"Kartoffelland gegen Mutterland"

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Fußball-EM: Schafft Deutschland heute den Brexit?

Everyone seems to know the score/ They've seen it all before
They just know/ They're so sure
That England's gonna throw it away
Gonna blow it away/But I know they can play
'Cause I remember...

Football's coming home

The crosses of St George are flying all around me. Gareth Southgate the whole of England is with you. Oh it's saved, saved, saved!

Radioreportage, EM 1996, Halbfinale

Völker und Klischees. Manche Nationen können sich ziemlich leicht auf die Schippe nehmen und mit Klischees spielen. Die Holländer zum Beispiel. Die Briten eigentlich auch, allerdings teilt man auf der Insel auch gerne aus. Heute also Krauts gegen Mutterland, Vaterland gegen Mutterland, ein prinzipieller Clasico zwischen zwei sich sehr ähnlichen Fußballnationen.

Krauts, Kartoffelkicker - nur für alle, die die Rede von "Gulaschkickern" neulich als Rassismus missverstehen wollten und nicht als die ironische Anspielung auf den Kommentatorenstil früherer Jahre: Im Fußball sind Dinge erlaubt, die woanders verwerflich wären. Kein Rassismus, aber Klischees, Vereinfachungen und dumme Witze.

Man setzt übrigens auch nicht Wehrmacht und Nationalmannschaft, Faschismus und Demokratie, Krieg und Fußball gleich, wenn man als Autor darauf aufmerksam macht, dass bestimmte Haltungen, zur Schau getragene Einstellungen und sogar bestimmte Redewendungen erstaunliche Analogien aufweisen. Oder wenn man Fußball mit Begriffen aus der Wissenschaft von Strategie und Taktik, überhaupt mit militärischen Begriffen zu beschreiben versucht.

Sport: Immer schon auch Politik

Ein Buchtipp: Jörg Kronauer erklärt in seinem neuen Buch "Ukraine über alles! Ein Expansionsprojekt des Westens", warum manche heute der Ukraine eine Niederlage gegen Schweden wünschen, weil jeder Fußballerfolg dem dortigen radikalen Nationalismus und der Unabhängigkeitsbewegung von rechts nur ein weiteres Forum bieten würde...

Sport war in jeder Hinsicht immer schon Politik, und zwar Außenpolitik wie Innenpolitik. "Was sie und ihre Mannschaft für uns und den deutschen Sport erreicht haben, hätten zehn Diplomaten nicht geschafft", sagte der damalige Nürnberger Oberbürgermeister zum Mannschaftskapitän des 1. FC Nürnberg, nachdem die Mannschaft im Herbst 1928, zehn Jahre nach dem Ersten Weltkrieg bei Red Star Paris und damit beim "Erzfeind Frankreich" erfolgreich war.

Das Mutterland des Fußballs und das Vaterland des Fußballs - zur Fußballgeschichte gehört schon in den Zwanzigerjahren des vorangegangenen Jahrhunderts die Emanzipation vom britischen Vorbild. Damals wurde den Engländern Arroganz vorgeworfen, weil sie sich weigerten, gegen Mannschaften des Kontinents zu spielen.

England gegen Deutschland, diese Begegnung muss nun eher aus dem Metaphernwald und Analogiedschungel befreit werden. Es geht hier nicht um den Ersten und den Zweiten Weltkrieg, nicht um Schützengräben, nicht um Blitz und nicht um Winston Churchill.

Das ewige englische Anrennen um einen Titel

Es geht schon um das ewige englische Anrennen um einen Titel. Es geht um Gareth Southgate, der als Nationaltrainer die hochbegabten Einzelspieler der Three Lions zum ersten EM-Titel überhaupt führen möchte. Er ist der eigentliche Held des Teams.

Auch sportlich läuft es: Die Qualifikation zur EM-Runde wurde mit nur einer einzigen Niederlage - ausgerechnet 1:2 gegen Tschechien - geschafft, im Nations-League-Finalturnier würde man Dritter. Mit Sancho und Bellingham, beide Dortmund, und Mason Mount von Chelsea stehen Southgate einige der spannendsten Talente zur Verfügung. Aber in der Unerfahrenheit des Teams liegt auch seine größte Schwäche. In der Vorrunde enttäuscht England, man bekam zwar kein Gegentor, konnte aber auch nur ein einziges schießen.

Auch der Trainer ist nicht für seine vielen Erfolge berühmt, sondern vor allem für seinen größten Misserfolg: Bei der Heim-EM 1996 verschoss der damals 25-Jährige im Halbfinale gegen Deutschland den entscheidenden Elfmeter. Damit nahm die englische Tragödie ihren Lauf: Auch 1998, 2004, 2006 und 2012 endeten Turniere jeweils im Elfmeterschießen. Und oft genug endeten sie gegen die Deutschen. Vor zwei Jahren im Achtelfinale gegen Kolumbien wurde der Elfmeterfluch aber bezwungen.

Nur Glück, Gosens und Goretzka

Woraus wird es heute hinauslaufen? Bei den Deutschen hatte man bisher nur Glück, Gosens und Goretzka. Das reicht nicht für England. Vielleicht hilft noch Musiala, aber was fällt Löw wirklich ein, um noch sein 200. Länderspiel zu erleben? Und traut er sich, mit Goretzka von Anfang an zu spielen, und das Logische zu tun: Toni Kroos auf die Bank zu stecken?

Die Gurkerei gegen die Ungarn sollte allen zu denken gegeben haben, die immer noch zum Schönreden des deutschen Spiels neigen, und die die DFB Mannschaft nach dem glücklichen 4:2 über Portugal bereits schon wieder im Finale sahen.

Aber vielleicht haben sie ja etwas gelernt. Und gegen eine Mannschaft, die selbst unter Erfolgsdruck steht, die offensiv ist, aber verspielter und hinten schwächer als die Ungarn, und die von ihrer ganzen Spielweise der deutschen Mannschaft vielmehr entgegenkommt, gegen diese Engländer sollte es heute Abend klappen - in hartem Kampf und nach Verlängerung vielleicht. Aber am Ende gewinnen die Deutschen und schaffen den Brexit.