"Kante statt Teflon"

Seite 2: "Phrasen verstärken das Misstrauen"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Was ist das Gefährliche an dieser Entwicklung?

Oliver Georgi: Dass die Politik sich immer weiter von ihren Wählern entfremdet - und dass sie es den Rechtspopulisten wie von der AfD damit noch leichter macht, sich als einzige verbliebene Partei zu inszenieren, die vermeintlich noch "Klartext" spricht. Je phrasenhafter und hohler die Sprache gerade der Volksparteien wird, desto mehr bekommen die Wähler das Gefühl, mit ihren Sorgen und alltäglichen Problemen von der großen Politik gar nicht mehr gesehen und ernst genommen zu werden.

Wenn die Politiker im fernen Berlin noch nicht einmal mehr eine Sprache sprechen, die die Wähler verstehen: Wie soll man ihnen dann noch zutrauen, konkrete Lösungen für ihre alltäglichen Probleme von unbezahlbaren Mieten bis hin zu steigenden Betreuungskosten für ihre Kinder zu finden? Das macht Phrasen in der Politik so fatal: Sie verstärken das Misstrauen, das manche Wähler ohnehin schon gegenüber ihren Politikern empfinden. Deshalb ist eine phrasenhafte Sprache weit mehr als nur eine lästige Marotte von Politikern. Sie entscheidet mit darüber, welches Vertrauen die Menschen in Politik haben.

Wie könnte dieser Prozess eingedämmt werden?

Oliver Georgi: Ich glaube, indem wir wieder mehr Mut haben - nicht nur die Politiker, sondern wir alle, auch die Wähler und die Medien. Politiker müssten sich wieder mehr trauen für ihre Meinung einzustehen, selbst wenn sie damit Widerspruch hervorrufen oder der nächste Shitstorm dräut. Kante statt Teflon. Die politischen Positionen müssen wieder klarer hervortreten, die Parteien unterscheidbarer werden.

Das funktioniert aber nur, wenn Politiker wieder offener und mutiger zu streiten lernen. Nicht auf eine diffamierende, abstoßende Weise, wie es AfD-Vertreter mitunter tun, sondern so hart wie möglich in der Sache, aber immer unmissverständlich demokratisch. Streit und Widerspruch sind in einer Demokratie ja nichts, wofür man sich schämen müsste, sondern konstitutiv, sie sind ihr Wesen. Gleichzeitig müssten viele Medien aber auch aus der Erregungsspirale ausbrechen, die sich oft immer schneller dreht.

Nicht jede streitbare Äußerung rechtfertigt gleich eine Generaldebatte über den Zustand der demokratischen Kultur im Land. Und auch wir, die Wähler, sollten in unseren ambivalenten Erwartungen an Politiker ehrlicher werden. Dazu würde es zum Beispiel auch gehören auszuhalten, wenn ein Politiker dann auf die Frage, wie er ein Thema einschätzt, offen sagte: "Tut mir leid, davon habe ich zu wenig Ahnung." Oder: "Dazu habe ich mir noch keine Meinung gebildet, fragen Sie mich morgen noch mal!"

Sie führen am Ende Ihres Buches als positive Beispiele für Politiker ausgerechnet die beiden Sozialdemokratien Sigmar Gabriel und Peer Steinbrück an. Welcher komplizierten semantischen Operation haben wir deren Nennung zu verdanken?

Oliver Georgi: Mir ging es darum nachzuzeichnen, mit welchen ambivalenten Erwartungen wir oft auf Politiker blicken. Und dafür sind Gabriel und Steinbrück, abseits aller parteipolitischen Befindlichkeiten und persönlichen Vorlieben, gute Beispiele. Auch Sigmar Gabriel wird von vielen dafür geschätzt, dass er zu einem gewissen Grad aus der vorhersehbaren politischen Routine ausbricht und "kantig" wirkt. Aber gerade dafür hat er in der Vergangenheit auch viel Ärger einstecken müssen. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat einmal treffend gesagt: "Wir wollen verehren - wir wollen entzaubern. Wir wollen Kaiser und Kumpel gleichermaßen." Das trifft auch auf Politiker wie Gabriel oder Steinbrück zu.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.