Linkspartei will Opernhäuser statt Wohnungen
Sprecher fordern die Aufnahme der Kultur als Staatsziel ins Grundgesetz
Die Mehrheit im Berliner Abgeordnetenhaus beschloss in der letzten Woche auf Antrag der Regierungskoalition aus SPD und Linkspartei, dass sich das Land auf Bundesebene für eine Aufnahme der Kultur als Staatsziel in das Grundgesetz einsetzen solle.
Beifall erhielten die Berliner Politiker unter anderem von der kulturpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Lukrezia Jochimsen, ehemals Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks. Sie forderte in einer gemeinsamen Erklärung mit dem kulturpolitischen Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Wolfgang Brauer, eine "Entscheidung des Bundestages für ein Staatsziel Kultur":
"Jetzt ist der Bundestag gefordert. Das Staatsziel Kultur gehört ins Grundgesetz. Mit der Aufnahme der Kultur als Staatsziel wollen wir erreichen, dass sich der Gesamt-Staat zu seiner Verantwortung bekennt, das kulturelle Erbe zu bewahren, Kunst und Kultur zu fördern und weiter zu entwickeln."
Bei soviel Begeisterung der Linkspartei-Politiker mutet es seltsam an, dass gerade die in anderen Bereichen gern für weniger Staat plädierende FDP-Bundestagsfraktion den Antrag stellte, Kultur als Staatsziel in das Grundgesetz auzufnehmen.
Dabei wäre doch gerade die Kultur ein wunderbares Experimentierfeld, auf dem die FDP-These ausprobiert werden könnte, dass der Markt alles am besten regelt. Anders als in der Wohnungs- Gesundheits- oder Bildungspolitik wären bei einem empirischen Scheitern dieser Theorien in der Kulturpolitik keine Toten zu erwarten - und wahrscheinlich hielte sich auch das sonstige menschliche Leid in Grenzen. Überkommene Strukturen, die nur durch staatliche Subvention am Leben gehalten werden, würden wegfallen und aus einer konsequent marktwirtschaftlichen Perspektive heraus müsste die Partei sagen: "Wenn eine Oper nicht ohne Subventionen auskommt, dann braucht's auch keine Oper". Aber nein - ausgerechnet im Bereich der Kultur sieht die FDP im Markt kein Heilmittel.
Wenig bekannte Konsequenzen einer Aufnahme des Staatsziels Kultur in das Grundgesetz
Nun haben von Politikern erlassene Gesetzesänderungen häufig Konsequenzen, über die die Öffentlichkeit im Vorfeld nicht immer besonders gut informiert wird. Nicht anders liegt der Fall bei einer Aufnahme der Kultur als Staatsziel in das Grundgesetz. Wenn dort zukünftig ein Artikel 20b steht, in dem es heißt: "Der Staat schützt und fördert die Kultur", dann hat das indirekt auch gravierende Folgen für die Sozialpolitik: Als verfassungsmäßig verankertes Staatsziel müsste Kultur dann in Abwägungsprozessen gegen andere Rechtsgüter stärker berücksichtigt werden - bei der Verabschiedung von öffentlichen Haushalten und Gesetzen ebenso wie bei Gerichtsentscheidungen und Abwägungen von Behörden. Andere Ziele müssten dann zugunsten der Kultur zurücktreten. Eine Aufnahme ins Grundgesetz würde sich nicht nur auf den Bundeshaushalt auswirken, sondern vor allem auch auf kommunale Haushalte und auf die der Länder, die ja eigentlich die Kulturhoheit innehaben. Vor allem dort ist eine Umschichtung von Geldern aus dem sozialen in den kulturellen Bereich zu erwarten.
Die FDP gibt diesen Effekt offen zu, ja, will ihn sogar. Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, der FDP-Politiker Hans-Joachim Otto äußerte gegenüber Telepolis: "Es kann nicht sein, dass ständig die Haushaltsentscheidungen zugunsten von Sozialmaßnahmen erfolgen und dabei die Kultur unter den Schlitten gerät."
Betrachtet man die Frage der Kultursubventionen nicht aus der von der FDP öffentlich postulierten Ideologie heraus, sondern aus der Zusammensetzung ihrer Klientel, wird die Haltung verständlicher: Kulturausgaben sind Subventionen für einen relativ kleinen Teil der Bevölkerung. Umfragen zufolge gehen rund zwei Drittel aller Deutschen nie in ihrem Leben in die Oper oder ins Theater. Auch wenn die für Kultur aufgewendeten Summen als Anteile in den Haushalten nicht sehr hoch erscheinen, wird die mit den Zahlungen begünstigte Klientel doch pro Kopf sehr hoch subventioniert: Eine Opernpremierenkarte kostet fast 200 Euro. Unsubventioniert würde sie nach Angaben des FDP-Abgeordneten Otto ein "Vielfaches" davon kosten.
