen im Plenum mit der Begründung abgelehnt, solch eine Bagatellklausel würde "genau das schwächen, was unsere Gesellschaft dringend braucht: das Rechtsbewusstsein, welches geistiges Eigentum respektiert".
Jochimsens Äußerungen waren offenbar kein "Ausrutscher". Ihrer gegenüber der Presse für sie sprechenden Mitarbeiterin Mühlberg zufolge standen sie "im Einklang mit den auf Bundesebene von der [...] Linkspartei, formulierten Positionen zum Urheberrecht." Damals gingen die von der SPD vorgeschlagenen Verschärfungen des Urheberrechts nicht nur der jetzigen Bundespräsidentschaftskandidatin, sondern auch anderen Linke-Politikern nicht weit genug. Tatsächlich schlug sich die Partei in dieser Frage lieber auf die Seite von CDU und FDP. Zum Antrag der FDP zur "weiteren Modernisierung des Urheberrechts" hieß es von der Linkspartei-Referentin für Kultur- und Medienpolitik auf Nachfrage, dies sei "ein Anliegen dem wir als Fraktion nur zustimmen können".
Offenbar auch wegen der Erfolge der Piratenpartei klingt das bei manchen Linkspartei-Politikern mittlerweile ein bisschen anders: So verlautbarte etwa Petra Sitte im März dieses Jahres, dass "Mashups, Remixes und die Nutzung von Tauschbörsen [...] nicht kriminalisiert werden" dürften. Außerdem solle das Urheberrecht "nicht als Keule einer untergehenden, bald vergangenen Zeit" verwendet werden. Eine Äußerung, die sich möglicherweise auch auf die vierundsiebzigjährige Jochimsen bezog, die von der Leipziger Volkszeitung als eine "Frau von vorgestern" charakterisiert wurde.
Welche dieser sehr gegensätzlichen Positionen zum Immaterialgüterrecht in der Linkspartei tatsächlich vorherrscht, wird sich auch daran zeigen, wie viele der 124 oder 125 von der Partei entsandten Teilnehmer in der Bundesversammlung für die Bundespräsidentschaftskandidatin stimmen. Gründe dagegen gibt es allerdings auch abseits Jochimsens neufeudaler Positionen zu Monopolen und Privilegien: Ihre mangelnde politische Weitsicht offenbarte die Frau unter anderem damit, dass sie offen zugab, 1998 begeistert für Gerhard Schröder gestimmt zu haben, weil der Mann, dessen "Reformen" im Unternehmensrecht erheblich zum Ausbruch der Finanzkrise beitrugen, "politisches Charisma" gehabt hätte.
Die extreme Zerrissenheit der Linkspartei in Fragen, die abseits von Afghanistankrieg und Sparpaket liegen, zeigt sich auch anderswo: Die Gruppierung beherbergt einerseits Politiker wie Lutz Heilmann, der beim Landgericht Lübeck eine zeitweilige Abschaltung der Weiterleitung von wikipedia.de auf wikipedia.org erwirkte, weil er mit seiner dortigen Darstellung nicht einverstanden war, andererseits aber auch solche wie Heiko Hilker, der dazu meinte, dass Heilmann Vorgehen, sofern es keine PR-Aktion sein sollte, "offenbart [...], dass ihm das technische Verständnis für das Internet fehlt, er juristisch oberflächlich arbeitet sowie als Politiker unfähig ist, die geeigneten Mittel einzusetzen." Eine gerechte Gesellschaft, so Hilker, werde man "nicht über Einstweilige Verfügungen und Verbote gegen die virtuelle Welt erstreiten", welche die Meinungsfreiheit einschränkt und Selbstzensur befördert.
Ein Jahr vorher hatte die damalige stellvertretende Parteivorsitzende Katina Schubert weltweit Aufsehen erregt, als sie Wikipedia wegen Verwendens verfassungsfeindlicher Symbole in Artikeln zur NS-Zeit anzeigte, weil die Bebilderung und die Zitate aus Quellen ihrer Ansicht nach "über das rechtlich geschützte Maß hinaus" gingen. Obwohl Schubert die Anzeige später zurückzog, bestand sie weiterhin darauf, dass ihre "Kritik" berechtigt gewesen sei.