Kaufsucht: ungebrochen trotz Wirtschaftskrise
Knapp ein Fünftel der deutschen Verbraucher haben ein ernsthaft problematisches Konsumverhalten. In Österreich ist es sogar ein Drittel
17 Prozent der Deutschen sind kaufsuchtgefährdet. Näher besehen: 11 Prozent der Deutschen sind ausgeprägte kompensatorische „Shopper“ und 6 Prozent sind de facto kaufsüchtig. So die Ergebnisse der aktuellen Kaufsuchtstudie für Deutschland. Und: Die Wirtschaftskrise schwächt die Kaufsucht nicht. In einem für Deutschland möglicherweise trostvollen Vergleich dazu: In Österreich sind jeweils fast doppelt so viele betroffen.
Der Ausgangspunkt für Kaufsucht ist die eminent positive gesellschaftliche Bedeutung des Konsums. Grundsätzlich ist heute in vielen Fällen Konsum sozial bestimmt. Rein gebrauchswertorientiertes Kaufen – sozusagen der alte und in der Ökonomie immer wieder beschworene „rational handelnde Verbraucher“ – ist da fast schon eine Ausnahme. Etwas vereinfacht gesprochen spielen heute positionaler Konsum und kompensatorischer Konsum die entscheidende Rolle.
Im Fall des positionalen oder demonstrativen Konsums kennen wir das alle zur Genüge: Jemand stellt seine angeblichen oder tatsächlichen finanziellen Möglichkeiten zur Schau. Mit tollem Auto, Superhandy oder Spitzen-Notebook, schicken Urlaubsreisen, Designerkleidung oder was auch immer wird angegeben, auf die eigene Bedeutung hingewiesen, um die Aufmerksamkeit der Anderen gebuhlt. Es gibt hier auch viele Gruppenzwänge, gerade bei Jugendlichen – einen bestimmten Outfit, etwa Markenschuhe, haben zu müssen, kann familiäre Dramen auslösen.
Entschädigung durch Konsum
Das „Angeben“ kennen wir, auch wenn wir heute toleranter damit umgehen, als vor einigen Jahrzehnten. Da war so etwas geächtet wie Strebertum. Bei kompensatorischem Konsum wird es etwas heikler. Hier wird Kaufen zum persönlichen Entschädigungsakt für, zur Medizin gegen frustrierende Erfahrungen. Egal ob es unfreundliche Verhältnisse am Arbeitsplatz sind, familiärer Ärger, depressive Stimmungslagen: eine neue CD, ein Kleidungsstück, Kosmetika, eine neue Kamera entschädigen irgendwie für den Frust. Es muss auch nicht Einkaufen sein, mit dem man sich tröstet, eine Flasche Wein geht auch oder ein bisschen Glücksspiel.
Kompensieren und im Ersatz Trost suchen, gehört zu unserem Leben irgendwie dazu, an und für sich ist das noch nicht so problematisch. Zum Problem wird es dann, wenn kompensatorisches Kaufen nicht mehr gelegentlich passiert, sondern recht ausgeprägt ist und immer wieder vorkommt. Von so einem problematischen kompensatorischen Kaufverhalten ist es dann nicht weit zur Kaufsucht. Diese ist ein zwanghaftes und kontinuierliches Verhalten, sich durch Konsum solche Belastungsausgleiche, Belohnungen, Ersatz zu verschaffen.
Kaufsucht ist wie andere Zwangsformen willentlich nur mehr sehr schwer unter die eigene Kontrolle zu bringen. Hier braucht es Hilfe. Wie bei der Spielsucht führt Konsumsucht in vielen Fällen durch seinen Zwangscharakter zu einem nicht mehr kontrollierbaren finanziellen Desaster, also Überschuldung und schließlich Privatkonkurs (Beispiele finden sich in den einschlägigen Selbsthilfeforen wie diesem zur Genüge ). Klar, nicht jeder Privatkonkurs ist auf Sucht zurückzuführen – Arbeitsplatzverlust und Scheidungen spielen hier ebenfalls eine große Rolle.
Kaufsucht ist im wesentlichen jung und weiblich
Seit vielen Jahren gibt es nun wieder eine aktuelle Studie zum Thema Kaufsucht in Deutschland. Die von Gerhard Raab und Alexander Unger (FH Ludwigshafen) durchgeführte Studie weist im Jahr 2009 einen Anteil von 17 Prozent der Bevölkerung als kaufsuchtgefährdet (kompensierend Kaufende und Kaufsüchtige). Im Vergleich zu den früheren Studien aus den Jahren 2001 und 1991 zeigt sich, dass das kompensatorische Kaufverhalten auf den Stand von 1991 zurückgefallen ist, nachdem es 2001 deutlich angestiegen war. 1991: 10 Prozent, 2001: 17 Prozent, 2009: 10 Prozent. Kompensatorisches Konsumverhalten ist eine Vorform von Kaufsucht.
Bei den Kaufsüchtigen ist der Rückgang hingegen marginal, 1991: 4 Prozent, 2001: 8 Prozent, 2009: 6 Prozent. 10 Prozent der Frauen und 3 Prozent der Männer sind kaufsüchtig. Bei den Jugendlichen (14 bis 24 Jahre) ist der Anteil 13 Prozent. Genauer: bei den männlichen Jugendlichen ist der Anteil 3 Prozent, bei den weiblichen 22 Prozent.
