Kavanaugh: Mob-Rule versus Juristenputsch
Seite 2: Angst schlägt Verstand
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Dieses Muster der Umkehrung und Doppelstrategie verfängt bei Brett Kavanaugh in einer ungewöhnlich starken Weise, da die Anhörungen durch die Vorwürfe sexueller Übergriffe unmerklich in tiefere Schichten des Bewusstseins gesunken sind. Sexualisierte Gewalt ist ein Thema, von dem viele Menschen in der einen oder anderen Weise betroffen sind und das sie folglich stark emotionalisiert.
Die Republikaner konnten daraus eine politische Strategie bauen, mit der sich der republikanische Senator Mitch McConnell auf der Pressekonferenz nach der geglückten Wahl Kavanaugh sehr zufrieden zeigte. Endlich habe man, glücklich und durch das Ungeschick der Demokraten, eine Möglichkeit gefunden, die eigenen Leute anzufeuern. Die andere Seite sei ohnehin schon seit einem Jahr im Alarmzustand und durch die "Mob-Rule" sei es nun die eigene Seite auch. Damit hat er vermutlich Recht.
Die Republikaner wissen, dass Angst zuweilen stärker ist als Verstand. Durch die in Teilen hochnotpeinliche Befragung Kavanaughs, der dümmliche Sprüche aus seinem Jahrbuch aus Schulzeiten kommentieren musste, entstand der Eindruck, er solle mittels gewisser Bezichtigungen politisch erledigt werden. So konnte die Angst geschürt werden, Männer seien in Gefahr, jederzeit zu Unrecht eines sexuellen Übergriffs bezichtigt zu werden.
Ohne Frage gibt es solche Fälle falscher Anschuldigungen, sie sind allerdings extrem selten. Sehr viele Frauen haben hingegen sexuelle Übergriffe unterschiedlichen Schweregrades erlitten. Letzteres ist tagtägliche Lebensrealität, vielleicht sogar eine Epidemie, wie es der Senator aus Vermont Bernie Sanders ausdrückt. Demgegenüber ist die falsche Anschuldigung eine weitgehend abstrakte Gefahr, vermutlich etwa so wahrscheinlich wie das Opfer eines Terroranschlags zu werden. Mag die Gefahr auch real sein, die Sorge davor ist längst überdimensioniert. Eine Überdimensionierung, die im Fall des Terrors, wie auch der falschen Anklage wegen sexualisierter Gewalt, politisch instrumentalisiert und geschürt wird. Es wird letztlich so getan, als säßen jetzt alle "weißen Männer" auf der Anklagebank. Wie gut diese Strategie funktioniert, belegte das ehemalige Monty-Python-Mitglied Terry Gilliam, der sich jüngst eben dieser Argumentation bediente.
Eine Minderheit kämpft um die Macht
Aus dieser Argumentation erwächst eine Opfer/Täter-Umkehrung. Frauen sind aus der Sicht von Donald Trump eine große Gefahr für Leib und Leben, weil sie jederzeit Männer gewisser Dinge fälschlicherweise bezichtigen könnten. Das kleine Detail, dass sie dies nahezu niemals tun, fällt unter den Tisch. Die geschürte Angst setzt sich ins Werk. Frauen hingegen, die den Mut finden über die Gewalt zu sprechen, die ihnen faktisch angetan wurde, stehen nun unter dem Verdacht, gefährliche, politisch oder finanziell motivierte Betrügerinnen zu sein.
Auch hier wird ein simples Faktum verschwiegen. Keine der Frauen die beispielsweise die Wahrheit über die Vergewaltigungen des ehemals hoch angesehen Stars Bill Cosby sagten, wurden damit reich oder berühmt. Auch die Frauen die Brett Kavanaugh anklagen, haben nicht die Übernahme von Talkshows in Aussicht oder hochdotierte Buchverträge. Vermutlich werden sie allenfalls ein paar Mal auf Demonstrationen reden, dafür aber den Rest ihres Lebens um ihr Leben fürchten müssen, weil den tausendfach bekundeten Rachegelüsten gegen sie irgendwann Taten folgen könnten.
Die Anklägerin Brett Kavanaughs Dr. Blasey Ford musste beispielsweise umziehen, weil ihr altes Haus wegen der zahlreichen Morddrohungen zu gefährlich für sie geworden war. Trump und auch die republikanischen Senatoren wissen um diese Wirkung ihres politischen Spins. Indem sie die Opfer einer Kultur der Gewalt gegen Frauen zu den wahren Täterinnen machen, perpetuieren sie die bestehenden Gewaltverhältnisse. Das darf als ihr Plan bezeichnet werden.
Dieser fügt sich in die Grundstrategie der republikanischen Partei. Vor Jahrzehnten diagnostizierte diese einen demografischen und kulturellen Wandel, der ihre Macht gefährdete. Entweder würde man sich den Latinos, Farbigen und emanzipierten Frauen gegenüber öffnen, oder man könne bald keine Mehrheiten mehr bilden gegen diese zahlenmäßig wachsenden Gruppen. Allerdings bedeutete dies eine taktische Kalamität, da man die Basis der erzkonservativen Wähler auch mit milden Formen des Feminismus und Anti-Rassismus zu verlieren drohte.
Deswegen wurde eine andere Strategie gewählt. Möglichst breite Gruppe der Gegenseite sollten von der Wahl abgehalten werden. Dafür braucht man konservative Richterinnen und Richter, die die verfassungsrechtlich bedenklichen Wahlhürden durchwinken, die überall im Land erlassen wurden. Im Jahr 2018 ist der Einfallsreichtum, mit dem Schwarzen das Wählen schwer gemacht wird, sehr bemerkenswert. Wahllokale werden aus "farbigen" Nachbarschaften in "weiße" verlegt und ständig neue administrative Hürden der Wählerregistrierung erdacht. Gleichzeitig musste das ideologische Feuer gegen die Frauenselbstbestimmung entfacht werden und das gelingt traditionell durch den Kampf gegen die als "Kindermord" bezeichnete legale Abtreibung.
Ob die beiden neuen Richter Gorsuch und Kavanaugh tatsächlich die Grundsatzentscheidung "Roe v. Wade" einschränken werden und damit das Tor zum Verbot des legalen Schwangerschaftsabbruch in einigen Staaten öffnen werden, ist fraglich. Fraglos ist, dass weite Teile der Basis sich eben dies erhoffen und Donald Trump ihnen dies bei seinen Wahlkampfreden lauthals verspricht.