In den 1970er und 1980er Jahren begründete man diese Subventionen damit, dass Unternehmen und Reiche insgesamt viel mehr Steuern zahlen würden als der Normalverbraucher, weshalb die Finanzierung von Opern etc. gerechtfertigt wäre. Heute hat sich die Zusammensetzung des Steueraufkommens grundlegend geändert: Weil Unternehmen und Reiche weit weniger Steuern zahlen, kommen die Staatseinnahmen vor allem aus den Portemonnaies der einfachen Leute. Zumindest nach der in den 1970er Jahren verwendeten Begründung hätten also Kulturaufwendungen, die immer noch ähnlich umfangreich sind wie damals, keine Berechtigung mehr. Die Änderung der Zusammensetzung des Steueraufkommens würde stattdessen auch eine entsprechende Änderung der Zusammensetzung der Haushalte erforderlich machen - mit entsprechend weniger Aufwendungen für Kultur.
Die nur scheinbar seltsame Einigkeit zwischen FDP und Linkspartei in der Frage der Aufnahme der Kultur als Staatsziel in das Grundgesetz ist kein Novum: Schon bei der Verschärfung des Urheberrechts waren sich Linkspartei und FDP bemerkenswert einig.
Eine Verschärfung des Urheberrechts, wie es die SPD plante, war der Linkspartei nicht weitgehend genug - sie schlug sich in dieser Frage lieber auf die Seite von CDU und FDP. Zu einem Antrag der FDP zur "weiteren Modernisierung des Urheberrechts", der am 26.01.2006 im Bundestag diskutiert wurde, hieß es von Annette Mühlberg, Referentin für Kultur- und Medienpolitik auf Nachfrage, dies sei "ein Anliegen dem wir als Fraktion nur zustimmen können"; die Abfederung der Verschärfung durch die Einführung einer Bagatellklausel, die eine Kriminalisierung weiter Teile der Bevölkerung verhindern sollte, wurde von der Linksfraktion-Rednerin Lukrezia Jochimsen im Plenum mit der Begründung abgelehnt "sie würde genau das schwächen, was unsere Gesellschaft dringend braucht: das Rechtsbewusstsein, welches geistiges Eigentum respektiert".
Frau Jochimsens Äußerungen waren offenbar kein "Ausrutscher". Ihrer Mitarbeiterin Annette Mühlberg zufolge standen sie "im Einklang mit den auf Bundesebene von der [...] Linkspartei, formulierten Positionen zum Urheberrecht."
Privatisierung zur Subventionierung
Wie weit Linkspartei-Politiker bereit sind, für eine Aufstockung der Kulturhaushalte zu gehen, das zeigte sich auch am Fall des Verkaufs von 48.000 ehemals städtischen Wohnungen an die US-Investorengruppe "Fortress".
Der mit Untreuevorwürfen belastete FDP-Oberbürgermeister Ingolf Roßberg wollte mit der Radikalprivatisierung Geld einnehmen, um zu "gestalten, anstatt nur Schulden zu verwalten" - auch und vor allem für die Kulturpolitik. Trotz 45.000 Unterschriften für die Bürgerinitiative "Woba erhalten!" stimmte auch eine Mehrheit der PDS-Stadträte für den Wunsch des FDP-Kommunalpolitikers. Der PDS-Landespolitiker Ronald Weckesser rechtfertigte dieses Votum mit einem Verweis auf den "kulturellen Bereich", der sonst der Gefahr von Kürzungen ausgesetzt gewesen wäre. Und, so Weckesser, "Welcher Linke will das schon?"
Gewollt hätten das möglicherweise einige der 100.000 Mieter (ein Fünftel der Dresdener Bevölkerung), die kurz nach der Privatisierung erlebten, dass die vorher öffentlichkeitswirksam gepriesene "Sozialcharta", die ihnen Schutz vor Mieterhöhungen, Kündigungen und ungewollten Umbauten versprach, sich während der Dauer einer Pressekonferenz in reine Makulatur verwandelte: Dort gab der Geschäftsführer der "Fortress Deutschland GmbH", Matthias Moser, bekannt, dass die Wohnungen so schnell wie möglich in die GAGFAH integriert und so nach luxemburgischem Recht an die Börse gebracht würden, wo die vor dem Verkauf gemachten Versprechungen keinen Pfifferling mehr wert sind.
Dafür hatten die Dresdener Kommunalpolitiker nun 240 Millionen Euro zur Verfügung, die sie unter anderem in Kultursubventionen stecken konnten. Auch anderswo stehen Prestigeprojekte bei der Linken hoch im Kurs, selbst wenn dafür an anderen Stellen gekürzt werden muss. Die Münchner Linkspartei etwa konzentriert sich im Wahlkampf auf den Erhalt eines nutzlosen alten Fußballstadions - auf einem Gelände, auf dem auch einige Wohnblocks Platz fänden.