Ein ähnliches Geschlechterverhältnis zeigt sich schon beim kompensatorischen Kaufverhalten: 16 Prozent Frauen und 5 Prozent Männer. Die erwähnte Halbierung im Vergleich zu 2001 bei dieser Gruppe zeigt, dass sich diese Gruppe offenbar aber noch so weit im Griff hat, um auf wirtschaftliche Problemlagen mit einem etwas zurückhaltenden Konsum reagieren zu können.
Werbung als Verursacher von Kaufsucht
Für die Autoren scheint ein Hauptverursacher von Kaufsucht klar ausmachbar. Es ist das Marketing und Werbung. Zum einen sind die Jüngeren weit mehr der Werbung ausgesetzt. Zum anderen zeigt sich im Vergleich der neuen und der alten Bundesländer, dass der Osten, seit er der westlichen Konsumkultur, und da vor allem hemmungslos der Werbung ausgesetzt ist, mit dem Westen gleichgezogen hat.
Die früher bestehenden Unterschiede zwischen West und Ost bei kompensatorischen Konsumverhalten und bei Kaufsucht sind mittlerweile verschwunden, „Dies lässt sehr plausibel erscheinen, dass der Einfluss von Werbung und westlicher Konsumkultur mit eine wesentliche Ursache für die Entstehung von Kaufsucht ist.“ Interessanterweise denkt hier die Bevölkerung ebenso, über 80 Prozent der Bevölkerung sehen die Gesellschaft selbst als Verursacher.
Österreich: Mehr Kompensation und Sucht
In Österreich sind die Werte rund doppelt so hoch: Kompensatorisches Kaufverhalten zeigen 20 Prozent der Bevölkerung, Kaufsucht 10 Prozent. Sonst aber ist es das gleiche Bild wie in Deutschland, die dominante Gruppe sind ebenfalls die jungen Frauen, 31 Prozent haben ein kompensatorisches und ebenso 31 ein süchtiges Kaufverhalten. Weder Einkommen, Ausbildung noch Beruf spielen eine Rolle. Ein anderes Verhalten aber: Einkaufen über das Internet, hier gibt es (in beiden Ländern) einen Zusammenhang mit der Kaufsuchtneigung.
Die Datenreihe ist in Österreich kürzer aber dichter. Daraus läßt sich ersehen, daß mit der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 das kompensatorische Konsumverhalten seit 2007 deutlich kleiner geworden ist, nicht aber die Kaufsucht. Trotzdem die Krise andauert, ist Kaufsucht in Österreich 2009 sogar noch leicht gestiegen.
Warum sind junge Frauen so deutlich betroffen?
Das von der Werbung vorgezeichnete – und von den redaktionellen Inhalten der Medien freudig nachgezeichnete - Idealbild (junger) Frauen läßt sich in ein paar Schlagworten charakterisieren: Schönheit, Schlanksein, Sportlichkeit, erotische Ausstrahlung und eine sichere Selbstdarstellungsfähigkeit. Kosmetik und Mode gehört schon bei den Volksschulmädchen zum Frauen- und Mädchenbild. Die erwünschte Modellierung geht über die Konsumgüter hinaus, sie reicht hin bis zu kosmetischen Operationen, um werblich vorgegebenen Idealbildern, Mustern: Normen zu entsprechen.
Bei (jungen) Männern ist das heute noch nicht so zwingend gestaltet. Etwas Outfit, Technikausstattung, Auto und Geld reichen hier, der Druck sich etwa mit Kosmetik oder Bekleidungsmode zurecht zu „schönen“ und in einen Model-Wettbewerb zu treten, ist bei weitem nicht so stark wie bei den Frauen. Bei diesen ist der Zwang zum Konsum gedoppelt, nämlich einerseits mitzuhalten, andererseits sich dann auch – wenn man mit Idealen nicht mithalten kann (und das kann frau bei den überzogenen Werbebildern meist nicht) – sich für die Enttäuschung zu entschädigen. Und gerade die Jungen haben es dabei sehr schwer: Ihre Identität und ihr Selbstwertgefühl sind nicht durch stabile soziale und kulturelle Gegebenheiten definiert, sondern durch die Medien, durch einen immensen werblichen und medialen Terror.
Wie geht die Gesellschaft mit Kaufsucht um?
Sehr unbeholfen, denn Konsum scheint zu einer wesentlichen Bürgerpflicht geworden zu sein. Das betrifft Weihnachten und andere Geschenktage besonders. Dazu kommt allerdings, dass die letzten eineinhalb Jahre Konsum eine Art von allgemein erwünschter Verhaltensvorschrift geworden ist. Das wird zum Beispiel mit Verschrottungsprämien für Autos im negativen Sinn nachhaltig gefördert.
Die Krise braucht Konsum: das kulturelle Universalheilmittel gegen Wirtschaftseinbrüche und für ein besseres Leben. Nur mehr Konsum und damit Wirtschaftswachstum sichert ein besseres Leben, - dieses ganz grundsätzliche Dogma unserer Gesellschaft und ihrer Wirtschaftspolitik fordert halt Opfer: jene Menschen nämlich, welche sich aus Trostlosigkeit in exzessiven Konsum verstricken und damit aufs Erste gar kein so ein schlechtes Gewissen haben, da sie einerseits das Konsum-Glücksversprechen ernst nehmen und andererseits das tun, was gesellschaftlich und politisch als Aufforderung bzw. als sehr erwünscht propagiert wird: Konsumieren als allgemeine Bürgerpflicht und persönliche Ersatzbefriedigung.