Karlspreis: Die Mächtigen feiern sich selbst
Die Bürger bleiben außen vor und protestieren gegen die schrottreifen Atommeiler Tihange und Doel. Kommentar eines Aacheners
In Aachen wurde der diesjährige internationale Karlspreis an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron verliehen. Die Preisverleihung, mit der Leistungen zur Einigung Europas gewürdigt werden sollen, fand wie gewohnt im Aachener Rathaus statt.
Vor dem ehrwürdigen Gebäude, dessen Eingang eine Skulptur schmückt, welche Christus als Spender der weltlichen Macht zeigt, protestierten Bürger vor allem gegen die schrottreifen Atommeiler Tihange und Doel in Belgien - aber vor allem dagegen, dass ihre Belange von den Mächtigen überhört werden.
Macron, der als Erneuerer Europas angetreten ist, befindet sich nun in bester Gesellschaft früherer Karlpreisträger, die in überwiegender Mehrheit dem konservativeren Lager angehören. Die meisten seiner Vorgänger kamen beim Empfang ihrer Preise in den Genuss der Aachener Gastfreundlichkeit. In den Siebziger und Achtziger Jahren hatten die Preisverleihungen gar Volksfestcharakter.
Vor dem Aachener Rathaus auf dem Markplatz sammelten sich die Bürger mit Fähnchen und harrten geduldig aus, bis die Veranstaltung im Festsaal zu Ende war, und die frischen Preisträger für einen Gruß ans Volk auf die Rathaustreppe schritten. Die Geehrten konnten sich des Jubels der Bürger sicher sein. Aachen, als westlichste Großstadt Deutschlands, am Dreiländereck Deutschlands mit den Niederlanden und Belgien gelegen, war sehr affin für ein Europa, in dem die Grenzen fallen sollten.
Für einen Aachener, der nach mehr als einem Jahrzehnt erneut die Gelegenheit hat, eine Karlspreisverleihung zusammen mit seinen Mitbürgern auf dem Marktplatz zu verfolgen, waren die Unterschiede der modernen Zeit leicht erkennbar. Eine große Bildschirmwand überträgt nun die Ereignisse im Festsaal für die Außenstehenden.
Doch diese sind in zwei Kategorien getrennt. Diejenigen, die mit perfekter Sicht auf einem abgetrennten Terrain auf dem Marktplatz die Rathaustreppe im Auge haben - die geladenen Bürger - und die große Mehrzahl, die sich an der Seite zwischen die Absperrgitter pressen darf.
Geladene Gäste in erster Reihe gibt es ebenfalls auf dem Katschhof, wie der hinter dem Rathaus gelegene Platz zwischen Dom und Rathaus heißt. Sie können nach der Verleihung einer Rede der Kanzlerin lauschen und den Geehrten samt Ehefrau aus der Nähe sehen. Alle anderen bleiben außen vor.
Eine im Vergleich zu den früheren Veranstaltungen mit zahlreichen Kontrollen verbundene Ehrung, noch dazu ohne Aussicht, die Ehrengäste, unter denen auch die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaitė weilte aus der Nähe zu sehen, wirkt offenbar unattraktiv. Denn der Marktplatz blieb relativ leer.
Dass es trotzdem knapp 1500 lautstarke Bürger gab, lag nicht an der Preisverleihung, sondern an der Sorge der Aachener um ihre Zukunft. Die Pannenreaktoren Tihange und Doel, an denen der Bund Anteile hält, sollen dem grenzüberschreitenden Willen der Bürger aus Aachen, Belgien und den Niederlanden gemäß abgeschaltet werden.
Mit Buhrufen und Pfiffen quittierten die Demonstranten jeden Satz, den die Politiker im Saal über Europa und dessen Zukunft sprachen. Sie skandierten Parolen, mit denen sie Macron ersuchten, er möge den Reaktor abschalten. Zwischen die Demonstranten hatten sich zudem Gegner der Nato und Friedensaktivisten gemischt, denen die Aktionen der drinnen Versammelten im Nahen Osten ein Dorn im Auge sind.
