Kein Schmusekurs mit der Regierung
Ein Teil des Unternehmerlagers steuert auf eine größere Konfrontation mit der Regierung zu
Das hat dann doch das politische Berlin im Sommerloch aufgeschreckt. Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Merkel-Vertraute Norbert Röttgen verzichtet auf den hochdotierten Posten als Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Industrie und behält seine politischen Ämter. Schon diese Entscheidung ist ungewöhnlich. Vom Altbundeskanzler Schröder bis zum unionsinternen Merkel-Rivalen Friedrich Merz haben sich Politiker im Zweifel immer für den lukrativeren Job in der Wirtschaft und gegen die Politik entschieden.
Noch interessanter ist die Vorgeschichte für Röttgens Entscheidung, die er in einem kurzen Schreiben mitteilte. Denn es war nicht etwa der Druck aus Gewerkschaften und kritischer Öffentlichkeit, die den Verzicht des Unionspolitikers erzwungen hätte. Der Druck kam viel mehr aus dem Unternehmerlager selber. Höhepunkt war ein offener Brief, mit dem die ehemaligen BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel und Michael Rogowski via Bildzeitung Röttgen fast ultimativ aufgefordert haben, sich zwischen seinen Job als Politiker und als Unternehmervertreter zu entscheiden.
„Wir wenden uns in dieser Form an Sie, weil wir uns große Sorgen um den Kurs, den Einfluss und den Ruf des Bundesverbandes der Deutschen Industrie machen und alle Versuche, Sie vor dem Begehen eines möglicherweise verhängnisvollen Fehlers abzuhalten, scheiterten“, heißt es wenig diplomatisch in dem Schreiben. Eine Doppelfunktion würde nach Meinung der Autoren zu einer „dramatischen Beeinträchtigung“ der Glaubwürdigkeit, des Rufs und des Einflusses des BDI“ führen.
Die Kritiker haben nicht nur Röttgen im Visier. Ihre Kritik richtet sich auch gegen den Unionspolitiker Reinhard Göhner, der seit knapp zehn Jahren gleichzeitig CDU-Bundestagsabgeordneter und Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist. Die Organisation ist eng mit BDI verbunden und amtiert im gleichen Gebäude. Unter Hans-Martin-Schleyer waren sogar beide Funktionen in einer Person vereint. Göhners Doppelrolle ist für Henkel und Rogowski ein unrühmliches Beispiel, das keine Nachahmung finden sollte.
Henkel war denn auch der erste, der nach Röttgens Klarstellung positive Worte fand. „Respekt. Mir wäre zwar lieber gewesen, er hätte auf sein Bundestagsmandat verzichtet, aber die Entscheidung ist konsequent. Beide Ämter gleichzeitig - das wäre nicht gegangen." Nach Einschätzung politischer Kommentatoren geht der gegenwärtige BDI-Präsident Thumann geschwächt aus dem Postenstreit hervor.
Widerstand gegen die große Koalition
Natürlich geht es den Röttgen-Kritikern nicht darum, generell Politiker aus den Führungsfunktionären der Unternehmer zu verbannen. Hinter den Auseinandersetzungen stecken politische Kontroversen über die Beurteilung der Bundesregierung. Ein Teil des Unternehmerlagers hat die Politik der großen Koalition schätzen gelernt. Zwar ist auch ihnen klar, dass in dieser Konstellation der marktradikale Durchmarsch, den Merkel und Westerwelle im Wahlkampf versprochen haben, so nicht machbar ist. Andererseits weisen sie daraufhin, dass die politische Stabilität größer ist, wenn die Sozialdemokraten mit in die Gesetzgebung einbezogen werden.
Dem steht eine andere Fraktion im Unternehmerlager gegenüber, die gerade diesen Kuschelkurs mit Merkel nicht nachvollziehen will. Unterstützt wird sie von Stimmen aus den Medien und der Politik. Aus diesen Kreisen kommen schon längst Vorwürfe an die Kanzlerin, dass von ihrer Wahlkampf-Performance als eine Art deutsche Maggie Thatcher nichts übrig geblieben ist. Enttäuscht wird schon mal gegrummelt, dass die gegenwärtige Regierung eine Art Sozialdemokratismus light fortsetzt. Schon wird konstatiert, dass der angebliche Reformstau, dem man unter rot-grün ständig im Visier hatte, auch unter der jetzigen Regierung nicht aufgelöst wird.
Diese Kritik, die natürlich am deutlichsten von Westerwelles FDP ausgesprochen wird, wurde vor einigen Wochen auch vom einflussreichen Leiters des Spiegel-Hauptstadtbüros Gabor Steingart als „Merkels Selbstverrat“ bezeichnet. Er hat der Kanzlerin nicht nur vorgeworfen, keine Maggie Thatcher zu sein, sondern nicht mal das Format ihres Vorgängers zu erreichen:
Seine Agenda 2010 war der Anfang eines Weges, den Merkel nun leichtfüßig wieder verlassen hat. Ihre kleinen Schritte führen nicht zur Erneuerung des Landes. Sie führen sogar weg davon. Nebenbei gesagt: Sie führen auch weg von Angela Merkel. Sie begeht ja Verrat vor allem an sich selbst, wenn sie versucht, Überzeugung gegen Beliebtheit zu tauschen.
Am Ende seines Beitrags beschäftigt sich Steingart schon mal publizistisch mit dem möglichen politischen Scheitern der Kanzlerin:
Angela Merkel ist einst mit Siebenmeilenstiefeln auf die Machtzentrale losgestürmt, kaum angekommen hat sie das Schrittmaß deutlich reduziert. Wenn sie nicht beizeiten das Tempo wieder steigert, wird sie es nur bis zum Friedhof für Däumlinge schaffen.
Zeitgleich hat auch Bundespräsident Köhler deutlich seine Kritik an der mangelnden Reformfreude der Regierung geäußert. Gleichzeitig erklärte er, dass es noch zu früh sei, über Erfolg oder Misserfolg der großen Koalition zu urteilen. Ein klares Bekenntnis zu der Regierung sieht anders aus.
Auch im Unionslager lauern vom hessischen Ministerpräsidenten Koch bis zum Parteifeind Merz alle, die ein Scheitern Merkels wieder in die erste Reihe der Politik katapultieren würden. Allerdings weisen politische Beobachter auf Merkels Machtwillen hin. Ihre Berater werden aus dem Scheitern Röttgens als Verbindungsmann zwischen Regierung und Unternehmerlager ihre Schlüsse ziehen und wieder mehr ihre marktradikale Seite entdecken. Ob das dem Koalitionsfrieden gut tun wird, ist allerdings fraglich.