Merkel: Zu einer inhaltsreichen Rede aufgefordert
Die Politiker im Saal bekamen von all dem herzlich wenig mit. Wie anders ist es zu erklären, dass zum Beispiel Kanzlern Angela Merkel über die EU als Friedensgarant sprach? Die Kanzlerin, selbst Preisträgerin, die eigentlich vom Karlpreisgremium dazu aufgefordert worden war, eine inhaltsreiche Rede und keine typische Laudatio zu halten, sprach den regierenden Präsidenten Frankreichs wie einen Juniorpartner an.
Sie erwähnte, dass ihr Freund Emmanuel 1977, also zwölf Jahre vor dem Fall der Mauer geboren sei und bereits ein Jahr nach dem Amtsantritt den ehrwürdigen Preis erhalten würde. Sie spickte ihre Rede mit vagen Andeutungen, dass in der Flüchtlingspolitik und hinsichtlich der Investitionen in den Südländern Europas etwas geschehen müsse - was genau, das ließ sie im Unklaren. Etwas unglücklich wirkte zudem, dass die Kanzlerin mehrfach bei ihrer Rede kurz aus Reden Macrons zitierte.
Denn ihr Vorredner und Parteifreund, der Aachener Bürgermeister Marcel Philipp, hatte in seiner überraschend guten Ansprache erwähnt, dass es ein Fehler sei, aus Reden - wie denen von Macron - nur einzelne Worthülsen zu isolieren und damit dem tatsächlichen Inhalt der Reden den Sinn zu nehmen.
Erst zum Abschluss der Veranstaltung gelang Angela Merkel ein Punkt, als sie auf dem Katschhof Macron bei der Verabschiedung daran erinnerte, dass das Aachener Rathaus zu einer Zeit gebaut wurde, als es zwischen Frankreich und Deutschland keine Grenze gab. Ihre Vision sei, dass dies bald wieder so sei, gab sie eines ihrer wenigen konkreten Statements an diesem Tag.
Macons Vierpunkte-Programm
Macron selbst sprach als Letzter. Er stellte ein Vierpunkte-Programm für Europa vor, gegen Nationalismus und Extremismus, das die Krise des Euro durch eine Abkehr vom Fetischismus der Haushaltsdisziplin ad acta legen, die Verträge Europas auf deren Sinn überprüfen und überhaupt endlich Reformen angehen will, die echte Reformen sein sollen und nicht nur in Anführungszeichen stehen würden.
Auch seine Rede war inhaltlich eher eine Regierungserklärung denn ein detaillierter Plan. Dem Franzosen gelang es jedoch, sie mit mehr Elan als Merkel zu präsentieren. Immerhin konkretisierte er bei einer späteren Veranstaltung vor Studenten der RWTH Aachen, dass dem Europa des Sozial-, Steuer- und Demokratiedumpings Einhalt geboten werden müsse.
Die Demonstranten vor dem Rathaus bekamen von all dem herzlich wenig mit. Sie zogen nach der Preisverleihung ab - nicht ohne mit dem Mobiltelefon einen Schnappschuss von Macron, Merkel, Philipp und Macrons Gattin gemacht zu haben.
Eine der Mächtigen traute sich übrigens tatsächlich unters Volk. Als vor dem Rathaus die Gäste mit Limousinen mit verdunkelten Scheiben und Motorradeskorten zum nächsten Termin eilten, schlenderte Dalia Grybauskaitė den Markplatz an den Demonstranten vorbei entlang und grüßte lächelnd. Es wirkte surreal, dass diese Geste mit Pfiffen begleitet wurde. Jedoch galten die nicht Grybauskaitė. Die litauische Präsidentin wahrte ihre Contenance und lächelte unbekümmert weiter.